Ausbildung in Pakistan
Endlich Arbeit
Wenn Misbah Naz um neun Uhr morgens ihren Arbeitsplatz im Zentrum von Lahore erreicht, knattert vor der Tür bereits ein alter Stromgenerator. Dreirädrige Autorikschas wirbeln Staub auf, der bis in die Nase dringt. In dem Bürogebäude, das sich mehrere internationale Unternehmen teilen, führt eine schwarze Wendeltreppe nach oben. Hinter einer Glastür, auf der das Logo der Deutschen Bahn klebt, empfängt ein Rezeptionist mit dichtem Bart und bunter Gebetskappe die Besucher. Hier hat CEI Supply Chain ihren Sitz, die pakistanische Partnerfirma des deutschen Logistikunternehmens DB Schenker. Seit 20 Jahren koordinieren die Mitarbeiter Transporte durch ganz Pakistan.
Naz ist die Neue im Team. Die 25-Jährige trägt eine reich verzierte Tunika, wie sie für Pakistanerinnen typisch ist. Von ihrem Schreibtisch in der Abteilung für Entwicklung aus analysiert Naz den Markt, setzt Preise für angebotene Dienstleistungen fest und durchsucht das Internet nach potenziellen Kunden. „Ich gebe mein Bestes. Am meisten freue ich mich, wenn ich einen aussichtsreichen Auftrag für meine Firma an Land ziehe“, sagt sie. Freude bei der Arbeit sei das A und O. Außerdem könne sie ihre Stärke im Kommunizieren zeigen. Naz muss lachen: „Ich habe schon immer gerne geredet. Hier erhalte ich die Gelegenheit dazu.“
Die deutsche duale Ausbildung als Inspiration
In Lahore ist Misbah Naz eine der ersten Absolventinnen des dualen Ausbildungsprogramms, das die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und in Kooperation mit der pakistanischen Regierung entwickelt hat. Zusätzlich beteiligen sich die Europäische Union sowie die Regierungen der Niederlande und Norwegens finanziell an dem großangelegten Reformprogramm. Wo Berufsschulen in Pakistan früher nur graue Theorie vermittelten, sollen die Auszubildenden nun von Anfang an den realen Berufsalltag kennenlernen. Inspiration dafür bietet das deutsche duale Ausbildungssystem, in dem schulische und betriebliche Ausbildung eng verknüpft sind. Übergeordnetes Ziel der deutsch-pakistanischen Zusammenarbeit ist eine grundlegende Reform der beruflichen Bildung im Land.
Auch Naz hatte nach ihrem vierjährigen Wirtschaftsstudium kaum Erfahrung mit der Praxis. Wie die meisten ihrer Freunde fand sie als Uniabsolventin keinen Job. Daher bewarb sie sich für die einjährige Ausbildung zur Kundenberaterin. Sechs Monate Berufsschule später trat sie bei CEI Supply Chain eine Traineestelle im Bereich Logistik an.
Neue Lehrpläne für 3.500 pakistanische Berufsschulen
Ihrem Chef Amir Munir fiel die Wahl nicht schwer. Gleich im ersten Vorstellungsgespräch habe er gespürt, dass Naz seine Firma bereichern wird. „Sie ist sehr ehrgeizig und weiß, wie man sich im Geschäftsleben verhalten muss“, schwärmt der Manager. Seine Firma gehört zu den rund 80 Unternehmen in Lahore und Karatschi, die nach dem neuen Verfahren ausbilden.
Ob er nach Einführung des dualen Systems bei seinen Auszubildenden einen Unterschied feststelle? „Selbstbewusstsein“, antwortet Munir ohne Zögern. Außerdem seien die jungen Menschen besser vorbereitet. „Was die Berufsschüler im Unterricht in der Schule lernen, passt nun mit dem zusammen, was sie im Unternehmen erfahren.“ Den Lehrplan für die Logistik-Ausbildung hat Munir gemeinsam mit der GIZ entwickelt. Die Standardisierung von Lehrplänen an den rund 3.500 pakistanischen Berufsschulen ist eine Herausforderung – nicht einfach zu bewältigen in einem Land, in dem die Zentral- und Provinzverwaltungen kaum miteinander kooperieren.
Bildergalerie: Auszubildende der Elektrotechnik lernen in der staatlichen technischen Berufsschule in Lahore den Berufsalltag kennen.
