Wirtschaften in schweren Zeiten
Geschäftig hasten die Menschen durch die Straßen des Viertels Hadaa von Sanaa. Immer auf der Hut – vor einem Bombenangriff, einem Anschlag. Unterschwellig ist die Verunsicherung zu spüren, doch das Leben geht weiter, muss weitergehen. Der Duft von frisch gebackenem Brot weht durch die Straße. Der Alltag nimmt trotz Zerstörung seinen Lauf. Das kann Safa’a Albatool nur bestätigen. Die Tür ihrer kleinen Bäckerei schwingt auf und zu, ständig kommen Kunden herein, meist Frauen, und kaufen für ihre Familien ein. Neben frischem Brot bietet die 38-jährige Bäckerin ein reiches Sortiment an Kuchen und Süßspeisen an. Fast jede Kundin lässt sich auch einige Leckereien einpacken.
Anfang 2015 sah es bei Albatool noch ganz anders aus. Sie hatte erfolgreich an einer Unternehmerinnenschulung der Internationalen Arbeitsorganisation teilgenommen. Mit einem Geschäftsplan und vielen guten Ideen hatte sie ihre Bäckerei eröffnet. Doch wenige Monate später brach der Krieg aus, sie war kurz davor aufzugeben. „Durch den Krieg und die Wirtschaftskrise hatten die Leute kaum Geld. Ich habe in dieser Zeit gerade mal 24.000 Rial (rund 90 Euro) pro Woche verdient. Das hat hinten und vorne nicht gereicht.“ Albatools Familie durchlitt eine harte Zeit. Drei Kinder muss sie durchbringen, ihr Mann verlor mit Ausbruch des Krieges seinen Job. Die ganze Hoffnung ruhte auf der neuen Geschäftsidee. Albatool erinnert sich: „Wir waren total verzweifelt, denn eine andere Einkommensquelle hatten wir nicht.“
Virtuelle Beratung beflügelt
In diese Situation fiel ein Hoffnungsschimmer: das Angebot der Organisation „Small and Micro-Enterprises Promotion Services“, an einer digitalen Schulung teilzunehmen. Gemeinsam mit der GIZ hatte die Organisation eine WhatsApp-Beratung für Geschäftsfrauen ins Leben gerufen. Mittlerweile hat sie bereits mehr als 300 Frauen virtuell beraten. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt die GIZ über gut etablierte Netzwerke zu Nichtregierungsorganisationen, Verbänden und Regierungspartnern Unternehmer und Unternehmerinnen im Jemen. Gelingt es diesen, einen kleinen Betrieb aufrechtzuerhalten, sorgen sie trotz Krieg und Zerstörung für Arbeitsplätze und Einkommen in dem Land.
Bildergalerie: In der kleinen Bäckerei
„Für mich war die WhatsApp-Beratung die Rettung. Wir waren eine Gruppe von 18 Frauen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und hatten eine Beraterin. Durch die Schulung und die Ideen aus der ganzen Gruppe habe ich es geschafft. Ich verdiene jetzt dreimal so viel wie vorher“, freut sich die Bäckerin. Einen Monat lang erklärte die Beraterin den Frauen anhand praktischer Beispiele über das Smartphone, wie sie ihre Buchhaltung führen müssen. Jedes einzelne Geschäftsmodell der Teilnehmerinnen nahm die Gruppe unter die Lupe, identifizierte die Schwachstellen und entwickelte Lösungen. Einen Monat lang tippte Safa’a Albatool täglich ihr Smartphone heiß. Das Ergebnis war es wert: „Ich hatte die Preise für meine Produkte viel zu niedrig kalkuliert. Von einigen Frauen aus der Gruppe kam der Vorschlag, mein Produktangebot zu erweitern. Mir wurde klar, dass ich ein Alleinstellungsmerkmal brauche, um größere Aufträge und zahlungskräftigere Kunden anzulocken.“
Auf dem Weg zum Erfolg
Die umtriebige Frau setzte die neuen Ideen sofort in die Tat um. Heute liegen neben Brot auch Kuchen, Croissants, Süßspeisen und Salziges in ihrer Vitrine. Auch neue Vermarktungswege hat sie sich erschlossen. „Die Beraterin hat mir geraten, die sozialen Medien zu nutzen. Heute sehen die Kunden meine Produkte auf Facebook, Instagram und WhatsApp. Auf dem Basar und bei Festen verteile ich meine Visitenkarten.“ Der Erfolg gibt ihr Recht. Sie beliefert inzwischen kleine Unternehmen und Schulen, die Laufkundschaft hat rapide zugenommen. Inzwischen beschäftigt sie zwei Angestellte. Mit dem Erfolg hat sich auch ihr Selbstverständnis gewandelt. Ging es ihr früher nur um das reine Überleben der Familie, hat sie heute weitaus höhere Ziele: „Ich will eine erfolgreiche Geschäftsfrau sein und noch weiter expandieren. Dann kann ich noch mehr Frauen einstellen, die jetzt keine Arbeit haben.“
Obwohl die WhatsApp-Beratung nun seit mehr als einem Jahr zu Ende ist, besteht die Gruppe weiter. Die Frauen – Ladenbesitzerinnen, Geburtshelferinnen, Zahnärztinnen, Kindergärtnerinnen – kommen aus unterschiedlichen Regionen des Landes und haben sich persönlich noch nie getroffen. Reisen ist viel zu gefährlich und die Transportkosten sind zu hoch. Dennoch empfindet Safa’a Albatool die Mitglieder der Gruppe als Freundinnen: „Wir wissen so viel voneinander, kennen die Ängste und Sorgen der anderen und vertrauen einander. Deshalb bleiben wir in Kontakt. Wenn eine von uns ein Problem hat, helfen wir uns gegenseitig. Es spielt keine Rolle, in welcher Region wir leben oder zu welcher Großfamilie wir gehören.“
Ansprechpartner: GIZ Jemen > giz-jemen@giz.de
März 2017