Gastbeitrag aus Jordanien

Toleranz auf Jordanisch

Die jordanische Kulturministerin Lana Mamkegh beschreibt in einem Gastbeitrag die religiöse und ethnische Vielfalt des Landes.

Text
Lana Mamkegh

Lana Mamkegh

Die menschliche Kultur ist geprägt von Vielfalt, da sie für eine Vielzahl an Glaubensformen, Verhaltensweisen, Sprachen, Religionen, Gesetzen, Künsten, Technologien, Sitten, Traditionen, Bräuchen sowie ökonomischen und politischen Systemen steht. Daher muss die Zugehörigkeit zu einer Gruppe keineswegs die Verneinung einer anderen mit sich bringen. Und sie muss auch nicht deren Herabsetzung bedeuten. Um unsere eigene Gruppe angemessen vertreten zu können, müssen wir vielmehr andere Identitäten respektieren, wenn diese auch unsere   respektieren sollen. Deshalb sollte der Staat jeder Gruppe das Gefühl geben, Teil des Systems zu sein und vom Staat repräsentiert zu werden. Das geht nur, indem Erträge fair verteilt und Glaubens- sowie Meinungsfreiheit garantiert werden.

Jordaniens soziales Gefüge ist religiös und ethnisch divers. Es gibt eine religiöse und eine ethnische Mehrheit, dennoch war nie von Minderheiten im üblichen Sinne die Rede. Schon allein das ist ein deutlicher Hinweis auf die bestehende Vielfalt im Land, die wiederum eine kollektive Identität schafft. Dazu wäre es ohne entsprechend offene Gesetze niemals gekommen.

Unterstützung für die Zivilgesellschaft

Die Freiheit, die eigene kulturelle Identität auszuleben, ist also vorhanden. Sie wird gestützt durch eine beispielhafte Akzeptanz in der Bevölkerung. Bisher wurde kein Vorfall bekannt, bei dem bestimmte kulturelle Praktiken gesellschaftlich missbilligt worden wären. Sondern es sind im Gegenteil regelmäßig Fälle von gegenseitiger Wertschätzung zu beobachten.

Das Kulturministerium lässt verschiedenen kulturellen, ethnischen und religiösen Gruppen, Vereinen und zivilgesellschaftlichen Institutionen so viel Unterstützung wie möglich zukommen. Jeder, der sich dafür interessiert, kann auf der Website des Ministeriums sehen, wie zahlreiche kulturelle Institutionen unter diesem Dach miteinander verbunden sind. Quer durch alle Teile des gesellschaftlichen Gefüges – von der subtropischen Steppe und der Wüste bis hin zur Großstadt – ist allen kulturellen Gruppen das Recht garantiert, ihren jeweiligen Besonderheiten Ausdruck zu verleihen. Die einzige Einschränkung ist: Sie müssen dabei die gesetzlich garantierten Grenzen anderer respektieren.

Nachhaltige Entwicklung muss alle mitnehmen

Um alle kulturellen Ausdrucksformen zu schützen, braucht es eine Atmosphäre der Offenheit und des Austauschs. Nur dann können Individuen, Gruppen und Nationen die Energien freisetzen, die nötig sind, um menschliche Entwicklung voranzubringen. Andernfalls kapseln wir uns durch das Streben nach ethnischer, sozialer und kultureller Reinheit ab. Dann werden die nach menschlicher Entwicklung strebenden Bewegungen behindert – durch böswillige und rückwärtsgewandte Kräfte.

Für nachhaltige Entwicklung gibt es viele Definitionen, aber alle stimmen in zwei Punkten überein: Sie muss in die Zukunft wirken, das ergibt sich aus dem Wort „nachhaltig“. Und sie muss umfassend sein, indem sie alle mitnimmt und indem sie die ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung in Einklang bringt. Das bedeutet, den Horizont so zu erweitern, dass eine echte Partnerschaft zwischen den Generationen im Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen  entsteht. Und es bedeutet, eine wahre Partnerschaft zwischen den Menschen trotz kultureller Unterschiede zu schaffen.

Daraus folgt: Nachhaltige Entwicklung und kulturelle Vielfalt bestärken einander; die Abwesenheit der einen wirkt sich negativ auf die andere aus. Daher schadet es zwangsläufig der Entwicklung generell, irgendeinen Teil der Gesellschaft auszuschalten. Vielmehr gilt: Nachhaltige Entwicklung ist erst dann wirklich eine, wenn jeder dazu beitragen kann.

Lana Mamkegh ist Kulturministerin in Jordanien. Die gelernte Journalistin und Autorin setzt sich vehement für kulturelle Vielfalt in ihrem Land und andernorts ein.

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