Interview

„Zur sozialen Befriedung Mexikos beitragen“

Maximilian Murck, Leiter des Rechtsstaatsprogramms in Mexiko, über die Entstehung, wichtigsten Erkenntnisse und nächsten Schritte der Kooperation.

Text
Klaus Ehringfeld
Fotos
Tonatiuh Figueroa

Herr Murck, ein halbes Jahr lang haben eine deutsche Rechtsmedizinerin und ein deutscher Rechtsmediziner gemeinsam mit mexikanischen Kolleg*innen an schnellerer und sicherer Identifizierung von Gewaltopfern in Mexiko gearbeitet. Weshalb? 

Maximilian Murck, Leiter des Rechtsstaatsprogramms in Mexiko
Maximilian Murck, Leiter des Rechtsstaatsprogramms in Mexiko

Die Belastung des sozialen Friedens in Mexiko ist vergleichbar mit Post-Konfliktgebieten: Mehr als 61.000 Menschen gelten offiziell als verschwunden. Gleichzeitig gibt es tausende bisher nicht geöffnete Gräber und über 37.000 nicht identifizierte Tote. Es ist anzunehmen, dass sich zahlreiche verschwundene Personen unter den bisher nicht identifizierten Personen befinden. 

Ausbleibende Identifizierungen führen zum einen zu immer größeren Engpässen in den rechtsmedizinischen Instituten. Zum anderen erhalten Angehörige und Suchende keine Gewissheit über den Verbleib ihrer Verwandten. Nichts zu wissen, täglich zu hoffen und nicht trauern zu können, ist für die Angehörigen von Verschwundenen extrem belastend. Wir hoffen, mit mehr Identifizierungen zu einer sozialen Befriedung Mexikos beizutragen und Vertrauen in den Rechtsstaat aufzubauen.  

Wie wurde die Zusammenarbeit etabliert? 

Die beiden Rechtsmediziner von der Universität Frankfurt wurden bei einem Mexikobesuch der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe hochrangigen mexikanischen Politikern, beispielsweise dem Ministerpräsidenten des Bundesstaates Jalisco, vorgestellt. Damit wurde ein wichtiger Baustein für eine vertrauensvolle und zielorientierte Zusammenarbeit gelegt. Dabei zeigen sich bei der Umsetzung des Projektes auch die Vorteile eines engen Zusammenspiels vor Ort von politischer (durch die deutsche Botschaft in Mexiko) und technischer Zusammenarbeit (unser GIZ-Vorhaben). 

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen Monate?  

Die mexikanischen Fachleute machen die eigentliche forensische Arbeit oft gut. Dass die Ergebnisse bei der Identifizierung jedoch trotzdem überschaubar sind, liegt an unklaren Zuständigkeiten, mangelnder Datenqualität und ineffizienten organisatorischen Abläufen. Hier hat das mexikanisch-deutsche Team angesetzt und gezeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei, Suchkommission und Rechtsmedizin ist.  

Mir ist es dabei wichtig, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten, wir wollen den Partnern nicht mit dem gehobenen Zeigefinger „Fortbildungen“ anbieten. Ein pragmatischer Ansatz ist gerade bei solchen belastenden Themen wichtig. Wir werden häufig gefragt, wie wir dieses Ausmaß an sichtbaren Folgen der Gewalt verkraften. Die Antwort ist, dass es uns im Team motiviert, konkrete Ergebnisse (Identifizierungen) zu erzielen. 

Was sind die nächsten Schritte? 

Das Institut in Jalisco hat heute dank der Zusammenarbeit eine eigene Abteilung für Identifizierungen. Dieses Jahr implementieren wir zudem gemeinsam mit einer Nichtregierungsorganisation eine Datenbank für den Abgleich von antemortalen und postmortalen Daten. Die Unterstützung einer Ausgrabung von ungefähr 80 Leichen im Bundesstaat Tamaulipas musste aufgrund der COVID-Pandemie verschoben werden. In den nächsten Monaten sollen aber die im laufenden Projekt gewonnenen Erfahrungen auch in anderen Bundesstaaten und auf Bundesebene genutzt werden. So unterstützen wir gemeinsam mit den Vereinten Nationen und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz die Umsetzung eines außerordentlichen Mechanismus für Identifizierungen. Bis Ende 2020 werden wir eine Expertengruppe, ähnlich der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts, aufbauen.    

Wie sieht insgesamt die Menschenrechtssituation in Mexiko aus? 

Die große Zahl der Tötungsdelikte, die sehr niedrige Aufklärungsquote und eine verbreitete Korruption sind deutliche Indikatoren für Defizite des Rechtsstaats und beim Schutz der Menschenrechte. Dass die aktuelle Regierung eine schwere Menschenrechtskrise anerkennt, ist eine wichtige Voraussetzung, um Verbesserungen anzupacken. Leider wurden aber bisher kaum strukturelle Änderungen der Sicherheitsarchitektur umgesetzt. Eine große Herausforderung – vergleichbar mit Deutschland – sind ein enger Datenaustausch und die Festigung der Zusammenarbeit von Institutionen des Bundes und der Bundesstaaten. Mit unserem Projekt wollen wir konkrete Beispiele für eine Verbesserung der Funktionsweise des Rechtsstaats – auch und gerade im föderalen System – aufzeigen.  

Stand: September 2020

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