Essay: Gesundheit

Der Weg der Besserung

Auch in Entwicklungsländern leben die Menschen inzwischen länger und gesünder – obwohl die Gesundheitssysteme oft noch schwach sind. Erfolge gibt es zum Beispiel im Kampf gegen die Kindersterblichkeit, gegen Aids oder Polio.

Text
Jana Schlütter

Ohne SMS hätte ich diesen Vorsorgetermin vergessen“, sagt Neliswa und faltet die Hände über ihrem gewölbten Bauch. Die junge Frau aus Südafrika ist in der 22. Woche schwanger. Ohne Partner, ohne Unterstützung der Familie. Trotzdem freut sie sich auf das Kind. „Aber ich weiß nicht viel über das Schwangersein“, sagt sie. 

Manchmal heißt es improvisieren: Hier muss ein Holzpfahl mit Nägeln als Infusionsständer dienen. (Foto: Getty Images/Photononstop RM/Pascal Deloche/Godong)
Manchmal heißt es improvisieren: Hier muss ein Holzpfahl mit Nägeln als Infusionsständer dienen. (Foto: Getty Images/Photononstop RM/Pascal Deloche/Godong)

Ihre Krankenschwester riet ihr, sich bei MomConnect anzumelden. Seitdem bekommt sie regelmäßig Kurznachrichten auf ihr Mobiltelefon, die sie an wichtige Termine erinnern, über Anzeichen für Komplikationen informieren oder Tipps für gesunde Ernährung übermitteln. Sie kann auch Fragen stellen. „Ich fühle mich weniger allein“, sagt Neliswa. 

Kostenlose Basisversicherung lässt noch zu wünschen übrig

Auf den ersten Blick ist die Gesundheitsversorgung in Südafrika gut. Wer privat versichert ist, kann in hochmodernen Kliniken jederzeit Hilfe in Anspruch nehmen. Dagegen lässt die kostenlose Basisversorgung noch zu wünschen übrig. Das macht sich vor allem in Gegenden wie KwaZulu-Natal bemerkbar, wo 40 Prozent der Bevölkerung HIV-positiv sind. Jede vierte Frau unter 21 Jahren ist dort infiziert. 

Um zumindest ihre ungeborenen Kinder zu schützen, müssen HIV-positive Frauen während der Schwangerschaft identifiziert, mit Medikamenten versorgt und dann fortlaufend betreut werden. Aber manche der Frauen sind Teenager oder womöglich Opfer von Gewalt, manche wollen keinen HIV-Test machen und bleiben der Vorsorge deshalb fern. Anderen ist einfach der Weg zur Krankenstation zu weit. 

„Wer gesund ist, hat Hoffnung; und wer Hoffnung hat, hat alles.“
Sprichwort

Da könnte ein Mobiltelefon Abhilfe schaffen, zu dem meist selbst die Ärmsten Zugang haben – so lautet die Idee hinter MomConnect. Sobald eine Frau vermutet, dass sie schwanger ist, kann sie sich anmelden. Die ersten SMS ermutigen sie, zur Vorsorge zu kommen. Dort wird sie offiziell registriert. Ihre Daten zur Schwangerschaft werden fortan hinterlegt, die Krankenakten mit einer elektronischen Datenbank verbunden. Jede Klinik, jede Hebamme, jeder Gesundheitshelfer in der Nachbarschaft kann die Informationen dann auf den neuesten Stand bringen. Gleichzeitig fließen die Daten in ein nationales Schwangerschaftsregister ein. 

Effektiver mit Angeboten des Gesundheitssystems vernetzen

Auf dieser Grundlage erhalten die Frauen Ratschläge, die auf ihre individuelle Situation zugeschnitten sind – per SMS oder über ein Computerprogramm, das automatisch Nachrichten versendet. Bis zu einem Jahr nach der Geburt läuft dieser Service. „Wenn Neliswa einen Termin verpasst, meldet sich der Computer“, sagt Lerato Molefe, ihre Krankenschwester. „Dann geht jemand vorbei und schaut nach ihr.“

Ein Pilotversuch in KwaZulu-Natal zeigte, dass unter anderem mit Hilfe der Kurznachrichten die HIV-Übertragungsrate von Mutter zu Kind von mehr als 20 auf etwa zwei Prozent gefallen ist, während das Wissen über Säuglingspflege deutlich stieg. Inzwischen gilt MomConnect, das von verschiedenen internationalen Gebern gefördert wird, als Vorzeigeprojekt des südafrikanischen Gesundheitsministeriums. Der kostenlose Service richtet sich an alle werdenden Mütter im Land und vernetzt 900.000 Nutzerinnen effektiver mit den bestehenden Angeboten des Gesundheitssystems. 

