Versöhnung durch Handel

In Sri Lanka kommen Unternehmer aus beiden Volksgruppen miteinander ins Geschäft, Studierende lernen gemeinsam.

Text
Timot Szent-Ivanyi
Fotos
Thomas L. Kelly

Wijaya Kumara nimmt kein Blatt vor den Mund: Was er früher über Tamilen gedacht hat? „Das sind ganz gefährliche Leute, alles Verbrecher.“ Wijaya lacht, schaut dann aber wegen seiner offenen Worte etwas unsicher zu seinem Gegenüber. Doch Shanmugam Gnanachandran hat ähnliches zu berichten: „Nie im Leben hätte ich mir vorstellen können, mich einmal mit einem Singhalesen einzulassen“, sagt er.

Unternehmer-Duo: Shanmugam Gnanachandran (l.) und Wijaya Kumara
Unternehmer-Duo: Shanmugam Gnanachandran (l.) und Wijaya Kumara

Die Männer stehen zusammen in einer kleinen Hütte am Rand der nördlichen Provinzstadt Kilinochchi. Auf das Blechdach prasselt der Monsunregen, der Garten hat sich in eine Matschwüste verwandelt. In der Hütte duftet es intensiv nach Gewürzen. Die Männer greifen in große Säcke, die in der Ecke stehen. Vorsichtig lassen sie deren Inhalt durch die Hände rieseln und probieren, ob Zimt, Kardamom oder Chilischoten tatsächlich frisch sind. 

Geschäftspartner und Freunde

Was sich die beiden Männer angesichts eines jahrzehntelangen, blutigen Bürgerkriegs in Sri Lanka nicht vorstellen konnten, ist heute Realität: Wijaya, der Singhalese aus dem Süden des Landes, und Shanmugam, der Tamile aus dem Norden, sind nicht nur Geschäftspartner, sie sind inzwischen sogar Freunde. Geholfen hat dabei ein Programm der GIZ, mit dem zwei Ziele auf intelligente Art und Weise verknüpft werden: kleinere und mittlere Unternehmen zu unterstützen und dabei gleichzeitig den Aussöhnungsprozess zwischen den einst verfeindeten Volksgruppen zu fördern. Auftraggeber ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 

Sri Lanka ist auf den ersten Blick ein Paradies: tropische Strände, undurchdringliche Wälder mit Elefanten und Leoparden, Berge mit endlosen Teeplantagen und Ebenen mit saftig grünen Reisfeldern. Die Menschen sind freundlich und hilfsbereit. Nur wer aufmerksam durchs Land fährt, sieht noch die Spuren des Bürgerkriegs, der das einstige Ceylon zwischen 1983 und 2009 erschütterte und bis zu 100.000 Menschen das Leben kostete. Hier ein gesprengter Wasserturm, dort eine ausgebrannte Ruine oder ein Minen-Warnschild. 

Zehntausende Zivilisten starben

Jahrhundertelang lebten die hinduistischen Tamilen und buddhistischen Singhalesen miteinander friedlich auf der Insel, die etwas kleiner ist als Bayern. Als die Tamilen nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft durch die singhalesische Mehrheit konsequent benachteiligt wurden, wuchsen im Norden die Bestrebungen für eine Autonomie. 1983 eskalierte der Konflikt zwischen dem Militär und tamilischen Separatisten der Organisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE). Die LTTE eroberte den Norden und Nordosten, die Regierung in Colombo kontrollierte den Rest des Landes. 2009 gelang es der Armee in einer Großoffensive, die LTTE zu schlagen. Zehntausende Zivilisten starben, die gesamte Führungsspitze der LTTE wurde getötet.

Die äußeren Spuren des Kriegs sind beseitigt, doch die Wunden in der Bevölkerung sind längst nicht verheilt. Der UN-Menschenrechtsrat beschuldigt beide Seiten, im Krieg schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Doch bisher wurden diese Taten weder aufgearbeitet noch bestraft. Die neue Regierung unter Präsident Maithripala Sirisena kümmert sich zwar ernsthaft um eine Versöhnung. Beispielsweise darf inzwischen die Nationalhymne auch auf Tamilisch gesungen werden. Doch das sind nur kleine Schritte. Weiterhin verläuft eine unsichtbare Grenze zwischen Singhalesen und Tamilen. 

Die Geschäftspartner mit Angestellten von Shanmugam Gnanachandran

Die Förderung des Aussöhnungsprozesses steht deshalb als Ziel über allen Aktivitäten der GIZ in Sri Lanka. „Die Menschen sind hungrig nach Versöhnung“, hat Landesdirektorin Randa Kourieh-Ranarivelo beobachtet. So versucht die GIZ, die Menschen der verschiedenen Volksgruppen zusammenzubringen. Vor einigen Jahren wurde die Idee entwickelt, Unternehmer aus dem Norden und dem Süden zu mehrtägigen Treffen einzuladen, um neue Geschäftsbeziehungen anzubahnen.

