Bereits sechs Jahre vor dem Fall des Assad-Regimes hat die GIZ damit begonnen, gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen und internationalen Organisationen Voraussetzungen für den Wiederaufbau Syriens zu schaffen. Im Auftrag des BMZ wurden Dokumente und Informationen zu Wohn-, Land- und Eigentumsrechten (HLP) gesammelt, gesichert und systematisch archiviert. Flüchtlinge und Vertriebene wurden über vertrauenswürdige Medien und Veranstaltungen in Flüchtlingscamps informiert. Zudem baute die GIZ mit Partnern ein Netzwerk an syrischen HLP-Expert*innen aus vielen Fachgebieten auf. Deren Wissen ist für einen gerechten politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbau des Landes von großer Bedeutung.

Im Zeichen von Recht und Würde
Damit Syrerinnen und Syrer ihr Land gerecht und stabil wiederaufbauen können, müssen Eigentumsrechte von Flüchtlingen und Vertriebenen gesichert werden. Gemeinsam mit Partnern hat die GIZ hierfür eine wichtige Grundlage geschaffen.
Was tun, wenn in der Wohnung, aus der man vertrieben wurde, inzwischen andere leben? Was tun, wenn die Eigentumsurkunde für das Haus auf der Flucht verloren ging oder bei einem Angriff verbrannte? Was tun, wenn das alte Regime das Grundstück der Familie enteignet und einem seiner Anhänger überschrieben hat?
Syrien hat nach dem Sturz des Assad-Regimes ein neues Kapitel aufgeschlagen. Aber nach 14 Jahren Krieg ist die Lage fragil, weite Teile des Landes sind zerstört. Gleichzeitig ist die Hoffnung groß, dass sich die Wirtschaft nach dem Ende der Sanktionen erholt, Not und Armut der Bevölkerung abnehmen. Doch ehe das Land und seine Menschen zur Ruhe kommen können, müssen viele Fragen beantwortet werden. Dazu gehören auch die Eigentumsrechte von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen. Sie sind eine wichtige Voraussetzung für Stabilität in Syrien und für die mögliche Rückkehr der Menschen, wie der Norwegische Flüchtlingsrat in einer neuen Studie betont. Während des Krieges sind rund 5,6 Millionen Menschen aus Syrien geflohen und mehr als sieben Millionen wurden innerhalb des Landes vertrieben.
Gerade mit Blick auf den Wiederaufbau und die Investitionen, die nach Aufhebung der Sanktionen zu erwarten sind, muss zeitnah geklärt werden, wem was gehört, betont Rana Mitri. Die syrische Juristin arbeitet vom Libanon aus für die GIZ. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen kümmert sie sich darum, Dokumente über Land- und Wohneigentum (Housing, Land and Property Rights, HLP) in Syrien zu sichern und diese künftig digital bereitzustellen.

