AKZENTUIERT akzente 3/15 27 Jeder, wie er kann Ein Gastbeitrag von Mary Robinson ZUR PERSON MARY ROBINSON, ehemalige Präsidentin Ir- lands und frühere Hohe Kommissarin der Ver- einten Nationen für Menschenrechte, ist heute Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für den Klimawandel. D er Handlungsbedarf beim Klimawan- del ist offensichtlicher denn je: Zu viele Menschen müssen leiden, und an zu vielen Orten rund um den Globus stehen jahrzehntelange Entwicklungsfortschritte auf dem Spiel. Der Wissenschaft ist schon lange klar, dass die Zeit drängt. Und auch wirt- schaftlich betrachtet wissen wir seit vielen Jahren, dass Untätigkeit weitaus teurer ist. Doch trotz dieses eindeutigen Urteils werden dringend notwendige Klimaschutzmaßnah- men Jahr um Jahr hinausgezögert. Zu den Hauptursachen dafür zählt die Frage, wie sich die Welt die Anstrengungen, die zur Stabilisierung des Klimas notwendig sind, aufteilen soll – oder in der trockenen Sprache der Klimaverhandlungen: wie „ge- meinsam, aber differenziert“ Verantwortung übernommen werden kann. Ein wirksames Klimaabkommen wird es in Paris nur geben, wenn es gelingt, die Maßnahmen so gerecht aufzuteilen, dass alle Länder einen ihnen angemessenen Teil der Lasten tragen. Die Unterhändler müs- sen sich also sehr detailliert mit einem kom- plexen Verhandlungstext auseinandersetzen. Denn dieser wird den Grundstein für den Klimaschutz der kommenden Jahr- zehnte legen. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass die Frage der Lastenteilung schnell zur „roten Linie“ gerät und die Verhandlungen gefähr- det. Besser wäre es deshalb, den Begriff der „gemeinsamen, aber differenzierten Verant- wortung“ als Katalysator zu begreifen – als Katalysator für einen Transformationspro- zess, der anerkennt, dass unterschiedliche Staatengruppen unterschiedliche Aufgaben und Pflichten haben. Die wohlhabenden Länder müssen rasch auf CO2 -arme Wirtschaftsweisen umschwen- ken. Von den Schwellen- und Entwicklungs- ländern hingegen wird etwas erwartet, das es so noch nie gegeben hat: Sie sollen stabile Gesellschaften entwickeln, ohne auf fossile Energien und auf Methoden der Landnut- zung zu setzen, die mehr als ein Jahrhundert als Basis für wirtschaftlichen Erfolg galten. Das ist eine der größten Herausforde- rungen, vor denen Länder je gestanden ha- ben – und sie wird noch dadurch verschärft, dass es genau die Länder sind, in denen nicht nur der größte Teil der Weltbevölke- rung lebt, sondern die in den kommenden Jahrzehnten auch den größten Entwick- lungsbedarf haben. Ob es ihnen gelingt, die für einen solchen Wandel nötige Kraft aufzubringen, hängt zu einem guten Teil davon ab, wie die inter nationale Gemeinschaft den Begriff „ge- meinsame, aber differenzierte Verantwor- tung“ im Abschlussdokument von Paris definieren wird. Das heißt vor allem, dass es klare Verein- barungen zur Klimafinanzierung und zum Technologietransfer geben muss. Beide wer- den fälschlicherweise immer wieder als Wohl- tat für die armen Länder dargestellt. Aber wenn wir den Klimawandel als etwas begrei- fen, das wir wegen seiner katastrophalen Fol- gen gemeinsam abwenden müssen, dann ist die Klimafinanzierung nicht eine Frage von Mildtätigkeit, sondern liegt schlicht in un- serem eigenen Interesse. So gedacht, muss Klimaschutz in den entwickelten Staaten und ebenso in den Ent- wicklungsländern stattfinden, wobei die fi- nanzielle und technologische Unterstützung von den Industrieländern geleistet werden muss. Diese zusätzliche Anstrengung braucht es, um das Problem zu bewältigen. Künftige Generationen werden uns da- ran messen, wie wir mit diesem Problem um- gegangen sind – einem Problem, für das wir Lösungen und genügend Finanzmittel ha- ben. Sollten wir scheitern, weil wir uns auf eine angemessene Aufgabenteilung nicht ei- nigen konnten – was werden sie dann über uns denken? foto:GettyImages/MomentOpen/Jean-PhilippeTournut(S.26),ILLUSTRATION:ELLIOTBEAUMONT(S.27) akzente 3/1527