„Hungrig nach Versöhnung“

Wijaya und Shanmugam lernten sich bei einem dieser Workshops kennen und schätzen. Wijaya vertreibt seit Jahren den Sirup der Palmyrapalme, Shanmugam handelt im Norden mit Gewürzen. Gemeinsam ersannen sie ein Geschäft zum Vorteil beider: Mit der Eisenbahn, die seit dem Wiederaufbau 2015 wieder in den Norden fährt, schickt der Singhalese seitdem Kardamom, Zimt und andere im Süden wachsende Gewürze in den Norden, die der Tamile dort verkauft. In umgekehrter Richtung werden Sesamöl und Chili auf die Reise geschickt. Den Ertrag aus dem Verkauf teilen sich die Partner.

„Wir haben unser Einkommen auf diese Art verdoppelt“, berichten beide sichtlich stolz. 70.000 Rupien verdienen jetzt sie im Monat, umgerechnet etwa 450 Euro – ein für Sri Lanka durchaus ordentlicher Verdienst. Sechs Arbeiterinnen, die die Gewürze in kleine Tüten packen, beschäftigt Shanmugam. Bald sollen es acht Mitarbeiterinnen sein, wie er seinem Partner berichtet. 

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Einige Kilometer entfernt zeigt sich ebenfalls, wie wichtig es ist, den Versöhnungsgedanken stets im Blick zu haben. Die 23-jährige Kartikka Sountharrajah sitzt in einem Klassenzimmer und brütet über Mathematikaufgaben. Sie ist Berufsschülerin für Computertechnik in dem vor kurzem eröffneten Sri Lanka German Training Institute. Der Bau der größten Berufsbildungseinrichtung im Norden Sri Lankas wurde von der staatlichen Förderbank KfW finanziert. Die GIZ unterstützt die Qualifizierung der Lehrkräfte und den Betrieb der Einrichtung. Ihr Auftraggeber ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Vorbild ist die vor 50 Jahren mit deutscher Unterstützung gegründete „German Tech“ in Moratuwa südlich von Colombo. In der neuen Schule in Kilinochchi lernen derzeit fast 300 Jugendliche aus allen Teilen Sri Lankas.

Tamilen und Singhalesen lernen gemeinsam

Auch in Kartikkas Klasse drücken Tamilen und Singhalesen gemeinsam die Schulbank. Für die Tamilin ist das spannend. Während des Kriegs lebte sie mit ihrer Familie in der nördlichen Provinzstadt Jaffna. Die Region war von der singhalesischen Armee besetzt und abgeriegelt, die Bewohner konnten das Gebiet praktisch nicht verlassen. „Die einzigen Singhalesen, die ich in meiner Kindheit gesehen habe, waren Militärs“, erzählt sie. 2009 kam sie erstmals aus Jaffna heraus. Und wie versteht sie sich mit den Singhalesen in ihrer Klasse? „Die sind wirklich nett“, sagt sie. Man könne etwas von ihnen lernen: „Jungen und Mädchen dürfen bei den Singhalesen viel zusammen machen, auch wenn sie nicht verheiratet sind. Die Eltern sind da ganz entspannt“, erzählt die junge Frau. „Es wäre schön, wenn das bei uns auch so wäre.“ Nach ihrer Ausbildung will sie nach Colombo gehen und dort eine Arbeit finden. 

Das klingt für eine junge Frau aus der Provinz nicht sonderlich überraschend. Doch um den Entwicklungssprung zu erahnen, muss man Kumudhini Rosa zuhören. Die GIZ-Mitarbeiterin erzählt, dass sich tamilische Berufsschüler 2012 auf ihrer ersten Fahrt nach Colombo in der Hauptstadt nicht aus dem Bus trauten aus Angst, sofort von Singhalesen erschlagen zu werden. Diese Ängste gibt es längst nicht mehr, doch zeigt sich das Trennende immer wieder. „Einen Singhalesen heiraten?“ Die Schülerin Kartikka schaut den Fragesteller erschrocken an. Nein, das könne sie sich beim besten Willen nicht vorstellen.  

Das Trennende überwinden

Wijaya und Shanmugam, die erfolgreichen Gewürzhändler, scheinen weiter zu sein als die Mehrheit ihrer Landsleute. Wijaya ist diesmal zusammen mit Frau und Kindern die 450 Kilometer lange Strecke von der Südspitze bis nach Kilinochchi gefahren. Einige Tage wollen die Familien zusammen verbringen. Jetzt sitzen sie beim Tee und sprechen über die Vergangenheit. Kilinochchi lag mitten im Kriegsgebiet, Shanmugam und seine Familie mussten lange in einem Flüchtlingslager leben. „Bei Kriegsende hatten wir nichts“, erinnert er sich. Er habe die goldenen Ohrringe seiner Frau verkaufen müssen, um die Familie versorgen und in den Gewürzhandel einsteigen zu können. „Es ist toll, dass wir heute zusammen arbeiten“, sagt er und legt den Arm um die Schulter seines Partners, den er inzwischen einen Bruder nennt. Und dann besprechen die beiden Männer ihre neuen Pläne: Sie wollen zusammen in den Handel mit Tee einsteigen.

Ansprechpartner:

Handel: German Müller > german.mueller1@giz.de

Berufliche Bildung: Kumudhini Rosa > Kumudhini.rosa@giz.de

Mai 2017

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