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GIZ-Akzente-3-15-Deutsch

33akzente 3/15 S chwarze Leggings, roter Anorak, über der Schulter ein kleiner Rucksack: So steht sie um halb sieben Uhr morgens an der Pforte. Mit ihren 1,60 Metern könnte man sie für eine Schülerin halten, und in ge- wisser Weise ist sie das auch: Thi Thuy Ngan Kieu ist aus Vietnam gekommen, um zu ler- nen. Im Leonhard-Henninger-Haus im Münchner Stadtteil Schwanthalerhöhe wird die 25-Jährige zur Altenpflegerin ausgebildet. Sie gehört zu den 100 jungen Frauen und Männern, die an einem Pilotprogramm zur Fachkräftesicherung teilnehmen. Organi- siert wird es von der GIZ im Auftrag des Bun- desministeriums für Wirtschaft und Energie und in Zusammenarbeit mit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundes- agentur für Arbeit. In Deutschland fehlen schon heute Altenpfleger: 2014 kamen auf 100 offene Stellen nur 39 arbeitslose Pfleger. Bis 2030 könnte eine halbe Million Stellen unbesetzt bleiben. Die südlichen und östli- chen EU-Mitgliedsstaaten nehmen eine ähn- liche demografische Entwicklung wie Deutschland. Gleichzeitig finden in Vietnam viele Menschen keine Arbeit. Ihnen Ausbil- dung und Bleiberecht in Deutschland anzu- bieten, liegt nahe. Im September 2013 haben Ngan, so ihr Rufname, und ihre Kolleginnen – auch ein paar männliche Kollegen – in Deutschland angefangen. Ihre Ausbildungs- orte liegen in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Niedersachsen. Seit Sommer 2015 ist eine weitere Gruppe in Deutschland. Spä- ter sollen die Altersheime selbst aktiv werden. Spätestens seit den Erfahrungen mit der ersten Generation der sogenannten Gastar- beiter in den 1960er und 1970er Jahren weiß man in Deutschland aber auch um die Prob- leme der Migration. Und so achten die Pro- jektverantwortlichen – zu denen auch das Ar- beits- und Sozialministerium in Hanoi gehört – streng darauf, dass alle Beteiligten profitieren. Auch langfristig. „Mich begeistert besonders, dass sie be- ruflich die gleichen Startbedingungen haben wie Deutsche“, sagt Reinhild Renée Ernst von der GIZ. Es sei eben nicht so, dass die Viet- namesen als billige Hilfskräfte engagiert wür- den. Sie lernen den Beruf von Grund auf und verdienen nach Tarif. Der ist entgegen land- läufiger Auffassung gar nicht schlecht: Mit rund 1.800 Euro netto kann eine Fachkraft nach der Ausbildung rechnen. Die Vietna- mesen haben zudem die gleichen Aufstiegs- chancen. Und schließlich: Arbeiten sie – ein- schließlich der Ausbildung – fünf Jahre, erhalten sie ein dauerhaftes Bleiberecht. Einstieg gleich ins zweite Ausbildungsjahr Eilig fährt Ngan mit dem Aufzug in den drit- ten Stock des Leonhard-Henninger-Hauses und verschwindet in der Kleiderkammer. Kommt heraus in der Uniform der Pflege- kräfte: lila Zweiteiler, weiße Turnschuhe. Die glatten langen Haare sind zum Pferdeschwanz gebunden. Erste Aufgabe: wecken. „Guten Morgen, möchten Sie aufstehen?“, ruft sie freundlich in den ersten halbdunklen Raum. Hilft dann beim Aufrichten, steckt Füße in Pantoffeln, zieht den Rollator heran, begleitet ins Badezimmer, schließlich in den Früh- stückssaal. Und dann ist schon das nächste Zimmer dran. Längst ist das Routine. Die harten ersten Monate hat „Nani“, wie sie von Senioren und Kollegen genannt wird, trotzdem nicht ver- gessen. Das größte Problem: die Sprache. „So schwierig“, sagt sie, „andere Melodie.“ Zwar hat sie, wie alle Teilnehmer des Projekts, vor ihrer Ankunft in Deutschland einen sechs- monatigen Deutschkurs absolviert – aber der reichte bei weitem nicht für den Alltag. Zu- mal die Vietnamesen wegen ihrer fachlichen Vorkenntnisse gleich im zweiten Ausbil- dungsjahr einstiegen. Angeworben wurden nämlich nur ausgebildete Krankenschwes- tern und -pfleger. Das sollte auch gewährleis- ten, dass sie eine Vorstellung davon haben, was sie konkret erwartet. Denn in Vietnam ist der Beruf des Altenpflegers erst im Entste- hen, dort werden Groß- und Urgroßeltern traditionell in der Familie betreut. Als jüngstes von sechs Geschwistern ist Ngan in Ho-Chi-Minh-Stadt aufgewachsen, dem früheren Saigon und Vietnams größter Metropole. Über das Projekt habe sie „im In- ternet“ gelesen, sagt sie. Da hatte sie ihre Ausbildung als Krankenschwester schon be- endet. Von Deutschland wusste sie nicht viel: „Liegt in Europa, man kann von dort reisen, und, na ja, das Bier halt.“ Sie erzählt, wie sie zur Begrüßung in ein bayerisches Restaurant eingeladen wurde und es Schweinebraten gab: „So groß“ sei er ihr vorgekommen, ihre Hände malen einen Kreis wie ein Wagenrad, und salzig habe er geschmeckt. „Das mochte ich nicht.“ Der kleine Satz zeigt, wie gut sie sich eingestellt hat auf ihr neues Leben. In Vietnam wäre es unhöflich, so etwas zu sagen, aber in Deutsch- land darf man das, hat sie gelernt. „Deutsche sind immer sehr direkt.“ „Anfangs hat sie, wenn wir uns im Flur begegneten, die Augen niedergeschlagen und traute sich kaum vorbei“, erinnert sich Heim- leiter Frank Chylek. Der Respekt vor Vorge- setzten ist in Asien weitaus stärker als in Deutschland. Dafür sind auch die Ansprüche an die Gemeinschaft am Arbeitsplatz höher. Ngan hatte Glück, an Stationsleiterin Zuhra Iljkic zu geraten, die ihr 14-köpfigesTeam mit mütterlicher Wärme führt. Iljkic stammt aus Bosnien, wie viele der Pflegerinnen. „Ich hab’ Nani ins Team integriert“, sagt sie einfach. Dazu gehörte die klare Anweisung an alle, sich ausschließlich auf Deutsch zu verständi- gen – damit sich niemand ausgegrenzt fühlt. Jeder sagt, wie freundlich die Vietnamesinnen sind Auch die unterschiedlichen Nähe- und Dis- tanzerwartungen galt es auszutarieren. In Vi- etnam ist Körperkontakt nur unter Verwand- ten und sehr guten Freunden üblich. Ngan hat sich umgestellt. „Sie küsst uns alle zur Be- grüßung, wie die Bosnierinnen“, sagt Iljkic. Frühstückspause für die Pflegerinnen. Ngan stellt Brot und Joghurt auf die » „Eine wunderbare Schwester“: Die 91-jährige Liselotte K. ist von Ngans Freundlichkeit und Fürsorglichkeit begeistert.

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