Erneuerbare Energie

Revolution in der Wüste

Wie Chile mit deutscher Unterstützung preiswerten Ökostrom produziert und zum Vorreiter für Klimaschutz wird. 

Text
Philipp Hedemann
Fotos
Thomas Imo

Die intensivste Sonneneinstrahlung der Welt, die trockenste Wüste der Welt und die größte Kupfermine der Welt mit einem riesigen Energiebedarf: alles an einem Ort – und kaum Menschen, die das Experiment stören können. Bessere Versuchsbedingungen hätte sich kein Wissenschaftler ausdenken können. In der chilenischen Atacama-Wüste existieren sie wirklich. Mit internationalem Know-how und deutscher Erfahrung will der Andenstaat zum Vorreiter der Energiewende und des Klimaschutzes werden.

Der Turm ist das Herzstück der ersten Konzentrierten Solarenergieanlage Südamerika
Der Turm ist das Herzstück der ersten Konzentrierten Solarenergieanlage Südamerika

Er ist schon vom Flugzeug aus zu sehen. 210 Meter hoch erhebt sich ein riesiger Turm über die Atacama-Wüste. Das zweithöchste Gebäude Chiles ist ein echtes Leuchtturmprojekt und das Herzstück der ersten Konzentrierten Solarenergieanlage Südamerikas. 10.600 jeweils 144 Quadratmeter große Spiegel sollen schon bald die Energie der Sonne auf die Spitze des Turmes fokussieren und so 50.000 Tonnen Salz auf 545 Grad erhitzen. Die geschmolzenen Kristalle werden dann Wasser verdampfen, das eine gewaltige Turbine antreiben und so bis zu 110 Megawatt Strom erzeugen kann. Genug Energie für mehr als 380.000 Haushalte. Weil das verflüssigte Salz die Energie der Sonne 17,5 Stunden speichert, kann das Kraftwerk 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr Strom liefern. 

2020 soll die Solaranlage in der Wüste Strom erzeugen

Voraussichtlich 2020 sollen die konzentrierten Sonnenstrahlen in der Atacama-Wüste den ersten Ökostrom erzeugen. Auch die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) überlegt derzeit, sich mit einem Kredit von 100 Millionen Euro an dem Eine-Milliarde-Euro-Projekt zu beteiligen. Im Mai 2018 realisierte eine Gruppe internationaler Finanzinstitutionen eine Finanzierung über 758 Millionen Dollar. Involviert sind neben der Deutschen Bank auch die Société Générale, ABN AMRO, Santander und die Commerzbank sowie institutionelle Anleger und lokale Banken. Die Anlage wird saubere Energie für das nationale Stromnetz in Chile in bisher unvorstellbarer Menge erzeugen. Nun soll der Bau schnell voranschreiten, während die Sonne jeden Tag vom wolkenlosen Himmel scheint. Denn was für andere schönes Wetter ist, ist für Entwickler von  Solarprojekten bares Geld.

Luis Lopez, Betriebsleiter der Solaranlage
Luis Lopez, Betriebsleiter der Solaranlage

Die Sonne sorgt nicht nur in der Wüste für Goldgräberstimmung. Auch für das Energieministerium in der zwei Flugstunden südlich gelegenen Hauptstadt Santiago de Chile ist das, was der Andenstaat gerade erlebt, eine Energierevolution. 2014 machten Sonne und Wind gerade mal sechs Prozent des chilenischen Energiemix aus, jetzt sind es 19 Prozent. Bis 2035 sollen bereits 60 Prozent des Stroms mit erneuerbarer Energie produziert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt Chile, damit die ehrgeizigen Ziele erreicht oder sogar übertroffen werden können. 

Im Auftrag des deutschen Umweltministeriums berechnete die GIZ unter anderem mit dem Energieministerium das Potenzial der erneuerbaren Energien. Das Ergebnis: Chile könnte mehr als das Hundertfache des gesamten aktuellen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen gewinnen. Und schon jetzt zeitigt die Arbeit der deutschen Energieexperten in Chile große Erfolge. So konnten seit 2014 mit Unterstützung der GIZ bereits Solar- und Windkraftwerke mit einer Leistung von mehr als 3,5 Gigawatt in Betrieb genommen werden, mehr als 50 weitere Öko-Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von über 15 Gigawatt sind in Planung.

GIZ-Programmleiter Rainer Schröer
GIZ-Programmleiter Rainer Schröer

Doch die Fachleute beraten ihre chilenischen Kollegen nicht nur bei der Entwicklung neuer Solarprojekte, sie begleiteten sie auch mehrfach nach Deutschland: „Wenn die Deutschen es unter klimatisch viel schwierigeren Bedingungen schaffen, erneuerbare Energie zu produzieren – dann packen wir das auch“, war das Fazit der südamerikanischen Ökostrompioniere nach ihrer Rückkehr.

Deutsches Know-how weltweit gefragt

Für die GIZ werden Projekte zum Klimaschutz und Vorhaben zur Anpassung an den Klimawandel immer wichtiger. Mittlerweile kommt rund ein Drittel der Aufträge aus diesem Bereich. „Deutschlands Erfahrungen mit der Energiewende und deutsches Know-how sind in diesem Sektor weltweit gefragt“, sagte GIZ-Vorstandssprecherin Tanja Gönner bei einem Arbeitsbesuch in der Atacama-Wüste. 

Die neue Anlage kann 380.000 Haushalte mit Strom versorgen.
Die neue Anlage kann 380.000 Haushalte mit Strom versorgen.

Oberstes Ziel der chilenischen Energierevolution ist eine verlässliche und günstige Energieversorgung. Der Klimaschutz ist dabei zunächst nachrangig. Darum treten alle Energieformen in einen offenen Wettkampf. Chile fährt seit der Pinochet-Diktatur einen äußerst wirtschaftsliberalen Kurs, keine Energieform wird subventioniert. Das einzige, was zählt, ist der Preis. Dabei setzten sich zuletzt oft die Erneuerbaren durch – einfach, weil sie meist am billigsten sind, denn in Chile wird mittlerweile der günstige Solarstrom der Welt produziert. 

Chiles ehrgeiziges Klimaziel

Dass dieser preiswerte Strom auch noch grün ist, ist für die amtierende Energieministerin Susana Jiménez jedoch mehr als nur ein positiver Nebeneffekt. Denn Chile hat sich mit dem Pariser Klimaabkommen dazu verpflichtet, seine Emissionen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 2007 um 30 Prozent zu senken. 

Juni 2018