Elektro-Ausbildung in Ghana
Mit Spannung in die Zukunft
Als sein Telefon plötzlich wieder funktionierte, musste Jaqueline Asiedus Vater sich von einem lange gepflegten Vorurteil trennen: jenem, nach dem Frauen nichts von Technik verstehen. Seine 16 Jahre alte Tochter hatte sein Telefon repariert. Und diese Reparatur sollte ihr Leben verändern. Am folgenden Tag begleitete ihr stolzer Vater sie zum Vorstellungsgespräch am renommierten Girls‘ Vocational Institute in der ghanaischen Hauptstadt Accra. Dort macht sie jetzt eine Ausbildung zur Elektronikerin – zusammen mit mehr als 100 anderen Mädchen.
Vorsichtig setzen Jaqueline Asiedu und ihre Klassenkameradin Hilda Sam die Sensoren des Spannungsmessers an die Schaltung. Ein rotes Lämpchen leuchtet auf, der Zeiger schlägt aus. Die Mädchen freuen sich: Ihre Messung zeigt, dass sie die Schaltung nach dem komplizierten Diagramm in der Lehrwerkstatt ihrer Berufsschule richtig zusammengebaut haben.
Immer mehr Menschen können sich Elektrogeräte leisten
„Manche Jungs sagen, dass Elektronik zu gefährlich für Mädchen sei, weil man einen Stromschlag kriegen und sterben kann“, sagt Jaqueline. Sie und Hilda lachen, sie haben sich schon viele dumme Sprüche anhören müssen. Verunsichern lassen sich die selbstbewussten Mädchen von dem Gerede nicht. „Die Jungs sind einfach neidisch, dass wir später Berufe ergreifen können, die sie gerne hätten“, sagt Hilda. Elektrikerin bei einer internationalen Firma, Verkäuferin in einem Technikmarkt, Inhaberin eines eigenen Elektroshops, gute Jobs bei Polizei und Militär – wenn die beiden jungen Frauen ihre Ausbildung in etwas mehr als zwei Jahren abgeschlossen haben, wird der ghanaische Arbeitsmarkt ihnen viele Chancen bieten.
Bildergalerie: Elektronik-Ausbildung statt Arbeit auf dem giftigen Müllberg
Vor der Küste wurden vor einigen Jahren Öl und Gas gefunden, die Wirtschaft wächst. Ghana ist einer der wenigen afrikanischen Staaten mit mittlerem Einkommen, immer mehr Menschen können sich Handys, Kühlschränke, Waschmaschinen und Klimaanlagen leisten. Die Nachfrage nach gut ausgebildeten Elektrikern ist entsprechend hoch. Doch bislang kann das ghanaische Ausbildungssystem den Bedarf nicht decken. Die Folge: Viele internationale Konzerne, die im Land gute Geschäfte machen, bringen ihr eigenes Personal mit.
Die Theorie kommt bislang viel zu kurz
In dem westafrikanischen Staat gehen künftige Handwerker bislang meist bei einem selbsterklärten Meister in die Lehre. Dort zahlen sie so lange Lehrgeld, bis der Meister der Meinung ist, dass der Nachwuchs ausgelernt habe. Die Ausbildung folgt weder einem Lehrplan, noch gibt es offiziell anerkannte Abschlussprüfungen, die Theorie kommt viel zu kurz. Auch Hilda Sams Vater erlernte so den Beruf des Kfz-Mechanikers. Er kommt mit seiner kleinen Werkstatt halbwegs über die Runden, einen gutbezahlten Job bei einer internationalen Auto-Niederlassung wird er jedoch nie bekommen. „Ohne Abschlusszeugnis haben traditionell ausgebildete Handwerker kaum Chancen, im formellen Sektor eine sichere Anstellung zu finden“, erklärt Tobias Mühler von der GIZ.
Um die Chancen der lokalen Bevölkerung auf dem immer anspruchvolleren Arbeitsmarkt zu verbessern, koordiniert die GIZ im Auftrag des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung seit 2014 eine Partnerschaft des Ministeriums mit dem Technikkonzern Samsung und der südkoreanischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit. An vier Berufsschulen werden nun deutlich mehr Mädchen ausgebildet. Ziel ist es, den Anteil von weiblichen Elektronik-Absolventen von rund zwei Prozent im Jahr 2012 auf 30 Prozent im Jahr 2017 zu steigern.