Naz’ theoretische Ausbildung bestand aus den Fächern Kundenservice, Soziale Kompetenzen, Informatik und Englisch. Zu Beginn ihrer Praxisphase erfuhr sie bei CEI Supply Chain alles über die Produkte von DB Schenker. Sie lernte, mit nie gehörten Begriffen wie „freight forwarding“, also Frachttransport, umzugehen. Danach bekam sie Einblick in die verschiedenen Abteilungen. „Ich beherrsche jetzt jede Aufgabe hier. Wenn irgendwo jemand ausfällt, kann ich seine Arbeit erledigen.“
Das ist auch das Verdienst einer Mentorin, die die Auszubildenden bei CEI Supply Chain während der Praxisphase betreut. Die Mentoren werden in von der GIZ organisierten Pädagogikseminaren in Deutschland auf ihre Aufgabe vorbereitet.
Enormes Potenzial an Arbeitskraft
Naz gehörte bis vor kurzem noch zur größten Altersgruppe ihres Landes: Mehr als die Hälfte der 185 Millionen Einwohner ist jünger als 25 Jahre. Pakistan hat damit nicht nur eine der jüngsten Bevölkerungen der Welt, sondern auch eine hohe Zahl an Schulabgängern. „Das ist ein enormes Potenzial an Arbeitskraft, das jedoch für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bisher kaum genutzt wird“, erklärt Hans-Ludwig Bruns von der GIZ.
Nur weniger als zehn Prozent der jungen Menschen entscheiden sich für eine Berufsausbildung, die als wenig prestigeträchtig gilt. Stattdessen strömen die meisten an die Universitäten, um dann oft wegen mangelnder Praxiserfahrung in der Arbeitslosigkeit zu landen. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der pakistanischen Wirtschaft aus nicht formalisiertem Handwerk besteht. Zwischen dem Büro von CEI Supply Chain und Lahores größter Berufsschule liegt eine belebte Basarstraße. Verkäufer, Schlachter, Floristen – hier brummt der sogenannte informelle Sektor. Väter übertragen ihre Berufe auf Söhne und Töchter, ohne eine formale Qualifikation zu haben – also ohne staatliche Anerkennung. Daher unterstützt die GIZ Pakistan dabei, landesweit einheitliche Zertifizierungen einzuführen.
Ausbildung in Elektrotechnik
Im „Government Technical Training Institute“, der staatlichen technischen Berufsschule, werden die Berufsanwärter bereits systematisch an ihr Metier herangeführt. Zishan Qureshi bildet hier seit 1993 Elektrotechniker aus. Seit kurzem unterrichtet der 45-Jährige nach dem Lehrplan des deutsch-pakistanischen Ausbildungsprogramms. Eines der Ziele war es, die Schüler zur Interaktion und zum Nachfragen zu ermuntern. Inzwischen seien die Schüler ihm gegenüber nicht mehr so gehemmt, meint Qureshi.
Im Unterrichtsraum für fortgeschrittene Elektrotechnik schrauben 13 Schüler in akkurat gebügelten Schuluniformen mit voller Aufmerksamkeit an Modellplatten, auf denen farbige Glühbirnen angebracht sind. An einer Pinnwand hängen verblichene Skizzen komplexer Schaltkreise. In ein paar Monaten werden sich die jungen Männer bei einem der Ausbildungsbetriebe bewerben. Während des Trainings bekommen sie in den Firmen ein durchschnittliches Stipendium von 8.500 Rupien, etwa 75 Euro. „Am Ende der Ausbildung haben die Schüler ein Gefühl für das große Ganze“, sagt Qureshi. „Auch der Ruf, den manuelle Arbeit in der Gesellschaft hat, wandelt sich langsam.“
Misbah Naz verdient monatlich 18.000 Rupien, rund 160 Euro und etwa ein Drittel mehr als der gesetzliche Mindestlohn. Von dem Gehalt trägt sie auch zum Familieneinkommen bei. Damit will sie etwas von der Unterstützung durch ihre Eltern zurückgeben. Die sind stolz auf das, was ihre Tochter erreicht hat – sie ist die erste Frau in der Familie mit einer eigenen Karriere.
Ansprechpartner: Hans-Ludwig Bruns > hans-ludwig.bruns@giz.de
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FIT FÜR DEN JOB
Projekt: Unterstützung der Berufsbildungsreform in Pakistan
Land: Pakistan
Auftraggeber: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Politischer Träger: Pakistanische Nationale Kommission für Berufsbildung
Laufzeit: 2011 bis 2016