Beratung für Start-ups

Zwei Länder, zehn Gründer

Bei einem „Bootcamp“ in Berlin lernen deutsche und indische Start-up-Unternehmer von- und miteinander. Manch eine Innovation aus dem Bereich erneuerbare Energien bekommt hier den entscheidenden Schub. 

Text
Astrid Herbold
Fotos
Thomas Grabka

Die Marshmallows sind reif und müssen dringend geerntet werden. Der Playmobil-Bauer kommt mit seinem Matchbox-Auto und pflückt sie von den gelben Papierfeldern. Dann transportiert er sie zum Markt, wo viel Monopoly-Spielgeld auf ihn wartet. Doch wohin mit jenen Marsh­mallow-Früchten, die er nicht gleich verkaufen kann? Zum Glück gibt es ganz in der Nähe ein Kühlhaus aus hellblauer Pappe, das noch freie Kapazitäten hat.

Ideenwerkzeug: Was sich für die Kinderbastelstunde eignet, ist auch ideal, um Konzepte anschaulich zu machen.
Ideenwerkzeug: Was sich für die Kinderbastelstunde eignet, ist auch ideal, um Konzepte anschaulich zu machen.

Es ist ein überraschender Anblick, der sich in einem Hinterhofgebäude in Berlin-Kreuzberg bietet. Zehn Erwachsene hocken auf bunten Decken, schieben Stöckchen und Figürchen umher, hantieren mit Scheren und Klebstoff. Was aussieht wie Kunstunterricht für Drittklässler, ist Teil eines Gründerseminars, bei dem fünf indische und fünf deutsche Jungunternehmer gemeinsam an ihren Geschäftsmodellen feilen. Mit einem Verfahren namens „Rapid Prototyping“, was in etwa „schneller Modellbau“ bedeutet, wollen sie neue Erkenntnisse über Märkte und Kunden gewinnen. 

Kühlschrank für die Lagerung von Impfstoffen

„Wir versuchen, uns in einen indischen Bauern hineinzuversetzen“, sagt Arno Zimmermann. „Kann er Geld für die Kühlung seiner Ernte ausgeben? Wenn ja, unter welchen Umständen würde er es tun?“ Zimmermann interessiert das brennend. Der 29-Jährige hat vor kurzem mit anderen Ingenieuren in Berlin die Firma Coolar gegründet. Das Start-up entwickelt einen Ökokühlschrank, der ohne Dieselmotor, Photovoltaikanlage und Batterie auskommt. Der Trick: Die Wärme der Sonne wird in Wassertanks gespeichert und durch den physikalischen Prozess der Adsorption in Kälte umgewandelt. Der Kühlschrank soll etwa bei der Lagerung von Impfstoffen in Afrika zum Einsatz kommen. „Wir überlegen, ob die indische Landwirtschaft für uns ebenfalls ein Markt sein kann“, erklärt Coolar-Kollege Christoph Göller.

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Die richtigen strategischen Entscheidungen zur richtigen Zeit zu treffen, ist für viele Start-ups eine Herausforderung. Umso wichtiger sind kompetente Gesprächspartner. Sowohl in Deutschland als auch in Indien gibt es eine Gründerszene, die im Bereich erneuerbare Energien nach innovativen Lösungen sucht. Doch konstruktive Kontakte gibt es bisher kaum. In Indien mangelt es außerdem am Dialog zwischen Großkonzernen und Gründern. Zwar existieren landesweit rund 160 sogenannte Inkubatoren und Acceleratoren – Zentren, in denen Start-ups gefördert werden. Doch diese Zentren sind selbst oft noch jung und wenig vernetzt, so dass die indischen Gründer auch dort selten mit Investoren und einflussreichen Firmenvertretern in Kontakt kommen. 