Blick aus einem Wohngebäude in Syriens Hauptstadt Damaskus, das während des Bürgerkriegs zerstört worden war.
Nach der gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Proteste durch das Assad-Regime im Jahr 2011 hatte die Bundesregierung die zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit Syrien ausgesetzt. In den folgenden Jahren des Bürgerkriegs unterstützte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die syrische Bevölkerung ausschließlich direkt sowie in den aufnehmenden Nachbarländern. Die GIZ arbeitete dazu mit den Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen beispielsweise im Gesundheitsdienst oder bei der Versorgung von Flüchtlingen in den Nachbarländern zusammen.
Vorausschauender Einsatz für Eigentumsrechte
Seit 2018 hat die GIZ im Auftrag des BMZ vorausschauend die Grundlagen dafür geschaffen, dass nach dem Fall des Regimes syrische Flüchtlinge und Binnenvertriebene ihre Eigentumsrechte sichern und durchsetzen können. Ein Anlass war damals ein umstrittenes Gesetz der Regierung Assad. Es verstieß gegen international anerkannte Rechte auf Eigentum und Wohnraum, wie sie in den internationalen Menschenrechtsnormen verankert sind, und hatte besonders starke Auswirkungen auf die vertriebenen Syrer*innen. Das Gesetz verpflichtete beispielsweise Immobilienbesitzer, innerhalb einer kurzen Frist persönlich ihre Eigentumsrechte nachzuweisen. Für Regimekritiker, die geflüchtet waren, kam das einer Enteignung gleich, denn für sie wäre damals die Rückkehr zu gefährlich gewesen.
Es sollte bis zum 8. Dezember 2024 dauern, bis Machthaber Baschar al-Assad und sein Regime gestürzt waren. Rana Mitri erzählt, wie sie an diesem historischen Tag ungläubig und voller Tränen die Nachrichten verfolgte. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich das noch erlebe“, sagt die 43-Jährige.
Mutige Menschen sicherten Dokumente
Lange Zeit erschien das Ende des Assad-Regimes unwahrscheinlich. Doch das hinderte die GIZ-Mitarbeiter*innen nicht daran, sich über viele Jahre hinweg unermüdlich dafür einzusetzen, dass wichtige Dokumente in Syrien nicht verloren gingen. Die GIZ arbeitete mit zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen und mutigen Menschen in Syrien zusammen, um Eigentumsrechte zu sichern.
„Es gab Personen aus dem öffentlichen Dienst, die früher in der Landverwaltung oder in Grundbuchämtern gearbeitet hatten und bereits ab 2013 Dokumente scannten. Ihnen war klar, wie wichtig diese Papiere einmal sein könnten“, sagt Mitri. Die GIZ erfuhr von den wertvollen Daten und konnte in Gebieten, die nicht vom Regime kontrolliert wurden, Kontakt aufnehmen. „Wir haben das Vertrauen der Menschen gewonnen, so dass sie uns Festplatten mit unzähligen Aufnahmen überreichten. Das funktionierte auch deshalb, weil Deutschland bei weiten Teilen der Bevölkerung einen guten Ruf hat.“
Um die wichtigen Unterlagen langfristig zu sichern und digital zugänglich zu machen, arbeitete die GIZ unter anderem mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zusammen. „Die IOM hat die Dokumente übernommen. Und wir haben sie dabei unterstützt, eine IT-Lösung aufzubauen, womit eine vertrauenswürdige syrische Regierung in Zukunft sicherstellen kann, dass Syrerinnen und Syrer ihre Eigentumsrechte zurückerhalten“, erklärt Mitri. Bereits 1,7 Millionen Dokumente über Land- und Wohneigentum wurden archiviert. Zudem wurden 33.000 HLP-Anträge von Flüchtlingen erfasst.
Es sind die Menschen hinter den Zahlen, die Rana Mitri bei ihrer Arbeit motivieren. Eine Begegnung hat die Juristin besonders berührt. In einem Flüchtlingslager im Libanon wollte eine ältere Frau nichts von Eigentumsrechten hören. „Warum redest du mit mir über meinen Grund und Boden? Auf diesem Land musste ich im Krieg drei Söhne begraben. Ich will es nicht mehr haben“, wehrte die Syrerin zunächst ab. Nach einer Weile entschied sich die Großmutter jedoch, alles zu tun, um ihr Grundstück zurückzubekommen: „Sie haben mir mein Leben, meine Träume, meine Söhne genommen. Aber mein Haus und mein Land schütze ich jetzt für meine Enkelkinder.“ Für diese Frau, die viel durchgemacht hat, ist es am Ende eine Frage von Recht und Würde.

Reste eines traditionellen Hauses in der Altstadt von Aleppo. Die syrische Stadt erlebte schwere Angriffe während des Bürgerkriegs und war zudem vom Erdbeben Anfang 2023 betroffen.
Hier sind fünf anonymisierte Beispiele von Flüchtlingen, die von der GIZ unterstützte Rechtsberatung genutzt haben:
Najwa
Die Syrerin floh 2014 vor den schweren Gefechten aus der Grenzstadt Daraa ins nur wenige Kilometer entfernte Jordanien. Kurz vor ihrer Flucht hatte sie ihr Haus vollständig abbezahlt. Doch sie konnte das Gebäude nicht als ihr Eigentum registrieren, da das Assad-Regime hierfür eine politische Überprüfung verlangte. Jetzt versucht sie, ihren Eigentumsanspruch rechtssicher zu dokumentieren. Damit sie abgesichert wieder in ihrem Haus leben kann.

