Interview
„Aussicht auf Ankunft und Zukunft schaffen“
Herr Erbert, die gemeinsame berufliche Qualifikation von Flüchtlingen sowie Äthiopierinnen und Äthiopiern ist ein neuer Ansatz. Welche Voraussetzungen mussten dafür in Äthiopien geschaffen werden?
Die Novellierung der äthiopischen Flüchtlingsgesetzgebung war eine wichtige Voraussetzung. Äthiopien ist mit seiner „Open Door Policy“ ein Vorreiter für die Aufnahme von Flüchtlingen. 2019 wurden neue Gesetze verabschiedet, die Flüchtlingen vermehrt Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Das hat uns Rückenwind verliehen. Und wir haben gezeigt, was damit praktisch möglich wird, nämlich die gemeinsame berufliche Qualifizierung von Äthiopierinnen, Äthiopiern und Flüchtlingen. Das war nur möglich, weil die GIZ mit ihren Partnern in Äthiopien ein starkes Vertrauensverhältnis verbindet. So konnten wir diesen innovativen Ansatz angehen, der seiner Zeit voraus war.
Was wurde bisher erreicht?
Es ist erstmals gelungen, Flüchtlinge in öffentliche Berufsschulen in Äthiopien aufzunehmen. Das ist ein wirklicher Meilenstein. Innerhalb von relativ kurzer Zeit konnte das Projekt dazu beigetragen, Flüchtlinge durch berufliche Bildung in die äthiopische Gesellschaft zu integrieren. Denn es wurden unmittelbar Wege in Arbeit geschaffen – auch für Äthiopierinnen und Äthiopier. Diesen Ansatz bauen wir weiter aus. Wir haben bisher in unserem Projekt 1.200 Menschen erreicht, 6.500 sollen es bis Mitte 2023 werden. Wir wollen Berufsschulen im ganzen Land stärken und so mehr Angebote der integrierten Berufsbildung ermöglichen.
Wieso ist der Ansatz so wichtig?
Wir leisten einen konkreten Beitrag dazu, den umfassenden Rahmenplan für Flüchtlingshilfemaßnahmen (Comprehensive Refugee Response Framework) umzusetzen. Dieser sieht unter anderem vor, dass Flüchtlinge und die ihnen Zuflucht bietenden Gemeinden zusammen unterstützt werden. Unser Ansatz, Berufsbildung für Flüchtlinge, Äthiopierinnen und Äthiopier mit Beschäftigungsperspektiven zu verknüpfen, zielt genau darauf ab. Deshalb stößt er auch bei anderen Akteuren der internationalen Zusammenarbeit auf Interesse, etwa beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und der Weltbank. Unsere Erfahrungen und Expertise werden nachgefragt. Dabei freut es uns natürlich, wenn unser Ansatz der integrierten Ausbildung als richtungsweisend angesehen wird.
Weshalb ist es für äthiopische Unternehmen interessant, bei QEP mitzumachen?
Unsere Arbeit beruht auf Vertrauen und Austausch. Wir haben Netzwerke mit unseren äthiopischen Partnern aufgebaut und Berufsschulen beraten, wie sie auf Unternehmen zugehen können. Firmen waren von Anfang an eingebunden. Beispielsweise waren sie an der Entwicklung des Lehrmaterials beteiligt. Und sie können mitbestimmen, wie die Ausbildung ablaufen soll. Das ist neu im äthiopischen Berufsbildungssystem, das in der Realität oft noch sehr verschult ist. Unternehmen können jetzt mehr Einfluss nehmen, wie junge Menschen ausgebildet werden. Das ist wichtig, denn einen Bedarf nach passend ausgebildeten Fachkräften gibt es in Äthiopien.
Was hat sie persönlich bisher besonders beeindruckt?
Die Offenheit mit der etwa die Nefas Silk Berufsschule bereit war, Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft aufzunehmen. Sie hat Flüchtlinge integriert, trotz aller eigenen Herausforderungen, vor der die Schule steht. Das gilt auch für die beteiligten Unternehmen. Für sie zählte nicht, woher jemand kommt, sondern die Fähigkeiten und Motivation. Diese Zugewandtheit beeindruckt mich. Und wie es Menschen auf ihrem Weg stärkt, wenn Talente anerkannt werden und sie die Chance bekommen, ihre Fähigkeiten einzusetzen. Darüber hinaus freue ich mich einfach zu sehen, wie Beziehungen wachsen. Wenn Äthiopierinnen und Äthiopier Flüchtlingen im Alltag helfen, sie etwa bei Behördengängen unterstützen. Außerdem zeigt sich, dass gemeinsame Ausbildung viel mehr bedeutet als den Erwerb von Fachwissen. Jenseits des Klassenzimmers und der Werkstatt findet Austausch und Verständigung statt. Wir konnten dazu beitragen, getrennte gesellschaftliche Sphären ein Stück weit zu durchbrechen – und Aussicht auf Ankunft und Zukunft schaffen.
akzente Dezember 2020