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GIZ-Akzente-1-15-Deutsch

13akzente 1/15 gen handgeschriebene Zettel: „Truancy – Schulverweigerung“, „CSP – Case Service Plan“. „Auch nach zwei Monaten kann ich mir nicht alles merken“, seufzt sie. Dann geht sie ins fensterlose Büro ihrer Vorgesetzten, Ja- mie Prewozniak. Beginn der Teamsitzung. Die Kolleginnen falten die Hände und beten. Religion spielt im Mittleren Westen der USA eine ungleich größere Rolle als in Deutschland. Bethge, selbst evangelisch, hat mit einiger Überraschung registriert, dass bei der Resozialisierung Straffälliger der Gottes- dienstbesuch als genauso wichtig angesehen wird wie eine Therapiestunde. Sie hebt die Schultern. „Tja, so ist das hier.“ Beim Vorbe- reitungsseminar der GIZ wurde den Teilneh- mern eingeprägt, dass sie nicht nach Amerika gehen, um das Land zu verändern. „Das war ein wichtiger Hinweis“, sagt Bethge. In Kalamazoo erlebt sie immer wieder, wie unterschiedlich Sozialarbeit begriffen wer- den kann. Langzeitpflege wie in Deutschland gibt es nicht – meist wird bereits nach zwölf Monaten entschieden, ob die leiblichen Eltern ihr Leben in den Griff bekommen haben und das Kind zurückkehren kann. Wenn nicht, wird es zur Adoption freigegeben. Als Bethge das hörte, war sie bestürzt. „Diese endgültige Entscheidung wird so schnell getroffen?“ Doch als sie den amerikanischen Kolleginnen das deutsche System erklärte, waren die scho- ckiert. „Sie konnten nicht verstehen, dass wir die Kinder so lange im Schwebezustand lassen. Ein Kind brauche doch Sicherheit.“ Die fremde Spiegelung des eigenen Blicks, das Zulassen von Zweifeln – das ist vielleicht der größte Gewinn des Programms. „Ingrid bringt eine Menge Erfahrungen mit“, sagt Prewozniak, ihre Betreuerin. „Wir reden viel über die Unterschiede zwischen dem amerikanischen und deutschen System. Das hilft nicht nur ihr, sondern auch uns.“ Da gab es diese Szene vor Gericht. Jeden Donnerstag begleitet Bethge eine Kollegin zu einer Sorgerechtsverhandlung. Sicherheits- schleuse, Waffenkontrolle, Videoüberwa- chung – daran hatte sie sich bereits gewöhnt. Auch an den Verhandlungssaal, der so aus- sieht, wie man es aus Filmen kennt: mit einer respekteinflößenden Richterempore aus Rente und du gehst ins Ausland“, sagte eine Freundin fast vorwurfsvoll. Bethge lernte: Wer sich auf neue Wege begibt, stellt auch den Status quo der anderen in Frage. Jeden Mittwochabend besucht sie eine Vorlesung in Sozialpolitik, die Don Cooney gibt, ein Stadtrat in Kalamazoo und charis- matischer Aktivist. Der 77-Jährige entfacht unter den Studenten hitzige Diskussionen über Polizeigewalt, Bildungschancen, die Flucht der Weißen in die Vororte. Der unge- wohnt emotionale Ton des Seminars rüttelt Bethge auf, „manchmal kann ich nachts nicht schlafen“. Was wird sie mitnehmen nach Deutsch- land? Viele praktische Ideen: Checklisten, die den Alltag erleichtern. Mehr digitales Fortbil- dungsmaterial – Bethanys Onlinekurse haben ihr imponiert. Die Absicht, den Verein stärker für Besucher von außen zu öffnen – das ist auch fürs Spendensammeln gut. Doch sie hat auch gemerkt, woran es in Amerika fehlt: an Prävention. An Program- men, die greifen, bevor ein Konflikt eskaliert. In Deutschland haben Familien darauf sogar einen gesetzlichen Anspruch. „Ich kehre auch mit Dankbarkeit zurück“, sagt Bethge. „Erst jetzt kann ich richtig würdigen, was unser ­Sozialsystem alles ermöglicht.“ dunklem Holz. Doch dann wurde die Mutter in den Saal geführt – mit Handschellen und Fußfesseln. Sie saß wegen Drogenmissbrauchs in Untersuchungshaft. Bethges Bethany-Kol- legin Kelly Allen erinnert sich: „Für mich war der Auftritt normal, aber Ingrid wurde ganz blass. Das hat mich nachdenklich gemacht. Bin ich vielleicht schon abgestumpft?“ Mit neuen Ideen und frischem Blick zurück in die Heimat Andererseits begegnet Bethge vielem, das vor- bildlich ist. Das Niveau der Traumaarbeit be- eindruckt sie: Misshandelte Kinder werden in- tensiv von Spezialisten betreut. Sie lernt neue Methoden, etwa wie Kinder die Familiensitu- ation im Sandkasten nachstellen. Auch die effiziente Arbeitsorganisation gefällt ihr. Sie wiederum ergänzt das Repertoire ihrer Kol­le­ ginnen um videogestützte Elternberatung. So erfolgreich ihr Praktikum auch ver- läuft – nicht alles geht glatt. „Es kommt vor, dass ich vergessen werde“, sagt sie und hat plötzlich eine ganz kleine Stimme. Böse Ab- sicht ist das nicht – in den USA sind Zusagen nur nicht so verbindlich wie in Deutschland. Ihr Mann Klaus, ein Ingenieur, und ihre vier erwachsenen Kinder haben den Ausflug ins Unbekannte unterstützt. Der Freundes- kreis in Stutensee, einer ländlichen Gemeinde zwischen Heidelberg und Karlsruhe, hinge- gen reagierte verunsichert. „Wir denken an > AUF EINEN BLICK Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend führt die GIZ gemeinsam mit der amerikanischen Partnerorganisation Council of Internatio- nal Programs das Fortbildungsprogramm in den USA für Fachkräfte aus dem Sozial- bereich der Kinder- und Jugendhilfe durch. Ziel des Programms ist es, die vielfältigen deutsch-amerikanischen Beziehungen durch den Austausch motivierter Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe zu vertiefen und sowohl den teilnehmenden Fachkräften selbst als auch dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt durch einen transatlantischen Brückenschlag Impulse und Motivation für neue Ansätze zu geben. Transatlantischer Fachkräfteaustausch > Ansprechpartnerin Barbara Vogt-Seeliger > barbara.vogt-seeliger@giz.de

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