Ausbildung in den Palästinensischen Gebieten
Süße Berufung
Im Halawi-Croissant treffen sich Orient und Okzident. Die süße Halwa-Füllung aus Sesamsamen, umhüllt von knusprigem Blätterteig, ist eine Spezialität in der Bäckerei „Omar“ im Stadtzentrum von Hebron. Seit sieben Uhr früh wird gebacken. Die mit Erdbeerkonfitüre und Schokolade gefüllten Croissants sind schon fertig, die Karamellkekse liegen zum Verzieren mit Kokosnusssplittern bereit. Omar Sider, der Chef der Konditorei, setzt sich mit seiner Auswahl ab vom traditionellen Gebäck in Hebron, wo die arabischen Baklavas verbreiteter sind. Schon sein Laden fällt aus der Reihe in der eher konservativen Stadt 30 Kilometer südlich von Jerusalem. Hinter der hellen Glasfront schmücken grellgrüne Regale und Tische die wenige Monate alte Konditorei. Von Anfang an mit dabei: die 27-jährige Renal Qawasmeh, die im oberen Stock Kekse aussticht, backt, mit Füllungen versieht und bunt dekoriert. Sie ist das professionelle Herz des Teams, das aus drei Männern und einer Frau besteht: ihr selbst.
Qawasmeh ist eine der ersten Konditorinnen in der Stadt mit mehr als 200.000 Einwohnern. Die Muslimin trägt einen Kittel über dem Kleid, dazu ein schwarz-rotes Kopftuch. Ihre Backstube ist blank geputzt, bunte Zuckerstreusel, gehackte Nüsse und Schokoladenbrocken warten, in Plastikbehältern hygienisch verpackt, auf ihren Einsatz. Die junge Frau ist mit erkennbarer Freude bei der Sache. Gerade prüft sie die Konsistenz einer Creme aus weißer Schokolade, die sie auf einer Herdplatte erhitzt, und gibt einem Kollegen Anweisung, ein fertiges Blech in den Laden hinunterzutragen. Man ahnt kaum, dass man es hier mit einer Berufsanfängerin zu tun hat. Täglich bis zu 30 Kilogramm Kekse kommen aus ihrem Backofen, zusätzlich zu den Torten und Sonderbestellungen. „Ich liebe es, mit den Händen zu arbeiten“, sagt Qawasmeh. „Du siehst am Ende eines Arbeitstages, was du geleistet hast.“
Ein Waisenhaus teilweise zur Berufsschule umfunktioniert
Kurze Zeit später stattet sie ihrem früheren Ausbildungsort einen Besuch ab. Sie gehört zum dritten Jahrgang, der eine Qualifizierung für Konditoren absolviert hat. Der Kurs ist Teil der Förderung beruflicher Chancen in den Palästinensischen Gebieten, die die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umsetzt. In dem teilweise zur Berufsschule umfunktionierten Waisenhaus finden weitere Kurse statt. Gleich neben Qawasmehs altem Klassenzimmer, wo nun die nächsten Zuckerbäcker unterrichtet werden, lernen junge Palästinenser das Kochen, eine dritte Gruppe lernt das Servieren.
Bildergalerie: Ausbildung in der Bäckerei "Omar".
Herzlich begrüßt Rania al-Musleman ihre ehemalige Schülerin, als diese die Großküche betritt. Hier übte sich Qawasmeh vor gut einem Jahr noch in der Kunst des Backens. Die Lehrerin trägt über ihrem Kopftuch eine Bäckermütze, auf die in Rot der Buchstabe „R“ gestickt ist. Die Mütze verleiht der ohnehin charismatischen Frau zusätzliche Autorität. „Komm, hilf mir“, fordert die Lehrerin Qawasmeh auf. Diese leiht sich einen Kittel und gemeinsam demonstrieren die beiden Frauen, wie man mit kleinen Kellen Zuckerwasser über die frisch gebackene Baklava verteilt. Bis zur Prüfung müssen die Auszubildenden beides beherrschen: das traditionelle arabische Gebäck und die westlich orientierte Konditorei. Dazu kommen Hygienekunde und Nahrungsmittellehre.
