Gastbeitrag: Digitalisierung
Die Ohnmacht der Nutzer
Wie sicher sind die Fotos und Nachrichten auf Ihrem Handy? Welche App spioniert Ihnen hinterher? Welches Sicherheitsloch wurde gestopft, welches nicht? Es sind alltägliche Fragen geworden, die wir oft verdrängen. Wer lebt schon gern mit dem Gefühl, dass ihm jemand über die Schulter sieht?
Die Vertrauenskrise begann vor Jahren schleichend, und sie hat zwei Seiten: Erstens glaubt fast niemand mehr an einen wirksamen Datenschutz mit den Mitteln des Rechts. Im Netz ist man von professionellen Spannern quasi umzingelt. Und seit Edward Snowden wissen alle von der Massenüberwachung von Staats wegen, der nicht etwa Einhalt geboten, sondern die noch ausgebaut wird. Zweitens leben die Menschen in Ohnmacht angesichts der Tatsache, dass der Sicherheit von Computern nicht zu trauen ist.
Das Geschäft mit Sicherheitslücken
Die Digitalisierung könnte eine Chance sein. Stattdessen degenerieren die Netze zu einer Art Schlachtfeld der Zukunft, voller Staatshacker unterschiedlicher Nationen. Es kursieren Dutzende Geschichten über unsichere Systeme, Datenlecks und millionenfachen „Datenreichtum“ – auf Kosten der Wirtschaft und der normalen Nutzer. Es erwischt Parlamente, Unternehmen, Regierungschefs, Wahlkämpfer: Spione machen sich in Netzen und Computern breit.
Letztlich ist die IT-Vertrauenskrise ein Kollateralschaden der ökonomischen Anreize, die mit der politischen und wirtschaftlichen Spionage entgrenzter internationaler Geheimdienste in Verbindung steht. Deren Truppen bezahlter Hacker belagern die Netze und finanzieren eine ganze Industrie, die Sicherheitslücken verkauft, statt sie zu schließen. Dazu treten die Technologiekonzerne, die aus Klicks ihre Einnahmen generieren und deren Geschäftsfeld es ist, aus Datenschatten klare Profile von Menschen zu zeichnen.
Datenkonzerne müssen transparenter werden
Diese Anreize verhindern, dass Sicherheit und Schutz der Daten den Stellenwert bekommen, den sie längst haben müssten. Wir sind schon heute enorm abhängig von der Funktionsfähigkeit dieser Welt und von Schutzmechanismen, die unser gespeichertes Innerstes absichern. Wir wissen längst, dass diese Abhängigkeit noch steigen wird.
Und jetzt einfach weiterklicken? Natürlich stehen uns technische Alternativen offen, wir können freie Software nutzen und uns um eine ordentliche Verschlüsselung unserer Kommunikation kümmern. Doch es wäre ratsam, auch einen politischen Weg zu suchen, die Misere also wirklich anzugehen und andere Anreize zu setzen. Bei der Datensicherheit schlampende Firmen müssten in Haftung genommen und Datenkonzerne zu mehr Transparenz verpflichtet werden.
Die UN ins Boot holen
Wenn sich seit Jahren eine große Mehrheit der Nutzer für mehr Datenschutz und weniger Überwachung ausspricht, muss sich der Blick aber auch auf die internationalen politischen Institutionen wie die Vereinten Nationen richten. Die Bundesregierung täte gut daran, im Menschenrechtsrat für mehr Rechte gegen Überwachung einzutreten. Privatheit ist ein grundlegendes Menschenrecht, das es gerade in digitalen Zeiten und angesichts internationaler Datenkonzerne länderübergreifend zu verteidigen gilt.
Mit dem deutschen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und auch mit dem Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme hat das Bundesverfassungsgericht weitsichtige Anforderungen für die digitale Zukunft geschaffen. Für deren Umsetzung sollte die Bundesregierung bei den Vereinten Nationen offensiv werben.
Constanze Kurz ist Informatikerin, Autorin und Aktivistin. Sie engagiert sich ehrenamtlich als Sprecherin der europäischen Hackervereinigung Chaos Computer Club. Ihr Einsatz für Demokratie und Bürgerrechte wurde mit mehreren Preisen geehrt.
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