Kinder- und Müttersterblichkeit senken

Bis zum Jahr 2030 soll die Kinder- und Müttersterblichkeit weltweit noch einmal deutlich sinken: auf 25 Babys pro 1.000 Geburten und weniger als 70 von 100.000 Gebärenden. Das ist Teil der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), die die Vereinten Nationen im Jahr 2015 mit der Agenda 2030 verabschiedet haben. Davon aber sind viele Länder noch weit entfernt – auch Südafrika.

Andererseits wurde mit den Millenniumsentwicklungszielen beim Thema Gesundheit schon einiges erreicht: Die Kindersterblichkeit ist auf 43 pro 1.000 Geburten gesunken. Etwa 48 Millionen Kinder verdanken ihr Leben verschiedenen Verbesserungen, wie Forscher der Vereinten Nationen und der Weltbank um Danzhen You im Fachblatt „The Lancet“ berichteten. Selbst Staaten wie Äthiopien, Bangladesch und Kambodscha konnten – gemessen an ihrer Ausgangslage – Erfolge vorweisen. Auch die Zahl der Malariatoten ist zwischen 2000 und 2015 um etwa 60 Prozent gesunken, 37 Prozent weniger Neuerkrankungen wurden registriert. Zudem gab es 41 Prozent weniger Aidstote. Weltweit ging die Zahl der Neuinfektionen mit HIV von 3,1 Millionen auf zwei Millionen im Jahr zurück. Die Fortschritte sind also durchaus greifbar. 

122 Jahre lebte der bisher älteste Mensch der Welt, die Französin Jeanne Calment (1875–1997).

Im Notfall angemessen versorgt zu werden, ist trotzdem noch kein Standard. In Industriestaaten ist es mitunter die fehlende Krankenversicherung, die Hilfe unerreichbar macht. Lebensrettende Krebsmedikamente sind teilweise so teuer, dass selbst reiche Staaten an ihre Grenzen stoßen. Dabei löst Krebs dort bald Herzleiden als größten „Killer“ ab. In den armen Ländern töten immer noch vor allem Infektionskrankheiten, obwohl auch dort mit steigendem Lebensstandard „Zivilisationskrankheiten“ wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden an Bedeutung zunehmen. 

Eine umfassende Gesundheitsversorgung, wie sie die UN-Ziele vorsehen, ist dabei vielerorts längst nicht ­erreicht. Am größten ist die Lücke in Westafrika. Mindes­tens 23 Ärzte, Pfleger und Hebammen je 10.000 Einwohner seien nötig, empfiehlt die Weltgesundheits­organisation (WHO). In Liberia waren es vor der Ebola-Epidemie nur 0,1, in Sierra Leone 0,2, in Guinea eine Fachkraft. Strom und sauberes Wasser fehlen überall und sind nicht einmal in Kliniken selbstverständlich.

Hightech für eine bessere Gesundheitsversorgung: Ruanda experimentiert mit Drohnen, um Medikamente in entlegene Regionen zu transportieren. (Foto: AFP/Getty Images/CYRIL NDEGEYA)
Hightech für eine bessere Gesundheitsversorgung: Ruanda experimentiert mit Drohnen, um Medikamente in entlegene Regionen zu transportieren. (Foto: AFP/Getty Images/CYRIL NDEGEYA)

In den meisten Entwicklungsländern gibt es zudem keine funktionierende Seuchenüberwachung. Nachdem das SARS-Virus die Welt in Schrecken versetzt hatte, einigten sich die WHO-Mitgliedsstaaten zwar darauf, dass jedes Land den Infektionsschutz stärken und eine entsprechende Basis-Infrastruktur schaffen sollte. Innerhalb von höchstens 24 Stunden sollen gefährliche Ausbrüche nun an die Zentrale in Genf gemeldet werden. Doch zwei Drittel der WHO-Mitglieder erfüllen die in den „International Health Regulations“ festgesetzten Standards bis heute nicht. 