Zakwan
Der Mann aus dem westsyrischen Homs war im Dezember 2012 mit seiner Familie nach Jordanien geflohen. In der Eile hatte er die offizielle Eigentumsurkunde für das Familienhaus zurückgelassen. Später erfuhr er, dass das Haus zerstört worden war. Im Juli 2023 nahm Zakwan an einer Informationsveranstaltung zu Land- und Eigentumsrechten (Housing, Land and Property Rights, HLP) von GIZ-Partnern teil. Die anschließende individuelle Rechtsberatung unterstützt ihn dabei, seine Eigentumsrechte im neuen Syrien geltend zu machen und eine neue Urkunde für sein Grundstück zu erhalten.
Fadi
Der Syrer wurde 2015 inhaftiert und von dem syrischen Anti-Terror-Gericht, einem außerordentlichen Justizorgan des Assad-Regimes, angeklagt. Zu diesem Zeitpunkt gehörte ihm ein Grundstück in Darayya, einem Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus. Während seiner Haft wurde sein Eigentum vorläufig beschlagnahmt. Obwohl Fadi von allen Terrorismus-Vorwürfen freigesprochen wurde und freikam, blieb der Vermerk auf seinem Grundstück bestehen. Nun hat er rechtliche Hilfe gesucht, um die Beschlagnahme aufzuheben und nach vielen Jahren das volle Eigentumsrecht wiederherzustellen.

Bassam
Das Grundstück von Bassams Familie wurde unter der Herrschaft von Baschar al-Assad ohne jede Rechtsgrundlage von einem Beamten beschlagnahmt. Das Mitglied der sogenannten syrischen Sicherheitskräfte legte es vor dem Sturz des Regimes (illegal) mit einem benachbarten Grundstück zusammen. Dadurch wurden die offiziellen Grundstücksgrenzen verändert. Das macht es für Bassam schwer, seine Rechte einzufordern, da in den Katasterunterlagen andere Pläne verzeichnet sind.
Nada
Nadas Bruder starb auf der Flucht vor dem Assad-Regime. Er war unverheiratet und hatte keine Kinder. Somit waren seine Geschwister die einzigen Erben seines Hauses. Doch alle Dokumente wurden während des Krieges durch ein Feuer zerstört. Nun kämpft Nada im Namen der Familie darum, die Eigentums- und Erbschaftsrechte nachzuweisen.

Disclaimer: Die Beispielfälle wurde anonymisiert von den Berater*innen des Teams für Land- und Eigentumsrechte bei Beratungsgesprächen aufgezeichnet. Die mit Hilfe künstlicher Intelligenz erzeugten Illustrationen sind symbolisch und stellen nicht die genannten Personen dar.
Digitale Lösungen für Geflüchtete und Vertriebene
Wie kann Informationstechnologie geflüchteten und vertriebenen Syrer*innen dabei helfen, zu ihrem Recht zu kommen? Eine Datenbank, die digitalisierte Dokumente mit Georeferenzdaten verknüpft und systematisiert und zugleich eine Rechtsberatung bietet, ist ein wichtiges Instrument zum Schutz von Land- und Wohneigentum (Housing, Land and Property Rights, HLP). Die GIZ hat eng mit der IOM in Genf zusammengearbeitet, um eine solche HLP-Datenbank aufzubauen. Sie bietet zudem noch Informationen zu Eigentumsverhältnissen, bevor staatliche, humanitäre oder wirtschaftliche Maßnahmen eingeleitet werden (Due-Diligence-Prüfung). Künftig können Betroffene dort gezielt auf Unterlagen zugreifen und werden zudem beraten. So können die Menschen darauf vertrauen, dass die am Wiederaufbau beteiligten Akteure ihre HLP-Rechte ernst nehmen. In Krisen- und Konfliktregionen haben Geflüchtete und Vertriebene oft Mühe, ihre Eigentumsrechte zu dokumentieren. Die Arbeit der GIZ in Syrien zeigt, wie Menschen bei der Wahrung ihrer Rechte unterstützt werden können.