Erklärt
Zusammen etwas bewegen
Zwei Themen haben 2019 die Welt ganz besonders bewegt: erstens die Frage, ob und wie der Klimawandel in den Griff zu bekommen ist. Zweitens das mangelnde Vertrauen in die Politik, Anliegen ihrer Bürgerinnen und Bürger zu adressieren und Probleme zu lösen. Unter anderem in Hongkong, Irak, Libanon, Algerien, Bolivien und Chile haben Bürgerinnen und Bürger ihre Wut auf die Straße getragen. In einigen Ländern ist es die fehlende politische und wirtschaftliche Teilhabe, die die Menschen protestieren lässt. Hinzu kommt der Frust über die Einschränkung demokratischer Rechte und das Versagen von Staat und Verwaltung bei der Daseinsvorsorge.
MICHAELA BAUR
ist bei der GIZ Leiterin des Bereichs Mittelmeer, Europa, Zentralasien.
michaela.baur@giz.de
Die Protestbewegungen zeigen, wie wichtig zwei Aspekte sind, die für mich zur Demokratie gehören: zum einen die Fähigkeit des Staates, die Bevölkerung mit guten und zugänglichen Dienstleistungen zu versorgen. Zum anderen die umfassende politische und gesellschaftliche Teilhabe, die zu legitimierter Entscheidungsfindung führt. Dass hierbei die Achtung von Menschenrechten dazugehört, ist selbstverständlich. Bei unserer Arbeit versuchen wir ganzheitlich auf solche Themen zu schauen. Nicht nur Governanceprojekte sollten diese Demokratieaspekte im Blick behalten. Jedes Wasser-, Bildungs- oder Abfallvorhaben kann seinen Beitrag leisten, Mechanismen der Teilhabe und effizienter Verwaltung einzuführen und einzuüben. Gleiches gilt für Beschäftigung, Klimaschutz und Gesundheit. Ein Beispiel ist Jordanien, wo manche Orte im Norden durch syrische Flüchtlinge auf das Doppelte angewachsen sind. Dort gibt es viel Abfall, dafür umso weniger Arbeitsplätze. Bei Projekten in der Abfallwirtschaft haben wir mit den Gemeinden Kriterien entwickelt, damit alle mitmachen und profitieren können: Flüchtlinge und Einheimische, Frauen und Männer, Menschen mit und ohne Behinderungen.
Als bundeseigenes Unternehmen arbeitet die GIZ in fast allen Partnerländern mit staatlichen Institutionen zusammen. Gleichzeitig suchen wir das Gespräch mit wichtigen Institutionen und Gruppen aus der gesamten Gesellschaft. Es gab und gibt jedoch auch Fälle, in denen die GIZ nicht oder kaum auf der Ebene des Zentralstaates arbeitet. In der Ukraine waren wir vor der Maidan-Revolution 2014 nur regional präsent. Als dann die Bürgerinnen und Bürger den politischen Wandel erwirkten, konnten wir im Auftrag der Bundesregierung und der EU diesen demokratischen Prozess unterstützen: indem wir dezentrale Strukturen und Infrastruktur, insbesondere in der krisengeschüttelten Ostukraine, stärken. Nach der jüngsten Wahl in der Ukraine haben wir es plötzlich mit ganz neuen Politikerinnen und Politikern zu tun. Völlig im Sinne eines funktionierenden, demokratischen Wechsels. Für uns bedeutet das: neue und zum Teil sehr politikferne Partnerinnen und Partner. Hier zu mehr Wissen und politischem Handwerkszeug beizutragen, gehört ebenfalls zu unseren Aufgaben.
Auch beim sogenannten Arabischen Frühling vor knapp zehn Jahren hatte Deutschland schnell reagiert. Mit der Sonderinitiative des BMZ zur Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika und in Nahost werden wirtschaftliche und soziale Perspektiven für die Menschen in der Region geschaffen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Demokratisierung und Verbesserung von öffentlichen Dienstleistungen. Zwar gab es nach dem Arabischen Frühling Rückschläge und Gegenbewegungen, die Menschen haben jedoch gelernt, dass sie zusammen etwas verändern können. Neue Gesellschaftsverträge werden diskutiert, denn das paternalistische Tauschgeschäft „wirtschaftliche Teilhabe gegen Loyalität“ hat ausgedient und funktioniert nicht mehr. Schon allein wegen der demografischen Entwicklung, die zu einem hohen Anteil an jungen, meinungsstarken Menschen führt. Wie nähert sich die GIZ so einer umfassenden Reform an? Das ist ein Prozess in mehreren Schritten – ohne Partner geht da gar nichts. Wichtig ist die Frage: Wo sind die reformorientierten Kräfte in Regierung und Verwaltung, aber auch in der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und in Verbänden. Wir brauchen jene, die Veränderungswillen zeigen.
Es ist keine Alternative zu sagen, es dauert zu lang und ist zu schwierig. So ist das mit den großen gesellschaftlichen Fragen: Sie sind komplex, man trifft auf Widerstände und Hindernisse, nur wenige Menschen sind bereit, sich und alte Muster infrage zu stellen. Das merken wir auch in der zu Beginn genannten Klimadebatte. Aber es hilft ja nichts, es gibt etwas zu tun!
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