Perspektiven
Ein Ort für eine vitale Start-up-Szene
„Wir stellen Gründerinnen und Gründern einen geschützten Raum zur Verfügung, in dem junge Geschäftsideen Realität werden können. Wir bieten dafür ein dreimonatiges Vollzeitprogramm für Tech-Unternehmen an, die Ideen entwickeln oder in einer frühen Geschäftsphase stecken.
„Vielen Investoren ist die Start-up-Szene hier unbekannt.“
ALICE BOSLEY (31), Geschäftsführerin von „Five One Labs“, einer Initiative für Gründer*innen in der Autonomen Region Kurdistan
Es deckt alle Bereiche ab – von Marktforschung über Produktentwicklung bis zu Verkaufsstrategien. Zehn bis 15 Personen nehmen jeweils an dem Programm teil. Wir bemühen uns sehr, die Inhalte an den lokalen Markt anzupassen. Durch die Unterstützung der GIZ konnten wir internationale Experten einladen, wie Josh Williams, leitender Produktmanager von Starbucks, oder Marios Harrane von Careem. Das ist eine erfolgreiche App zur Vermittlung von Privatfahrten in der Region. Zudem organisieren wir Veranstaltungen wie Hackathons. Bei solchen digitalen Großveranstaltungen entwickeln die Teams gemeinsam Lösungen für ein vorgegebenes Problem. Und bei Vorträgen an Universitäten erfahren Studierende mehr über unternehmerisches Wissen. Wir wollen auch Investoren aus der ganzen Region und global zeigen, dass hier im Land sehr viel passiert. Der Irak ist ein riesiger Markt. Viele Investoren kennen zwar das wirtschaftliche Potenzial, ihnen ist aber die bereits existierende Start-up-Szene unbekannt. Bei unserer Zusammenarbeit mit der GIZ lernten wir auch andere Gründerinitiativen im Irak kennen. Bei uns ein Tech-Unternehmen zu gründen, ist nicht einfach, denn die Regierung macht ständig neue Vorgaben. Gleichzeitig ist die Dynamik in solchen Unternehmen fantastisch. Wir haben Stipendien für Gründerinnen eingeführt, weil wir merkten, dass es Frauen oft schwerer haben, ihr Unternehmen voranzutreiben, als Männer. Alle Frauen, die teilgenommen haben, konnten in der Wirtschaft Fuß fassen. Einige sind inzwischen bei öffentlichen Veranstaltungen aufgetreten.“
„Diese Generation ist wirklich innovativ.“
RAVIN BUHRAN (27), Unternehmenstrainer und Mitarbeiter im Gründerzentrum „The Lab:Suli“ in Sulaimaniya, das zu „Five One Labs“ gehört
„Ich bin Webdesignexperte und helfe Unternehmen in den Bereichen Design, Nutzererfahrung, Benutzeroberfläche, Aufbau eines Technologie-Teams und Projektmanagement. Wir treffen uns mindestens dreimal wöchentlich und es macht Spaß, Fortschritte zu sehen. Die Start-ups verbessern etwa ihr Webdesign oder entwickeln ihre Produkte weiter. Einige der jungen Unternehmen, die wir unterstützen, wachsen bereits rasant. Dazu gehören etwa der E-Commerce-Handel Larixca für nachhaltige Kleidung oder die Medikamente-App Chara Plus. Damit kann man einfach Medizin nach Hause bestellen. Unser Portfolio ist sehr vielfältig, mit Ideen, die Lösungen für ganz alltägliche Probleme bieten.
