Interview
„Nachhaltigkeit bleibt ein Top-Thema“
Herr Sridharan, Sie sind seit 2015 Oberbürgermeister von Bonn, haben einen Großteil Ihrer Kindheit in Bonn verbracht und auch hier studiert. Was schätzen Sie am meisten an der Bundesstadt?
Bonn ist die kleinste kosmopolitische Stadt der Welt. Bei uns wohnen Menschen aus 180 Nationen; wir sind Sitz der Vereinten Nationen. Gleichzeitig ist Bonn auch eine Stadt mit Tradition, die mehr als 2000 Jahre auf dem Buckel hat. Es ist eine schöne, gewachsene Stadt mit 330.000 Einwohnern, also einer guten Größe. Persönlich schätze ich an Bonn, dass man hier immer auf Bekannte trifft. Die Stadt ist großzügig und doch überschaubar; das macht Bonn extrem reizvoll.
Sie sind also ein begeisterter Bonner?
Unbedingt.
Nun zu einem weniger schönen Thema. Wie ist Bonn bisher durch die Corona-Krise gekommen?
Wir sind, wie alle anderen auch, erst einmal ziemlich überrascht gewesen von der Pandemie. Jedenfalls von der schnellen Ausbreitung am Anfang. Aber wir haben innerhalb kürzester Zeit alle Maßnahmen zum Lockdown umgesetzt, die von der Bundes- und Landesregierung angeordnet waren. Die Bonnerinnen und Bonner haben sich auch weitgehend an die Einschränkungen gehalten. Dadurch konnten wir Schlimmeres verhindern.
Wo sehen Sie derzeit neben der Pandemie die größten Probleme für Bonn?
Wir stehen vor zwei großen Herausforderungen: Da ist einmal unser Mobilitätssystem, das so nicht mehr zeitgemäß ist. Wir müssen den Autoverkehr in der Stadt reduzieren. Und zum anderen müssen wir unsere veraltete Infrastruktur in Schuss bringen.
Welche Art Infrastruktur meinen Sie?
Ich meine alles: Straßen, Brücken, Kindergärten, Schulen, Kultureinrichtungen, Sportanlagen. Hier haben wir akuten Handlungsbedarf. Aus zwei Gründen: In Hauptstadtzeiten wurde die Infrastruktur stark vom Bund subventioniert, der 70 Prozent der Kosten übernommen hat. Die Bundesmittel fehlen inzwischen, aber die Infrastruktur ist immer noch da. Dann wurden in manchen Haushaltsjahren Investitionen geschoben, so dass wir in den kommenden Jahren vieles instand setzen müssen. Dafür haben wir umfangreiche Pläne entwickelt und gehen das jetzt tatkräftig an.
Wie genau sieht Ihr neues Mobilitätskonzept aus?
Wir wollen mehr Leute aufs Fahrrad und in den Öffentlichen Personennahverkehr bringen. Dafür wollen wir den ÖPNV anders takten. Zudem werden wir unser Netz an Fahrradwegen deutlich vergrößern, das heute bereits fast 300 Kilometer lang ist. Dass wir die Radwege links und rechts des Rheins ausbauen, ist beschlossene Sache. Wir denken zudem über eine neue Rheinbrücke nach, die Fahrradfahrern und Fußgängern vorbehalten bleibt. Und wir wollen die Region mit Bonn fahrradmäßig besser verbinden.
Wie werden Sie den öffentlichen Verkehr umstellen?
Straßen- und U-Bahnen sollen künftig alle fünf Minuten fahren. Außerdem wird es insgesamt 36 Mobilitätshubs geben, bei denen verschiedene Verkehrsarten zusammenlaufen und man vom Auto aufs Fahrrad oder in den ÖPNV umsteigen kann. Dazu kommen ausreichend Parkplätze für Räder und Autos, auch für Elektroautos. Das alles wollen wir spätestens 2023 umgesetzt haben.
Bonn möchte bis 2035 klimaneutral sein. Die Mobilitätswende, wie Sie sie gerade beschrieben haben, ist dabei wahrscheinlich ein wichtiger Baustein.
So ist es. Aber das ist längst nicht alles. Unsere Gebäude haben noch nicht den gewünschten Grad an Energieeffizienz. Deshalb gehen wir als Stadt mit gutem Beispiel voran und rüsten sie um. Auch Anlagen wie unsere Müllverbrennungsanlage rüsten wir um. Viele weitere Initiativen sollen die Bürger dazu anhalten, ebenfalls umweltfreundlicher zu handeln: zum Beispiel das „1000-Dächer-Programm“ zum Einsatz regenerativer Energien, das Photovoltaikanlagen mit 1.000 Euro bezuschusst. Es ist ein bunter Strauß an Maßnahmen. Für mich besteht kein Zweifel, dass Nachhaltigkeit ein Priorität-eins-Thema ist.
