Porträt

Vom Staunen und Schützen

Die biologische Vielfalt seiner Heimat erhalten und damit Einkommen schaffen: ein junger marokkanischer Höhlenforscher zeigt, wie das geht. Eine Geschichte von Weitsicht – auch und gerade in Zeiten der Corona-Krise.

Text
Claudia Altmann

Younes El Kassmi will mit seiner frisch gegründeten Firma hoch hinaus und steigt dafür mit seinen Gästen tief hinab. Er ist Höhlenkundler und möchte die Passion für die unterirdische Wunderwelt in seiner marokkanischen Heimat, dem Nationalpark Tazzeka im Mittleren Atlasgebirge, teilen. Als junger Unternehmer schützt er zugleich die Natur und schafft Arbeitsmöglichkeiten für andere Menschen, die im Park leben. Wohl kaum einer ist dazu so prädestiniert wie El Kassmi. Der junge Mann mit dem sympathischen Lächeln und den schwarzen kurzen Haaren ist nahe der berühmten riesigen Tropfsteinhöhle Friouato – der einzigen in Nordafrika – groß geworden. „Als Siebenjähriger bin ich zum ersten Mal an der Hand meines Vaters in diese Höhle gestiegen. Ich erinnere mich noch genau. Es war einfach toll. Mein Vater war damals im Park für die Höhle zuständig und hat jeden Abend davon erzählt“, erinnert sich der heute Dreißigjährige.

Younes El Kassmi
© GIZ/Abdelmoumen Aomari

Grenzenlose Wunderwelt

„Für Höhlenforscher gibt es hier unendlich viel zu entdecken“, schwärmt Younes El Kassmi mit leuchtenden Augen. „In 160 Meter Tiefe erreicht man die drei Kilometer lange, riesige Grotte mit ihren unzähligen geologischen Gebilden. Bis heute wurden die Grenzen der Höhle nicht gefunden, weil man weite Strecken tauchen müsste, das Wasser aber irgendwann so trübe wird, so dass man nichts mehr sieht.“

Anfangs waren es Neugier und die Liebe zur Höhle, die ihn 2014 zum Studium an die Französische Schule für Speläologie (Höhlenkunde) in Lyon führten. „Dann aber habe ich begriffen, was ich zu Hause mit meinem Wissen alles machen kann. So bin ich nach meinem Abschluss 2017 zurückgekehrt.“ Im Park warteten nicht weniger als 365 Höhlen in allen nur denkbaren Formen mit ihren unterirdischen Flüssen und Seen auf den inzwischen diplomierten Höhlenkundler und Naturführer. Bereits 2008 hatte er den Verein „Friouato“ für Umweltschutz, Höhlenkunde und Bergtourismus gegründet und Touren für in- und ausländische Besucherinnen und Besucher des Parks organisiert. Nach seinem Studium gibt Younes El Kassmi sein neues Wissen an die Vereinsmitglieder weiter. „Wir wollen die natürlichen Ressourcen und Schätze in den Höhlen schützen. Stalaktiten und Stalagmiten entstehen in Millionen von Jahren Zentimeter um Zentimeter. Gleichzeitig sollen Touristen diesen Reichtum sehen. Darum wählen wir gut zugängliche Orte aus, wo kein Schaden entstehen kann“, beschreibt er seine Arbeit.

Menschen im Nationalpark sensibilisieren

Gemeinsam mit Parkleitung sowie Gewässer- und Waldbehörde sensibilisiert der Verein zudem die lokale Bevölkerung für den Schutz des 14.000 Hektar großen Areals mit seinen tiefen Schluchten, spektakulären Wasserfällen und weiten Wäldern. So ist auch die GIZ auf den Verein aufmerksam geworden. Das Projekt schafft im Auftrag des BMZ und kofinanziert durch die EU „Green Jobs“ und ermöglicht so berufliche Perspektiven für junge Menschen in ökologisch nachhaltigen Branchen. „Der Kontakt hat mich bestärkt, Unternehmer zu werden und Anfang 2021 habe ich diesen Schritt gewagt. Die von der GIZ durchgeführten Weiterbildungen in Unternehmensführung, Management, Finanzen, Kommunikation und Biodiversität haben mir dabei sehr geholfen“, sagt El Kassmi rückblickend. „Jetzt habe ich ein festes Einkommen. Durch das erworbene Wissen hat sich mein Blick auf den Park verändert und beim Gedankenaustausch in den Schulungen entstehen neue Ideen.“