Ein Beispiel ist Tasty not Wasty: Das ist ein Lieferdienst, der übrig gebliebenes Essen aus Restaurants zu einem niedrigeren Preis verkauft. So vermeiden wir Verschwendung. Es gibt so viele ehrgeizige, kreative Leute hier und so viele Möglichkeiten für positive Veränderungen. Diese Generation von jungen Irakerinnen und Irakern ist wirklich innovativ und unser Fokus liegt darauf, sie durch Weiterbildung und Netzwerke zu unterstützen. Im Irak fehlt es an Arbeitsplätzen. Nach dem Uniabschluss wissen viele nicht, was sie tun sollen. Wir versuchen, den Privatsektor zu unterstützen, damit er künftig mehr Jobs bietet. Investoren von heute suchen neue Ideen, die von den alten Wirtschaftsbereichen wie Bauunternehmen oder Ölproduktion wegführen. Die neuen Start-ups benötigen keine großen Investitionen und sind daher attraktiv. Manche wirken sich bereits positiv auf das Leben der Menschen aus. Sie bieten Dienstleistungen, die die Leute wirklich brauchen. In diesen Bereichen definieren diese Anbieter den Markt neu.“
„Ich merkte gleich, wie hoch die Qualität der Ausbildung ist.“
ZAHRA FAHDIL (33), Gründerin von Fix IT, einem Portal für Handwerkervermittlung
„Im vergangenen Jahr war ich mit meinem Kind zu Hause und die Küchenspüle war undicht. Ich brauchte Hilfe, aber ich konnte keinen qualifizierten Klempner finden. Ich komme ursprünglich aus Nadschaf südlich von Bagdad und spreche noch nicht sehr gut Kurdisch. Das macht es schwieriger, hier im Nordirak alltägliche Probleme zu lösen. So entstand die Idee, eine einfache App zu entwickeln, mit der sich die Leute mit Handwerkern wie Elektrikern und Installateuren in Verbindung setzen können. Mir war klar, dass ich Expertenwissen brauche, um sicherzugehen, dass meine Geschäftsidee funktioniert. Bei einer Suche auf Facebook entdeckte ich das Kursprogramm von Five One Labs. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sie mich dort annehmen.
Als es losging, merkte ich gleich, wie hoch die Qualität der Ausbildung ist. Ich hatte das Gefühl, Teil einer Familie zu sein. Ich habe sehr viele neue Freunde gefunden. Gerade bin ich im dritten Monat des Gründerprogramms und lerne Fähigkeiten, die man braucht, um ein erfolgreiches Unternehmen zu führen. Ich habe auch schon begonnen, die App zu entwickeln, ein Team aufzubauen und den Produktnamen zu vermarkten. Sogar die Broschüren und Flyer sind schon gedruckt und verteilt. Ich will nach dem Kurs als freiwillige Mitarbeiterin weiter hierbleiben und bei der Organisation von Veranstaltungen helfen. Die Events hier sind genau auf die Fähigkeiten zugeschnitten, die wir brauchen. Ich glaube, meine Geschäftsidee hat gute Chancen, weil es viele Häuser gibt, die ordentliche Instandhaltung brauchen. Ich möchte die App auf den ganzen Irak ausweiten, damit andere Leute nicht solche Probleme haben, wie ich sie hatte. Sie sollen mit Hilfe der App entspannt und bequem die nötigen Dienstleister finden.“
„Ich habe schon zwei Investoren gefunden.“
LAYLAN ATTAR (29), Gründerin von Dada Babysitting, einer digitalen Vermittlung von Kinderbetreuung
„Ich war im privaten Sektor angestellt, als ich schwanger wurde. Mein Arbeitgeber löste damals die Abteilung auf, in der ich arbeitete. Da war es einfach, mich zu entlassen. Ich suchte eine neue berufliche Aufgabe. Ich wusste um die Probleme, vor denen Familien ohne Kinderbetreuung stehen, und dachte mir: Wieso nicht einen Babysitterdienst gründen? Im März 2019 registrierte ich den Namen meiner Firma und jetzt befinden wir uns in der Testphase. Meistens schicken die Leute ihre Söhne und Töchter in Kindergärten oder sie haben Hilfe aus der Familie. Meine Idee ist, eine Kultur und ein Konzept für neue Formen von Kinderbetreuung aufzubauen. Bis jetzt läuft alles noch über Mundpropaganda und trotzdem haben wir schon mehr als 50 Anfragen von interessierten Eltern. Die Leute können sich auf einer einfach zu benutzenden Webseite registrieren.
Alle unsere Babysitterinnen und Babysitter durchlaufen einen strengen Auswahlprozess, um sicherzustellen, dass sie geeignet und qualifiziert sind. Noch bieten wir die Vermittlung kostenlos an, weil wir bekannt werden wollen. Nicht immer ist alles glatt gelaufen, aber Five One Labs hat mir viel Selbstvertrauen und Unterstützung gegeben. Ich konnte mein Wissen erweitern und habe jetzt Zugang zu verschiedenen Netzwerken. Dazu vermitteln die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einem das Gefühl, dass alles möglich ist. Ich kam hochschwanger in dem Kurs von Five One Labs an und ohne wirklich zu glauben, dass ich die Unternehmensgründung hinkriegen würde. Und jetzt habe ich zwei Investoren gefunden, einen aus dem Irak und einen aus London. In einer Gemeinschaft zu sein, die vor den gleichen Herausforderungen steht, hilft sehr. Zudem trägt das Zentrum dazu bei, diesen Teil der Welt ins Scheinwerferlicht zu rücken und zu zeigen, dass sich im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan viel Neues tut.“
aus akzente 2/20