Daran ändert auch die Pandemie nichts?
Gerade Corona zeigt uns, dass wir auf jeden Fall nachhaltig denken müssen. Die leeren Straßen, die bessere Luft, die Natur, die sich erholt – das alles hat uns erst recht noch einmal vor Augen geführt, wie wichtig ein schonender Umgang mit den natürlichen Ressourcen ist. Deshalb hoffe ich, dass wir einige Dinge in die Post-Corona-Zeit mitnehmen, nicht zuletzt die Video- und Telefonkonferenzen, weil sie die Verkehrsbelastung reduzieren.
Ist Bonn in Sachen Nachhaltigkeit ein Vorreiter?
Das möchte ich so nicht bewerten, aber die Chefin des UN-Klimasekretariats, Patricia Espinosa, hat Bonn unlängst in einem Interview für unsere Anstrengungen gelobt. Grundsätzlich denke ich aber, dass sich noch zu wenige Städte, in Deutschland und anderswo, intensiv mit dem Thema befassen.
„Städte brauchen mehr Mittel von nationalen Regierungen und internationalen Finanzinstitutionen.“
In Bonn befinden sich nicht nur das Klimasekretariat, sondern auch zahlreiche andere Organisationen. Sie stehen persönlich und politisch für einen weiteren Kurs der Internationalisierung dieser Stadt. Wie erfolgreich sind Sie darin?
Das ist in erster Linie eine Angelegenheit der Bundesregierung; wir können das nur unterstützen. Aber das tun wir nach Kräften. Unser Ziel ist in der Tat, weitere Organisationen hierherzuholen und Bonn als Standort für Internationales zu stärken. Das ist in den vergangenen Jahren auch ganz gut gelungen. Seit meinem Amtsantritt haben sich neun weitere Organisationen in Bonn angesiedelt, darunter ein Landesbüro der UNIDO, die SDG Action Campaign und das UN-Sekretariat für Wasserversorgung. Von dem internationalen Ambiente hier profitiert übrigens auch die GIZ.
Sie selbst sind Präsident von ICLEI, einem internationalen Zusammenschluss von Stadtoberhäuptern und lokalen Regierungen. Was hat Sie bewogen, dieses Amt zu übernehmen?
Ich habe mich aufstellen lassen, weil ich weiß, wie wichtig es ist, in solchen Netzwerken zu arbeiten und von anderen Regionen der Welt zu lernen. ICLEI gehören rund 1.800 Städte weltweit an; in diesen Städten leben 30 Prozent der urbanen Weltbevölkerung. Das ist eine ganz schöne Hausnummer. Und eine gute Gelegenheit, sich auszutauschen.
Was haben Sie von anderen Städten gelernt?
Einiges. Die chinesische Stadt Chengdu zum Beispiel hat einen hohen Anteil an regenerativen Energien und an Elektromobilität. Wir haben uns angeschaut, wie eine solche Umsetzung aussehen kann. Aus La Paz habe ich die Erkenntnis mitgebracht, dass man Seilbahnen sinnvoll in den öffentlichen Nahverkehr einbauen kann. Deshalb haben wir jetzt auch ein Seilbahnprojekt zum Venusberg angestoßen.
Die Verstädterung schreitet voran. Was brauchen Kommunen weltweit, damit sie diesen Prozess gut managen können?
Wir benötigen die Unterstützung der Nationalregierungen und in föderalen Staaten auch der Landesregierungen. Ohne das geht es nicht. Zudem sollten Kommunen wesentlich stärker gehört werden als bisher. Gerade, wenn es um Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Klimawandel geht, denn Gebietskörperschaften sind diejenigen, die das vor Ort umsetzen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Mitgliedsstaaten der Weltklimakonferenz zum Beispiel auch kommunale Vertreter mit in die Delegationen aufnehmen.
Viele Städte sind unterfinanziert. Wie lässt sich das lösen?
Sie brauchen mehr Mittel von nationalen Regierungen und von internationalen Finanzinstitutionen. Vor allem Letzteres geschieht bisher noch nicht ausreichend genug. Das ist aber wichtig, weil sich sonst die Klima- und Nachhaltigkeitsziele der UN nicht erreichen lassen.
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