Gesucht: innovative Wege der Energieversorgung

Die GIZ engagiert sich deshalb seit 2015 in Indien im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für eine engere Kooperation zwischen Start-ups, Gründungszentren und Unternehmen. Die strategische Allianz ist Teil des Programms develoPPP.de zum Engagement der Privatwirtschaft für nachhaltige Entwicklung. Die Kooperationspartner sind Bosch Engineering and Business Solutions – ein indisches Tochterunternehmen des deutschen Technologiekonzerns – und die indische Firma Intellecap, die Sozialunternehmen in abgelegenen Regionen fördert. 

Bis 2017 sollen vielfältige Netzwerke zwischen Gründungszentren, Start-ups und Konzernen entstehen. Formate wie das „Bootcamp“ oder „Demo Days“, bei denen Start-ups auf Unternehmen treffen, werden erprobt. Außerdem wurde die Plattform „StartupWave“ um Kooperationsmöglichkeiten zwischen Großkonzernen und Start-ups erweitert. „Wir verstehen uns als Brückenbauer“, sagt Projektleiterin Eileen Trenkmann. „Wir wollen den Start-ups in einer frühen Phase unter die Arme greifen und sie an starke Partner vermitteln.“ Ein weiteres Projekt läuft bereits erfolgreich: Gemeinsam mit dem Sozialunternehmen Aravind, das kostenlose Augenuntersuchungen und -operationen für die arme ländliche Bevölkerung in Indien anbietet, engagierten sich Bosch und die GIZ dafür, technische Innovationen in Augenkliniken einzuführen.

Gründer treffen auf Partner, die ihnen Türen öffnen 

Auch in Berlin soll zusammenkommen, was zusammengehört. Alle Anwesenden eint, dass sie seit Jahren über Energie nachdenken – über alternative Versorgung, Kochen mit erneuerbaren Energien oder sparsame Kühlung. Das sind drängende Themen in Indien, wo mindestens jeder Fünfte unterhalb der Armutsgrenze lebt. Die Lagerung von Lebensmitteln funktioniert gerade auf dem Land nur schlecht. Mehr als ein Viertel der landwirtschaftlichen Produkte geht deshalb schon auf dem Weg zum Verbraucher verloren: weil es keine zuverlässige Stromversorgung gibt, weil Lager fehlen oder Kühlketten beim Transport unterbrochen werden. Außerdem bereiten 85 Prozent der Menschen auf dem Land ihre Mahlzeiten noch immer auf Holzfeuerstellen zu. Gasherde wären gesünder und umweltfreundlicher, doch Gas ist für Millionen Inder unerschwinglich. 

Der 28-jährige Piyush Sohani weiß, dass die primitiven Kochstellen selbst in den Dörfern nahe der Metropole Delhi vorherrschen. Dabei gibt es kleine Biogasanlagen, die neben den Wohnhäusern installiert sind und von den Bauern mit organischen Abfällen befüllt werden können. Doch kaum jemand nutzt sie. „Die Systeme sind veraltet und unzuverlässig“, sagt Sohani. Deshalb gründete der Ingenieur 2013 an der Universität Delhi ein Unternehmen zur Produktion von Biogasanlagen, SustainEarth Energy Solutions. Mittlerweile ist der Prototyp fertig und in der Erprobungsphase.

Im Gespräch mit anderen Gründern überlegen die Teilnehmer  des Seminars, wie sie ihre Unternehmen weiter verbessern können.Rede und Antwort: Arno  Zimmermann hat mit weiteren  Ingenieuren einen Ökokühlschrank entwickelt.Ernst und Spiel: Erst mal den Teamgeist stärken. Bildergalerie: Im Gespräch mit anderen Gründern überlegen die Teilnehmer des Seminars, wie sie ihre Unternehmen weiter verbessern können.