So fiel es auch niemandem auf, als ein zweijähriger Junge im Jahr 2013 plötzlich von Blut geschwärzten Durchfall bekam und starb. Emile hatte gemeinsam mit den Kindern aus Meliandou, einem abgelegenen Dorf im Südosten Guineas, in einem hohlen Baum Fledermäuse gefangen. Eines dieser Tiere trug vermutlich das fadenförmige Ebola-Virus in sich. Emile hatte Pech. Dass sein Schicksal jedoch im Jahr 2014 mit Guinea, Sierra Leone und Liberia gleich drei Länder ins Unglück stürzte und sie um ihre Entwicklungsfortschritte brachte, hätte verhindert werden können. 

Mobliles Überwachsungssystem für gefährliche Erreger

So wie 2014 in Uganda: Ein junger Radiologe erbrach Blut und hatte Durchfall. Seine Ärzte nahe Kampala überwiesen ihn in ein größeres Krankenhaus. Er starb. Das Virus, das ihm zum Verhängnis wurde, heißt Marburg. Obwohl es eng mit Ebola verwandt ist, blieb es – tragisch genug – bei einem einzigen Fall.

Dass der Ausbruch vergleichsweise glimpflich verlief, ist das Ergebnis guter Vorsorge. Mit internationaler Hilfe hatte Uganda nach einer besonders schlimmen Ebola-Epidemie im Jahr 2000 ein mobiles Überwachungssystem aufgebaut, das Virenforschungsinstitut des Landes wurde aufgerüstet und ein Speziallabor für besonders gefährliche Erreger eingerichtet. Geschulte Mitarbeiter entdecken nun selbst in entlegenen Dörfern Verdachtsfälle von Ebola oder Marburg und melden sie per Handy an die Datenbank der Zentrale. Der Kranke wird sofort isoliert. Im Fall des betroffenen Radiologen identifizierte ein mobiles Team 197 Kontaktpersonen. Drei Wochen lang wurde deren Gesundheit genau kontrolliert. Erst dann hieß es: Entwarnung!

Die Lehren aus Ebola

In Meliandou dagegen erzeugte der Tod des Jungen Emile einen Dominoeffekt. Was folgte, ist traurige Geschichte: 28.646 Erkrankte sind in der WHO-Statistik dokumentiert,  mindestens 11.323 Menschen starben. Im Sommer und Herbst 2014 brachen die Gesundheitssys­teme der drei am meisten betroffenen Länder Liberia, Sierra Leone und Guinea fast unter der Ebola-Last zusammen. Malariapatienten wurden nicht mehr behandelt, Kinder nicht mehr geimpft, Schwangere nicht versorgt.

Zu den „Lehren aus Ebola“ haben vier internationale Kommissionen ihre Empfehlungen veröffentlicht. „Infektionskrankheiten gehören zu den größten Bedrohungen der Menschheit – nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für wirtschaftliches Wachstum und Stabilität“, mahnt zum Beispiel die Kommission um Peter Sands von der Universität Harvard, die das „Global Health Risk Framework“ erarbeitet hat. Trotzdem werde dieser Aspekt globaler Sicherheit häufig vernachlässigt. Mindestens 4,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr seien nötig, um potenzielle Pandemien rechtzeitig einzudämmen.

Jeder Ausbruch ist ein internationales Risiko 

Davon sollten 3,4 Milliarden Dollar in die Stärkung der Gesundheits- und Frühwarnsysteme fließen. Eine weitere Milliarde müsse die internationale Gemeinschaft in die Erforschung von Diagnostik, Impfungen, Therapien und anderen Hilfsmitteln investieren. Die eigentliche Verantwortung sieht die Kommission jedoch bei den Nationalstaaten. Die WHO solle Mindestanforderungen definieren, die Länder müssten danach ihre Schwächen identifizieren und festlegen, wie sie sie beheben wollen. 

„Die Gesundheitssysteme sind unsere erste Verteidigungslinie“, sagt WHO-Generaldirektorin Margaret Chan, weil Krankheiten nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes empfindlich treffen können, sondern auch ungehindert über Grenzen wandern. „Es gibt keine lokal begrenzten Ausbrüche mehr.“ Judith Rodin, Präsidentin der Rockefeller-Stiftung, die einen ihrer Schwerpunkte auf Gesundheitsfragen gelegt hat, stimmt der WHO-Chefin zu. „Wenn wir jetzt einfach nur Krankenstationen bauen, haben wir versagt.“ Jede kleine Klinik müsse in ein enges Netzwerk integriert sein, das vom entlegenen Dorf bis in die Hauptstädte reicht. 