Magere Aussichten auf einen Arbeitsplatz für Akademiker
Die nach Geschlechtern getrennten Klassen der angehenden Konditoren, der Köche und vor allem der Kellner hätten noch Kapazitäten frei. Das liegt nicht an den Kosten. Die Auszubildenden zahlen für den gesamten Kurs eine symbolische Summe von umgerechnet kaum 300 Euro. „Der Bereich Dienstleistungen gilt als wenig attraktiv“, erklärt der Lehrer Islam Abu Alfilat und seufzt. Er ist für die Ausbildung im Servicebereich zuständig. „Manche Leute denken, dass Kellnern kein Beruf ist.“ Hebron ist, was das Handwerk betrifft, vor allem für Glasbläserei, handgefertigte Keramiken und Lederprodukte bekannt. Doch wer es sich in Hebron irgendwie leisten kann, schickt seine Kinder lieber zum Studium an eine Universität, trotz der mageren Aussichten auf einen Arbeitsplatz für Akademiker.
Diese Haltung hat auch mit dem Charakter der Stadt zu tun, der konservativer und weniger westlich orientiert ist als in anderen Städten, etwa im 20 Kilometer entfernten Bethlehem. Aber gerade im Dienstleistungsbereich entstehen viele neue Arbeitsplätze, denn „es werden neue Restaurants eröffnet“, berichtet Abu Alfilat. „In letzter Zeit kommen mehr Touristen in die Stadt.“ Vor allem unter den Arabern, die in Israel leben, werde die palästinensische Küche, die in Hebron vergleichsweise preiswert ist, immer beliebter. Rund 20 Prozent der israelischen Staatsbürger sind Araber, die sich auch im palästinensischen Westjordanland frei bewegen können. Für die Palästinenser ist umgekehrt die Fahrt am Checkpoint vor Jerusalem zu Ende.
Berufsbildung bedeutet auch weniger Konflikte
Die eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten erschweren die wirtschaftliche Entwicklung und sind einer der Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit. Bei 24,5 Prozent lag sie der Internationalen Arbeitsorganisation zufolge im Jahr 2013. Dazu kommt, dass die Stadt, eine der Hochburgen der islamistischen Hamas, immer wieder Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen ist. Hebron ist Juden und Muslimen gleichermaßen heilig, denn hier liegt ihr Stammvater Abraham beziehungsweise Ibrahim begraben. Mitten in Hebron leben unter strenger Bewachung durch die Besatzungstruppen ein paar Hundert radikale israelische Siedler, die immer wieder Auseinandersetzungen provozieren. Umgekehrt eskalieren palästinensische Demonstrationen gegen die Besatzung oft in Steinwürfen auf die Siedler und auf die zu ihrem Schutz stationierten Soldaten. Für die GIZ steht die Berufsbildung in direkter Verbindung mit dem Ziel der Konfliktminderung. „Perspektivlosigkeit führt schnell zu Gewalt“, erklärt GIZ-Landesdirektor Rudolf Rogg. Die Jugend stehe in den Palästinensischen Gebieten deshalb immer im Fokus der gemeinsamen Arbeit mit den palästinensischen Partnerministerien.
Das Beispiel von Renal Qawasmeh zeigt, was über Berufsbildung erreicht werden kann. Über das handwerkliche Training hinaus zielt die Förderung auf bessere Chancen für die Absolventen auf dem Arbeitsmarkt ab und schließlich auch auf eine höhere Entlohnung. So hatte Qawasmeh bereits ein abgeschlossenes Studium als Grafikdesignerin hinter sich, als sie sich dazu entschied, zur Konditorin umzuschulen. „Nach zweieinhalb Jahren im Beruf habe ich damals immer noch nur 1.000 Schekel (rund 230 Euro) verdient“, sagt sie. In der Bäckerei „Omar“ liegt schon ihr Anfangsgehalt bei 1.500 Schekel pro Monat. „Ich hatte andere Stellenangebote als Konditorin“, sagt sie stolz. „Die Gesellschaft beginnt, Professionalität wahrzunehmen und zu schätzen.“
In den Monaten zwischen Abschluss und Anstellung hat sie zu Hause gebacken und auf Basaren oder unter den Nachbarn verkauft. „Das hat sich herumgesprochen“, lacht sie. Einer ihrer Nachbarn machte schließlich Omar Sider auf die Konditorin aufmerksam. „Sie ist fantastisch“, lobt der Chef. Eines Tages werde sie ihren eigenen Laden haben, träumt Qawasmeh. „Dann stelle ich nur ausgebildete Konditoren bei mir ein.“
> Ansprechpartner: Andreas König andreas.koenig@giz.de
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CHANCE AUF ARBEIT
Projekt: Förderung von Berufsbildung und Arbeitsmarkt
Land: Palästinensische Gebiete
Auftraggeber: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Politische Träger: Palästinensisches Ministerium für Bildung und Hochschulbildung, Palästinensisches Ministerium für Arbeit
Laufzeit: 2011 bis 2015