Aus mehr als 100 Bewerbern hat eine Jury die zehn Teilnehmer für das „Bootcamp“ ausgewählt. Der enge thematische Fokus macht den Dialog nun leicht – auch wenn die indischen und die deutschen Gründer am ersten Tag ein wenig schüchtern getrennt voneinander sitzen. Die einen förmlich in Anzug und Hemd, die anderen im typischen Berliner Jeans-und-Turnschuh-Outfit. Doch das Eis bricht schnell. Am dritten Tag beim Modellbau geht es schon deutlich lockerer zu. „Es ist toll, dass wir uns hier auf Augenhöhe unterhalten können“, sagt Arno Zimmermann von Coolar. Anknüpfungspunkte gibt es viele: Aus Indien sind Gründer dabei, die dieselfreie Kühlungssysteme für Lkws anbieten oder Software für Solaranlagen, aus Deutschland Firmen, die Miniwindturbinen oder Biogaskocher verkaufen wollen. 

„Gerade der informelle Austausch ist enorm wichtig“, sagt Mareike Müller vom Social Impact Lab, das das Seminar zusammen mit der GIZ organisiert. Das Social Impact Lab hat sich auf die Förderung von Sozialunternehmen spezialisiert und bietet in mehreren deutschen Städten Mentorenprogramme an. „Durch die intensive Arbeit in den Workshops nehmen die Gründer viele neue Ideen mit nach Hause. Und sie lernen Leute kennen, die ihnen später Türen öffnen.“ 

Das Finale: der „Pitch“ und die nächsten Schritte 

Vor allem vom Kooperationspartner Bosch erhoffen sich die Gründer entscheidende Impulse. Der Konzern nimmt seine Mentorenrolle ernst: Manohar Esarapu und ein Kollege sind bei allen Seminaren dabei, geben in Gruppen- und Einzelgesprächen ausführlich Feedback. Bei Piyush Sohanis Biogasanlage, das wird schnell klar, hakt es noch am Geschäftsmodell. Dem Gründer schwebt eine Lösung vor, bei der die Bauern mit der Anlage sogar Geld verdienen können – indem sie den Dünger verkaufen, der bei der Gasproduktion nebenher abfällt. Nur: Wer sammelt den ein, transportiert ihn, verpackt ihn, vermarktet ihn? Viele kritische Fragen muss Sohani sich gefallen lassen. Trotzdem ist er dankbar: „Ich weiß jetzt, an welchen Punkten ich arbeiten muss.“ 

Damit aus Ideen Taten werden

Gemeinsam wollen sie die Zusammen­arbeit von Großunternehmen, Gründerzentren und innovativen Start-ups fördern: Die Firmen Bosch und Intellecap sowie die GIZ im Auftrag des Bundesministe­riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind dabei strategische Partner. Sie verbessern die Möglichkeiten der Gründerzentren durch Kooperationen mit Großunternehmen. Zudem unterstützen sie ambitionierte Gründer mit vielversprechenden Ideen direkt, wie zum Beispiel durch das zehntägige Berliner „Bootcamp“ für ausgewählte Start-ups aus Deutschland und Indien.

Am letzten Tag dann die Feuerprobe: der „Pitch“. So nennt man es, wenn Start-ups vor Investoren ihre Ideen präsentieren. Mehr als 30 Zuhörer haben sich eingefunden, auch Vertreter der Energieunternehmen Vattenfall und RWE sind dabei. Die Regeln für die Präsentation sind streng, am Vortag konnten die Gründer sie mit einer Trainerin aus dem Silicon Valley einüben. Nur fünf Minuten Zeit haben sie, um das Interesse des Publikums zu wecken. Eine Stoppuhr zählt erbarmungslos die Sekunden herunter. 

Am Ende gewinnt Coolar die Auszeichnung als bestes deutsches Start-up und geht mit einer Einladung nach Indien nach Hause. Auch Sohani ist zufrieden: „Ich habe eine Menge Fortschritte gemacht.“ Mittlerweile ist sein Geschäftsmodell so weit ausgereift, dass er es in wenigen Worten auf den Punkt bringen kann. Jetzt hofft er auf die nächste Runde: In Kürze will er die Präsentation wiederholen, dann in Indien und vor indischen Konzernen und Investoren.

Ansprechpartner: Eileen Trenkmann eileen.trenkmann@giz.de

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