Neue Chancen durch die Digitalisierung

Erste Ansätze, Informationen und Wissen effizienter zu übermitteln, gibt es bereits. Dafür reichen einfache Mobiltelefone. So sind etwa das Gesundheitsministerium in Liberia und die Mitarbeiter vor Ort über den SMS-Dienst mHero miteinander verbunden. Je nach Ausbildungsgrad und Situation bekommen die Helfer während einer Krise gezielte Informationen. Gleichzeitig sollen sie die Zentrale über Liefer- und Personalengpässe informieren, über Schließungen von Krankenstationen oder darüber, wie sich der Ausbruch eines Erregers in ihrer Umgebung entwickelt. Guinea und Sierra Leone, Senegal und Mali erproben das System ebenfalls.

Als im Sommer 2011 eine Dengue-Epidemie die pakistanische Provinz Punjab erschütterte, gab es dort kein funktionierendes Seuchenüberwachungssystem. In Städten wie Lahore wurden die Krankenhäuser von Menschen überrannt. Das Punjab Information Technology Board schuf daher eine kostenfreie Hotline. Hunderttausende Bürger schilderten am Telefon medizinisch ausgebildeten Helfern ihre Symptome und wurden gezielt an Kliniken verwiesen, die noch Betten frei hatten. Ein statistisches Programm wertete die Zahl der Anrufe, die Wetterbedingungen und andere Variablen aus und traf Voraussagen über den Verlauf der Epidemie. Die Helfer wussten nun, wo sie Mücken gezielt bekämpfen oder Kliniken auf einen Ansturm vorbereiten sollten. Die Zahl der Fälle ging in den folgenden Jahren deutlich zurück. 

Kampf gegen Malaria: eine Sammlung von Moskitos in Mosambik, die helfen soll, Stechmücken und Krankheitserreger noch besser zu verstehen (Foto: Getty Images/Axiom RM/Chris Martin)
Kampf gegen Malaria: eine Sammlung von Moskitos in Mosambik, die helfen soll, Stechmücken und Krankheitserreger noch besser zu verstehen (Foto: Getty Images/Axiom RM/Chris Martin)

Auch die Mongolei nutzt die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitssektor: Dort, wie in verschiedenen anderen Ländern, hilft Telemedizin, um Risikoschwangerschaften in abgelegenen Orten und Regionen zu überwachen. Die Krankenstationen in Dörfern sind über eine Internetplattform mit Experten in der Stadt verbunden. Sie entscheiden gemeinsam, wann Gefahr für Mutter und Kind besteht und eine Patientin zur Sicherheit in die Stadt verlegt werden muss. 

Damit Kliniken nicht selbst einer Seuche den Weg bereiten, ist Infektionsschutz mindestens so zentral wie der Informationsfluss. Die Hygieneregeln müssen peinlich genau beachtet werden, entsprechende Vorräte an Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln vorhanden sein, die Mitarbeiter ansteckende Patienten sofort isolieren. Dass das selbst in gut ausgestatteten Gesundheitssys­temen nicht immer gelingt, zeigen die Verbreitung des Atemwegsvirus MERS-CoV in Südkorea, bei der ein einzelner Reiserückkehrer eine Infektionskette in Krankenhäusern auslöste und sich letztlich 186 Menschen mit der schweren Erkrankung ansteckten, sowie die Probleme rund um multiresistente Keime weltweit. 

Multiresistente Erreger und Antibiotika

Indien ist das Zentrum unheilvoller multiresistenter Erreger. Neugeborene – die gesundheitlich schwächsten der Gesellschaft – stecken sich als Erste an. Weil häufig Toiletten und eine sichere Abwasserentsorgung fehlen, gelangen krank machende Keime in Trinkwasser und Nahrungsmittel. Viele Frauen gebären ihre Kinder unter unhygienischen Bedingungen. Sogar ungelernte Hilfshebammen geben deshalb vorsichtshalber Breitband-Antibiotika aus. Diese Form der Prävention hat Folgen. Multiresistente Mikroben, die früher vor allem als Krankenhauskeime bekannt waren, sind inzwischen überall in Indien verbreitet. Säuglinge kommen unter anderem über ihre Mütter mit diesen Keimen in Kontakt. Fast 60.000 Neugeborene sterben allein in Indien jedes Jahr daran.

