Reportage
Starker Antrieb für eine bessere Zukunft
Der Motor des Traktors heult auf, als Solomon Girma die Kleinstadt Huruta über eine Schotterpiste verlässt. Kurz hinter dem etwa drei Autostunden südwestlich von Addis Abeba gelegenen Ort kommen ihm Eselskarren entgegen, beladen mit gelben Wasserkanistern und Getreidebündeln. Fahrzeuge mit Dieselantrieb, gar Traktoren, sind hier selten. Solomon Girma kontrolliert am Wegesrand kurz den Motor und blickt dann über die abgeernteten Weizenfelder. „Meine liebste Zeit im Jahr ist von April bis Juni. Dann verbringe ich den ganzen Tag mit Menschen auf dem Land“, erzählt der fast zwei Meter große Mann mit breiten Schultern und kantigem Gesicht. Elegant schwingt er sich um den Motor zurück auf den Fahrersitz des Traktors. Im Moment sei nicht die Zeit, um den Boden für die neue Aussaat vorzubereiten. Deshalb helfe er bei der Ernte. Nach getaner Arbeit macht er sich nun auf den Weg in sein Heimatdorf.
Solomon Girma hat sich im Agrarsektor als sogenannter Lohnunternehmer selbstständig gemacht. Die Maschinen, die er für seine selbstständige Arbeit benötigt, stellt ihm die Regierung zur Verfügung. Mehrere Monate hat er zuvor das etwa 30 Kilometer von Huruta entfernte Agricultural Training Center (ATC) in Kulumsa besucht. Nach der Schule hatte er in mehreren Städten nach Arbeit gesucht – erfolglos. Finanziell war er weiterhin von seinen Eltern abhängig. Über einen Freund aus einer Jugendkooperative erfuhr er vom ATC. Ein Glücksfall, wie er heute sagt.
Raus aus Abhängigkeit und Arbeitslosigkeit
Mit seiner langen Suche nach Beschäftigung ist Solomon Girma unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Äthiopien kein Einzelfall. Gleichzeitig wird das landwirtschaftliche Potenzial Äthiopiens derzeit nicht voll genutzt. Vor diesem Hintergrund unterstützt die GIZ das Land im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) dabei, bessere Voraussetzungen für höhere Erträge zu schaffen. Dafür stärkt die GIZ unter anderem die Ausbildung in modernen landwirtschaftlichen Techniken. „Das Training gab mir die Möglichkeit, mehr zu lernen und mich mit anderen zu vernetzen“, so Solomon Girma.
Zum ATC gehört unter anderem eine Traktorfahrschule. Solomon Girma hat dort Eshetu Lemma kennengelernt. Auch er gehört einer Jugendkooperative an. Die Mitglieder arbeiten für Landwirt*innen, die Gemüse oder Teff anbauen, eine in Äthiopien sehr verbreitete Hirseart. Eshetu Lemma lebt nahe Wonji, dem Heimatort von Solomon Girma. Über die einzige, buckelige Zufahrtstraße fährt er von Wonji aus entlang des Awash-Flusses in sein Dorf. Mit einem weiteren Mann teilt sich Eshetu Lemma alle Arbeiten, die dort anfallen und für die ein Traktor benötigt wird.
Botschafter für eine moderne Landwirtschaft
Ein Landwirt gräbt gerade den Boden mit einem Spaten um und setzt Samen ein. Seine fünf Kinder helfen ihm bei der Feldarbeit. Eshetu Lemma bietet an, das Feld mit dem Traktor zu pflügen, und verhandelt einen Preis. Dabei geht es ihm nicht nur um sein Einkommen – er will auch Botschafter einer modernen Landwirtschaft sein. Doch Verhandlungsgespräche mit Landwirten seien nicht immer einfach, sagt er.
Debele Debela kennt diese Herausforderung. Er ist Campuskoordinator am ATC: „Vor ihrer Ausbildung bei uns hatten viele der jungen Frauen und Männer in ihrer Gemeinschaft keinen Status. Oft galten sie als Vagabunde. Ein Kommunikationstraining ist daher für den Start in die Selbstständigkeit besonders wichtig.“
Als Kooperative mehr erreichen
Am Ende der bis zu viermonatigen Ausbildung erhalten die Teilnehmer*innen ein Zertifikat und einen Traktorführerschein. Mit diesen Dokumenten und ihrem neu gewonnenen Wissen haben sie bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Knapp 90 Prozent der zuvor arbeitslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen finden nach ihrer Zeit am ATC eine Beschäftigung in der Landwirtschaft – die meisten als Lohnunternehmer, wie Solomon Girma und Eshetu Lemma. Andere werden bei Unternehmen oder Genossenschaften fest angestellt.
In den grün-gelb gestrichenen Schulungsräumen des ATC vermitteln Fachleute Knowhow in Sachen Reparatur, Werkstattorganisation, Bearbeitung von Böden, Unterstützung bei der Ernte und Fahrpraxis auf PS-starken Traktoren. Auch Management und Kommunikation stehen auf dem Programm. Hier arbeitet das ATC mit Partnern wie der Andreas Hermes Akademie zusammen, einer Weiterbildungseinrichtung der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft. Ebenfalls zum Curriculum gehören Möglichkeiten der Organisation in Kooperativen und die Chancen, sich über solche Netzwerke weitere Einkommensquellen aufzubauen.
ATC jetzt in neuen Händen
Fast jede*r achte Äthiopier*in arbeitet in der Landwirtschaft. Doch weil häufig überholte Methoden angewandt werden und der Zugang zu moderner Agrartechnik fehlt, fallen die Erträge geringer aus, als sie sein könnten. Für Debele Debela hat die Ausbildung am ATC deshalb mehrere Vorteile: „Die ausgebildeten Fachkräfte unterstützen die Kleinbäuerinnen und -bauern in ihrer landwirtschaftlichen Produktivität. Dadurch verdienen sie ein Einkommen, das ihren Lebensunterhalt erheblich verbessert.“ Seit Anfang 2013 wurden am ATC mehr als 5.200 Fachkräfte für Landmaschinen sowie für die Organisation von Agrarbetrieben ausgebildet. Auch eine Ausbildung zur Berufsschullehrerin oder zum Berufsschullehrer bietet das ATC an. Debele Debela ist vom Potenzial der äthiopischen Landwirtschaft überzeugt und zuversichtlich, dass die junge Generation ihre Chancen nutzt.
Das ATC wurde Ende 2020 an das äthiopische Landwirtschaftsministerium und das Ethiopian Institute for Agricultural Research (EIAR) übergeben. Bei dieser Gelegenheit besuchte auch der deutsche Botschafter in Äthiopien, Stephan Auer, das Trainingszentrum und traf dort unter anderem auf Solomon Girma. Auer zeigte sich beeindruckt vom Weg des jungen Mannes hinaus aus der Arbeitslosigkeit in einen Job mit Perspektive. „Er ist jetzt in der Lage, sich selbst zu ernähren und auch für seine Familie zu sorgen, die ihn vorher unterstützt hat. Es ist bewegend zu sehen, dass die Ausbildung am ATC nicht nur rein theoretisch eine tolle Sache ist, sondern auch praktisch zum Erfolg führt.“
März 2021