Interview

„Eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft – trotz Pandemie“

GIZ-Vorstandssprecherin Tanja Gönner blickt zurück auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Ihr Fazit: In Corona-Zeiten wurde viel erreicht.

Text
Friederike Bauer

Corona hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft überlagert. So musste etwa der EU-Afrika-Gipfel verschoben werden und der EU-China-Gipfel schrumpfte zu einem Video-Event zusammen. Was wurde im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft dennoch erreicht?
Die letzten sechs Monate des Jahres 2020 waren aus meiner Sicht äußerst erfolgreich, obwohl die Pandemie einen nicht unerheblichen Teil der Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die Einigung beim mehrjährigen Haushalt, der sehr schwierige Verhandlungen vorausgingen, war großartig. Der Konflikt barg enorme Sprengkraft für die Europäische Union. Dass es gelungen ist, das Veto von einigen Mitgliedsstaaten zur Rechtsstaatlichkeitsklausel aufzulösen und alle an Bord zu bringen bzw. zu halten, war für den Zusammenhalt der Union sehr wichtig.

Wie sieht es konkret auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit aus?
Auch da sehe ich viele Fortschritte. Im neuen Finanzrahmen sind zum ersten Mal alle außenpolitischen Themen zusammengefasst und mit einem neuen Finanzierungsinstrument namens „Neigbourhood Development and International Cooperation“ unterlegt. Dadurch kann die EU international flexibler, aber auch kohärenter und transparenter handeln. Das schafft Planungssicherheit, nicht zuletzt für uns als Durchführungsorganisation. Auch das Post-Cotonou-Abkommen, das die Kommission im Dezember mit 79 Staaten aus Afrika, der Karibik und der Pazifik-Region auf den Weg gebracht hat, halte ich für eine bemerkenswerte Leistung. Damit steht das weltweit größte Nord-Süd-Abkommen, das 1,5 Milliarden Menschen auf vier Kontinenten betrifft und für die nächsten 20 Jahren gelten soll.

Welche Themen waren inhaltlich relevant?
Der grüne Wiederaufbau und die Digitalisierung spielten eine große Rolle. Beides sind entscheidende Teile der Reaktion auf die Corona-Krise. Diese Themen bilden aber auch einen Schwerpunkt unserer Arbeit in den kommenden Jahren. Hier gehen wir im Gleichschritt mit der EU und ergänzen uns sehr gut. So wurde zum Beispiel entschieden, einen gemeinsamen Datenmarkt und Datenraum zwischen Europa und Afrika zu etablieren. Auch eine sogenannte „Digital Innovation Bridge“ wurde beschlossen. Diese europäisch-afrikanische Initiative soll digitale Innovation und Unternehmertum unterstützen. Da gibt es viele spannende und zukunftsweisende Ansätze.

Afrika war überhaupt ein Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft. Warum ist Afrika so wichtig für Europa?
Es gibt eine Reihe von Gründen dafür: Die beiden Kontinente haben eine gemeinsame Geschichte; das verbindet natürlich. Und wir stehen zum Multilateralismus; auch hier gibt es eine Übereinstimmung. Zudem ist Afrika unser Nachbarkontinent. Was sich dort tut, kann uns nicht egal sein. Dazu kommen geopolitische und wirtschaftliche Interessen: In Afrika entsteht derzeit – übrigens mit starker Unterstützung der EU – die größte Freihandelszone der Welt. Politisch, wirtschaftlich, ökologisch, kulturell – von diesem riesigen Potenzial können auch die Länder Europas profitieren. Und dann gibt es noch Themen wie Migration, die sowohl Afrika als auch Europa beschäftigen. Kurz gesagt: Es spricht alles für eine engere Zusammenarbeit.

Stichwort Zusammenarbeit. Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit der EU für die GIZ?
Eine große und wachsende: Die EU ist nach der Bundesregierung für uns der wichtigste Auftraggeber. Für unseren eigenen Geschäftsbereich International Services, über den wir uns im Wettbewerb mit anderen Organisationen auf Ausschreibungen im internationalen Markt bewerben, ist die EU sogar der größte Auftraggeber.

GIZ-Vorstandssprecherin Tanja Gönner im Portäit. Sie lächelt, trägt kurze dunkle Haare sowie eine Perlenkette und einen hellen Blazer.

Meist setzen wir Projekte mit der EU in Form von sogenannten „Kofinanzierungen“ mit dem Bundesentwicklungsministerium um. So arbeiten wir beispielsweise in Westafrika gemeinsam an dem digitalen Krankheitsüberwachungssystem SORMAS. Mit dieser Software können unsere Partner mit unserer Hilfe derzeit über 20 Infektionskrankheiten überwachen und eindämmen. Bilaterale und europäische Entwicklungszusammenarbeit ergänzen sich hier finanziell und fachlich. Im europäischen Rahmen lassen sich damit größere Programme auflegen – zum Teil auch solche, die wir bilateral schon durchführen – und Wirkungen vervielfältigen.

Die EU ist aber nicht nur ein entscheidender Auftraggeber für uns, sondern auch eine Institution, die den fachlichen Rahmen setzt, Ideen, Ansätze und Strategien formuliert. Und sie hat global nochmal ein ganz anderes Gewicht. Das alles macht sie für uns zu einer wichtigen Partnerin.

Was bedeutet umgekehrt die GIZ für die EU?
Wir sind die größte bilaterale Umsetzerin der EU – eine Entwicklung, die sich in den letzten zwei bis drei Jahren vollzogen hat. Das ist Anspruch und Ansporn zugleich, denn Größe verpflichtet zu einer besonderen Form der Qualität und schließt eine Vielzahl an Kooperationen mit anderen Akteuren ein. Die EU schätzt besonders unsere Kenntnis vor Ort und unsere Umsetzungsstärke. Es genügt nicht, einen Plan zu haben, man muss auch wissen, wie er sich verwirklichen lässt. Genau das können wir mit unserer jahrzehntelangen weltweiten Erfahrung bieten und einbringen.

Die EU hat anlässlich der Corona-Pandemie das Konzept „Team Europe“ auf den Weg gebracht. Es soll auch längerfristig als Teil der EU-weiten Entwicklungszusammenarbeit dienen. Was halten Sie von dem Ansatz?
Ich halte „Team Europe“ für ein sehr lohnendes Konzept, weil wir dadurch unsere Ansätze enger mit anderen EU-Mitgliedstaaten koordinieren können, einfacher mit den Durchführungsorganisationen der Mitgliedstaaten Projekte umsetzen können und dafür ein gemeinsames Etikett und gemeinsame Standards haben. Das erhöht die Schlagkraft Europas und liegt ganz in unserem Interesse.

Befürchten Sie nicht, als Einzelinstitution an Sichtbarkeit zu verlieren?
Nein, da habe ich keine Bedenken. Es geht nicht um Sichtbarkeit einzelner Institutionen, sondern um größtmögliche Entwicklungsfortschritte, die sich im Verbund mit anderen an vielen Stellen besser erreichen lassen. Wir bleiben am Ende immer eine erfahrene Umsetzerin. Das ist unsere Stärke. Als solche werden wir wahrgenommen, unabhängig vom Label.

Januar 2021