8 Babys auf einmal: die bislang höchste Zahl von Mehrlingen, die lebend zur Welt kamen.

Um solchen Gefahren zu begegnen und das Wissen von Fachkräften effektiver zu nutzen, müssen Regierungen sogenannte vertikale Gesundheitsprogramme, die auf einzelne Krankheiten wie Malaria oder auf Impfaktionen abzielen, und horizontale Programme, die das Gesundheitssystem in der Breite verbessern, miteinander verzahnen. Dass das auch unter schwierigen Bedingungen möglich ist, zeigt das Beispiel Ruanda. 

Nach dem Völkermord im Jahr 1994 lag das Land  und mit ihm das Gesundheitssystem am Boden. Es konnte nur mit Hilfe von außen wieder aufgebaut werden, etwa durch Beratung der GIZ. Inzwischen sind 94 Prozent der Ruander krankenversichert – mehr als in jedem anderen afrikanischen Land. Gesundheitshelfer in den Dörfern können einen großen Teil alltäglicher Leiden selbst einschätzen oder überweisen Patienten an eine Klinik. Dort müssen sie nur zehn Prozent der Kosten selbst tragen. Für die Ärmsten, für Waisen oder HIV-Infizierte übernehmen internationale Geldgeber die Rechnung. 20 Jahre nach dem Genozid ist die Mütter- und Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesunken, die Zahl der Aids- und Tuberkulosetoten fällt schneller als sonst irgendwo. Die Lebenserwartung stieg von 42 auf 67 Jahre. 

Religiose und kulturelle Hindernisse

Manchmal stehen jedoch religiöse und kulturelle Hindernisse einer positiven Entwicklung im Weg. Im Jahr 2003 zum Beispiel war das Ziel, Polio aus Nigeria zu verbannen, schon zum Greifen nahe. Plötzlich boykottierten die politischen und religiösen Führer dreier Bundesstaaten im Norden die Impfung. Ihre Argumente klangen befremdlich: Sie würde Mädchen unfruchtbar machen, das Immunschwächevirus HIV übertragen, man könne davon Krebs bekommen. Alles eine Verschwörung des Westens gegen die Muslime, lautete der Vorwurf. Angeblich hatten sie Beweise dafür. „Sie haben uns dicke Ordner überreicht, voller Versatzstücke aus dem Internet“, sagt Heidi Larson, Anthropologin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. 

Elf Monate dauerte es, bis die Machthaber in den drei Regionen vom Gegenteil überzeugt waren. Es wurde ein muslimischer Impfstoffproduzent gefunden, Proben wurden in muslimischen Ländern getestet, verschiedene Konferenzen organisiert. Die Gerüchte sind inzwischen überwunden. Nigeria ist wegen der Konflikte mit der Terrorgruppe Boko Haram trotzdem weiter eines von drei Ländern, in denen es noch Poliofälle gibt. 

Nachvollziehbares Misstrauen

Immer wieder zeigt sich: Man muss den Menschen zuhören, die Gründe für ihr Verhalten verstehen. Ohne ihre Mithilfe kann man keine Seuche besiegen. Die Ärzte Ranu Dhillon und Daniel Kelly erinnern an den Fall von Fatou aus Guinea. Das sechsjährige Mädchen hatte Fieber und erbrach sich. Schlechte Zeichen, denn Fatou hatte – wie ihre ganze Familie – am Begräbnis ihres Onkels teilgenommen, der an Ebola gestorben war. Nun wollten Einsatzkräfte das Mädchen vorsorglich zur nächs­ten Behandlungsstation bringen. Ihre Großmutter war verzweifelt. „Ihr werdet sie in Stücke schneiden“, schrie sie. „Hilfe, sie wollen meine Enkelin töten!“ Die Reaktion habe nichts mit Rückständigkeit zu tun, schreiben die Ärzte dazu im „New England Journal of Medicine“. Angesichts der Geschichte Guineas, geprägt von 25 Jahren Diktatur und anschließender Militärregierung, sei das Misstrauen nachvollziehbar und rational. Daher verließen sich die Menschen am liebsten auf Traditionen und Familienbande. 