Younes El Kassmi
© GIZ/Abdelmoumen Aomari

So präsentiert er auf seiner eigenen Webseite nun Aktivitäten, die weit über Höhlenbesuche hinausgehen. Er bietet Wald- und Bergwanderungen an, Bergsteigen in der über 3.000 Meter hohen Bergkette „Bouiblane“, Canyoning und Kajaktouren und die professionelle Begleitung von Forschergruppen. Eine weitere Idee wurde bisher durch die Corona Pandemie ausgebremst: natursensibles Mountainbiking. Aber seine Firma und die GIZ-Partner sind schon in den Startlöchern für Festlegung und Ausbau der Fahrrad-Routen sowie eine Werbekampagne. Wenn alles klappt, werden noch in diesem Jahr die ersten Gäste auf den 20 bereitstehenden Mountainbikes das dafür ideale Gelände entdecken können.

Gastfreundschaft erleben

Sie werden dann auch die Vorzüge einer weiteren Initiative von El Kassmi kennenlernen, die dieser seit drei Jahren in der Region umsetzt: Solidartourismus. Besucherinnen und Besucher werden von Familien beherbergt, anstatt ihre mehrtägigen Touren durch stundenlange Rückfahrten zu Hotels unterbrechen zu müssen. So entdecken sie nicht nur die Natur, sondern auch Leben und Traditionen der hier lebenden Berber. „Die neun Familien, mit denen ich zusammenarbeite, konnten ihre Häuser schöner gestalten und einrichten. Dabei wurden sie von der Regierung unterstützt, aber vor allem von unserer Firma. Es ist ohnehin eine sehr alte Tradition bei uns Berbern, sich gegenseitig zu helfen“, erklärt er und verweist nicht ohne Stolz auf diesen ihm wichtigen Aspekt.

Bleiben, um etwas voranzubringen

Younes El Kassmi
© Hassan Elyaagoubi

Durch seine Arbeit schafft er auch neue Einkommensmöglichkeiten für andere Parkbewohnerinnen und -bewohner, sei es im traditionellen Handwerk, als Touristenführer*innen oder in der Gastronomie. „Aus meiner Generation sind alle weggegangen, um woanders Arbeit zu suchen. Sie haben nicht gesehen, welchen Reichtum es hier gibt. Aber woanders auf dem Bau zu arbeiten, bringt doch unsere Heimatregion nicht voran.“ Zu Letzterem möchte El Kassmi auch mit seinem ganz großen Vorhaben beitragen. Er will ein Marokkanisches Zentrum für Höhlenforschung gründen. „Ich will, dass man die Ausbildung zum Speläologen hier machen kann und dafür nicht ins Ausland gehen muss“, begründet er seinen Plan. Die Kompetenzen dazu habe er schließlich und die Unterstützung einiger Behörden ebenfalls. „Der Younes von 2010 ist nicht mehr der von heute. Ich habe mich seitdem sehr verändert. Und der Younes von 2030 wird sich noch viel mehr weiterentwickelt haben“, sagt er mit fester Stimme.

El Kassmi hat seine Rückkehr in den Park nicht bereut. Wie einst sein Vater, erzählt jetzt er abends von den Höhlen. In seinem über einem unterirdischen Flusslauf stehenden Elternhaus lebt er seit kurzem mit seiner Ehefrau. Das Rauschen des Flusses, das Donnern der Strudel, die Rufe der Vögel, Berberhirsche und Ginsterkatzen – all das gehört zu seinem Leben. „Wer die Natur ein bisschen versteht, für den ist das alles Musik.“