Schutz vor Prostitution und früher Heirat
„Es lohnt sich, in Mädchen zu investieren. Denn die meisten unserer Schülerinnen werden eines Tages selbst Mütter sein. Sie werden dann dafür sorgen, dass auch ihre eigenen Kinder eine gute Ausbildung erhalten“, sagt Edna Boafo, die das Accra Girls‘ Vocational Institute leitet. Boafo hat in England studiert, kehrte erst vor einigen Jahren nach Accra zurück. „Unser Bildungs- und Ausbildungssystem soll so gut werden, dass Ghanaer sich nicht mehr gezwungen sehen, ihr Land zu verlassen, wenn sie einen anspruchvollen Beruf erlernen wollen“, sagt die Rückkehrerin. Zudem will sie mit ihrer Schule dafür sorgen, dass schlecht ausgebildete Mädchen nicht in die Prostitution abrutschen, früh verheiratet werden und schon als Teenager Kinder bekommen.
Im „Palace“, einem der größten Einkaufszentren Accras, steht die 17-jährige Comfort Pokua vor einem riesigen, umgerechnet rund 9000 Euro teuren Samsung-Fernseher und erklärt einem Kunden dessen Vorteile. Auch sie wird in einer Berufsschule zur Elektrotechnikerin ausgebildet. Auf dem Lehrplan stehen unter anderem Praktika in Samsung-Läden. Kompetente Beratung beim Kauf von Elektrogeräten ist in Ghana bislang eher die Ausnahme, entsprechend gut kommen die jungen Verkäuferinnen an. „Die Mädchen sind hochmotiviert und haben echt Ahnung. So entsteht eine Win-Win-Win-Situation für die Auszubildenden, die Kunden und für uns“, sagt Samsung-Mitarbeiter Baffour Manu.
Gefährliche Arbeit auf der Deponie
Doch Jobs werden die Auszubildenden später nicht nur in den Einkaufszentren finden, in denen Samsung der statusbewussten und wachsenden Mittelschicht die neusten High-Tech-Geräte schmackhaft macht. Auch in dem für seine berüchtigte Elektroschrott-Müllkippe Agbogbloshie bekannten Stadtteil Old Fadama gibt es viele Läden, in denen gebrauchte Handys, Computer und Kühlschränke verkauft werden. Viele der Geräte sind aus Europa oder den USA nach Accra gelangt und müssen repariert werden, bevor sie weiterverkauft werden können. Nur was nicht mehr zu retten ist, landet auf der Müllkippe, einem der giftigsten Orte der Welt.
Ohne feste Schuhe, Handschuhe, Schutzkleidung und Atemschutz fackeln hier junge Männer, die meist nur wenige Jahre zur Schule gegangen sind, Kabel ab, um an die Edelmetalle unter der Plastikisolierung zu kommen. Eine von der GIZ unterstützte Untersuchung von mehr als 400 Menschen, die auf der Deponie arbeiten oder in unmittelbarer Nähe leben, ergab, dass viele von ihnen stark erhöhte Bleiwerte im Blut haben. Zudem ziehen die Arbeiter sich bei der gefährlichen Arbeit jeden Tag Brand- und Schnittverletzungen zu.
Neues Gesundheitszentrum für die Arbeiter
Als Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe die Müllkippe 2015 besuchten, waren sie schockiert – und beschlossen, zu helfen. Im Auftrag des Entwicklungsministeriums und des Landes Nordrhein-Westfalen wird die GIZ deshalb noch in diesem Jahr eine Gesundheitsstation nahe der Müllkippe errichten. Dort werden Arbeiter sich gegen einen geringen Beitrag untersuchen und behandeln lassen können. Langfristig jedoch müssen die gesundheits- und umweltschädlichen Arbeitsbedingungen auf der Müllhalde verbessert werden. „Mit dem Gesundheitsposten reagieren wir auf einen unmittelbaren Bedarf. Zugleich legen wir so die Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit. Es ist wichtig, dass die Menschen, die hier arbeiten, verstehen, dass wir ihnen nicht die Arbeit wegnehmen wollen. Wir wollen sie dabei unterstützen, sichere und gesunde Jobs in der umweltfreundlichen Recycling-Branche zu finden“, sagt Michael Funcke-Bartz von der GIZ.
Die angehenden Elektronikerinnen wissen, wie gefährlich die Arbeit auf der Schrotthalde ist. Für das Problem haben sie sich eine eigene Lösung überlegt. „Wenn wir mit unserer Ausbildung fertig sind, werden wir fast alles reparieren können. Dann wird auch weniger Schrott in Agbogbloshie landen.“
> Ansprechpartner für das Ausbildungsprogramm:
Tobias Mühler tobias.muehler@giz.de
> Ansprechpartner für das Gesundheitsprogramm:
Belinda Knorr belinda.knorr@giz.de
November 2016