Die Großmutter gab erst nach, als am nächsten Tag Polizisten vor ihrer Tür standen. Und sie beruhigte sich, als sie sah, wie freundlich die Helfer mit dem Kind umgingen. Fatou kam in ein Behandlungszentrum und konnte bald entlassen werden. Sie hatte kein Ebola. 

aus akzente 3/16

 

Aus der Arbeit der GIZ

Gesundheitssysteme stärken

Hom Nath Dhakal hält strahlend ein Plastikkärtchen in die Höhe: Es ist eine Krankenversicherungskarte. Bisher musste er Arztbesuche, die über eine einfache Grundversorgung hinausgingen, aus eigener Tasche bezahlen oder – wenn es zu teuer wurde – ohne medizinische Hilfe zurechtkommen. Jetzt nicht mehr. Hom Nath Dhakal ist der erste Bürger Nepals, der die soziale Krankenversicherung nutzen kann, die seine Regierung seit April 2016 aufbaut. 

Bis das Land diesen Schritt machen konnte, war einiges an Vorarbeit nötig – politische Überzeugungsarbeit genauso wie verschiedene technische Vorbereitungen. Die GIZ hat sich daran im Auftrag der Bundesregierung aktiv beteiligt. Sie hat die Regierung Nepals über Jahre beim Aufbau der Krankenversicherung begleitet und beraten. Und Nepal ist nicht das erste Land, in dem sich mit deutscher Unterstützung für viele Menschen eine Absicherungslücke schließt. Auch in Indien, Indonesien, Ruanda und Kenia hat die GIZ dazu beigetragen, solche Versicherungssysteme zu etablieren. 

Krankenversicherungen für Arme bilden einen Schwerpunkt der GIZ-Arbeit im Gesundheitsbereich. Weitere sind zum Beispiel: ansteckende Krankheiten bekämpfen, Pandemien vorbeugen, die sogenannte „reproduktive Gesundheit“ rund um Sexualität, Schwangerschaft und Geburt verbessern, Kindersterblichkeit vermindern, Informationssysteme und Datenmanagement optimieren, Gesundheitssysteme generell stärken und medizinisches Personal ausbilden. 

Dabei kann die GIZ auf jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen. Derzeit ist sie in mehr als 80 Ländern in Afrika, Asien, Lateinamerika und zunehmend auch in Europa in Sachen Gesundheit tätig. Gerade bei einem sensiblen Thema wie sozialer Gerechtigkeit, um die es bei Gesundheit letztlich geht, achtet die GIZ darauf, kulturell angemessen zu handeln, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Geschlechter zu berücksichtigen und möglichst keinen Teil der Gesellschaft auszuschließen. „Leave no one behind“ – niemanden zurücklassen – lautet das Schlagwort aus der Agenda 2030.

Frauen und Mädchen, Arme und andere ausgegrenzte Gruppen stehen daher besonders im Fokus der GIZ-Arbeit. Alle Menschen, so lautet das Ziel, sollen hochwertige medizinische Dienste in Anspruch nehmen können. Noch ist das nicht überall der Fall, auch wenn in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten gerade bei der medizinischen Versorgung schon viel erreicht wurde - in Nepal und vielen anderen Ländern weltweit. 

 

KRANKENVERSICHERUNG IN INDIEN

130.000.000 Menschen haben sich innerhalb von sechs Jahren der indischen Krankenversicherung RSBY angeschlossen, die damit eine der größten der Welt ist. Die Mitgliedskarte verschafft Zugang zu Krankenhäusern in ganz Indien.

 

AUFKLÄRUNG IN TANSANIA

12% beträgt die Rate der Schwangerschaften von Teenagern in ausgewählten Schulen Tansanias. Durch ein Aufklärungsprogramm im Auftrag der deutschen Bundesregierung ist sie von vormals 41 Prozent deutlich gefallen.

 

ARBEITSSCHUTZ IN BANGLADESCH

99% weniger Unfälle und Verletzungen gibt es bei den 3.500 Arbeitern auf einer Werft von Western Marine Shipyard in Bangladesch, seit dort im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums ein neues System zum Arbeitsschutz eingeführt wurde.

 

ERNÄHRUNG AUF DEN PHILIPPINEN

2.500.000 Grundschüler auf den Philippinen haben an einem Gesundheitsprogramm mit dem Titel „Fit für die Schule“ teilgenommen. Diese Kinder sind heute insgesamt besser ernährt, leiden seltener unter Wurm­krankheiten und haben weniger Karies.
 

 

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