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Investitionen in gute Ernährung sind ein Hebel für nachhaltige Entwicklung. Die GIZ arbeitet vernetzt, digital und mit Fokus auf Frauen und Kleinkinder.

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Albert Engel

Albert Engel

  ALBERT ENGEL  

leitet bei der GIZ die Stabsstelle Evaluierung. Zuvor war er unter anderem Leiter der Abteilung Ländliche Entwicklung und Landwirtschaft.
albert.engel@giz.de

Ernährungssicherheit ist ein Menschenrecht – eines von weitreichender Bedeutung: Gut ernährte Kinder, Frauen und Männer sind eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. Umgekehrt hat Fehlernährung massive Konsequenzen. Die Betroffenen macht sie krank und schwach. Und ein Land, in dem viele Menschen wegen ihres schlechten Ernährungszustands nicht leistungsfähig sind, kann seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Kraft nicht voll entfalten.

Ernährungssicherheit spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit und damit auch bei der GIZ. Bereits Ende der 1980er Jahre haben wir damit begonnen, Nothilfe bei Hungersnöten, Übergangshilfe oder langfristige Entwicklungsmaßnahmen verknüpft zu betrachten. Um grundlegende Veränderungen anzustoßen, müssen der Blick geweitet und die richtigen Fragen gestellt werden: Wer hat Zugang zu Land und Wasser? Wie sind Produktion und Marktzugang von kleinbäuerlichen Betrieben? Wie steht es um das Wissen über Ernährung und Hygiene? Und mit welchen Investitionen kann man am meisten erreichen? Wir haben aus eher lokal ausgerichteten Vorhaben der entwicklungspolitischen Anfangsjahre gelernt: Um nachhaltig erfolgreich zu sein, agieren wir vernetzt auf allen Ebenen in den Partnerländern – lokal, regional und national.

Wie Corona die Situation verschärft

Zwischen 1990 und 2014 war die Entwicklung vielversprechend, die Zahl der Hungernden weltweit sank. Doch seither geht die Kurve nach oben. Jeder neunte Mensch schläft heute hungrig ein. Kriege und Konflikte der vergangenen Jahre, die dadurch ausgelösten Fluchtbewegungen sowie Klimawandel und Bevölkerungswachstum haben die Lage verschlechtert. Und die Corona-Pandemie verschärft die Situation.

Deutschland hat 2014 die Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ angestoßen, um das bisherige Engagement weltweit zu verstärken. Insgesamt investiert das BMZ jährlich rund 1,5 Milliarden Euro in die Schwerpunkte Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung. Bereiche, in denen die GIZ und ihre Vorgängerorganisationen schon über Jahrzehnte ein Netzwerk mit Partnern aufgebaut haben.

In jüngster Zeit sind Schwangere, Stillende und junge Frauen in den Fokus unserer Arbeit gerückt. Studien belegen, dass die ersten 1.000 Tage eines Menschen ausschlaggebend sind für den Rest des Lebens. Gute Ernährung im Säuglingsalter (und noch vor der Geburt) verhindert schwere Entwicklungsstörungen, die für den Menschen in einen Teufelskreis von Armut und Unterernährung führen können. Mit Folgen bis in die nächsten Generationen. Gut ernährte, gesunde Säuglinge und Kleinkinder sind wichtig für die Zukunft ihrer Gesellschaften. In Tadschikistan etwa, wo jedes fünfte Kleinkind unterernährt ist, sorgen wir mit dem Gesundheitsministerium des Landes dafür, dass junge Frauen mehr über Ernährung lernen. Dafür wurden Gesundheitsberater*innen ausgebildet und ein E-Learning-Tool entwickelt.

Digitale Innovationen nutzen

Digitale Lösungen haben sich in der Coronavirus-Pandemie bewährt, so konnten Evaluierungstandems aus nationalen und internationalen Expert*innen trotz Reisebeschränkungen arbeiten. Digitale Werkzeuge erleichtern generell unsere Erhebungen. Beim Messen der Wirkungen unserer Ernährungssicherungsvorhaben nutzen wir international anerkannte Indikatoren und gehen zugleich neue Wege. So wurde beispielsweise „The Minimum Dietary Diversity for Women“ entwickelt: Frauen werden dabei befragt, was sie am Tag zuvor gegessen haben. Wenn etwas aus mindestens fünf von zehn definierten Lebensmittelgruppen verzehrt wurde – etwa Gemüse, Nüsse, tierische Lebensmittel –, dann kann man davon ausgehen, dass die Ernährung gut ist. Die GIZ hat mit der FAO als eine der ersten Anwenderinnen diesen Indikator genutzt.

Neu ist auch der maßgeblich von der Welthungerhilfe entwickelte „Child Growth Monitor“ zur Erfassung des Wachstums von Kindern. Mit einer mobilen App kann Mangelernährung festgestellt werden. Anstelle einer Waage oder eines speziellen Maßbandes zur Messung des Oberarms verwendet der „Child Growth Monitor“ Bilddaten, die mit einem handelsüblichen Smartphone aufgenommen werden. Entwickelt wurde diese App schon vor der Corona-Krise, doch gerade jetzt ist sie ein wichtiges Instrument, um weiterhin die Entwicklung der Jungen und Mädchen zu verfolgen – mit dem nötigen Abstand, um die Gesundheit zu schützen.

Wir passen unsere Arbeit an die neuen Herausforderungen an, überprüfen kritisch unsere Ansätze und gehen sinnvolle neue Wege: damit sich mehr Kinder, Frauen und Männer gesund ernähren können – und so nachhaltige Entwicklung möglich wird. Das treibt uns an.

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