Landwirtschaft in Nigeria
Goldener Reis
Hajiya Gambo Auwalu kneift die Augen fest zusammen. Die hagere Frau steht vor einem großen Reiskocher, aus dem Dampf aufsteigt. Er lässt die Augen tränen, auf ihrer Stirn glitzern Schweißperlen. Doch die 55-Jährige wischt sie nicht weg und klagt nicht über die Hitze. Als sie aus dem Dampf heraustritt, lächelt sie und zeigt auf den braun-grauen Kocher. Hier entsteht das, worauf sie und 5.000 andere Bäuerinnen und Bauern aus dem nigerianischen Bundesstaat Kano stolz sind: hochwertiger Reis. „Tauraruwa“ haben die Frauen ihn genannt, das bedeutet „Stern“. Hajiya Gambo strahlt über die Produktbezeichnung, die ihrer Meinung nach nicht treffender sein könnte. Auch auf der Verpackung glänzt ein goldener Stern.
Gemeinsam mit mehr als 100 weiteren Frauen ist sie an diesem Vormittag ins Begegnungszentrum von Dawakin Kudu gekommen, einer Stadt am Rande der Wirtschaftsmetropole Kano im Norden Nigerias. Die Frauen tauschen sich darüber aus, was sie in den vergangenen Monaten über Reisverarbeitung gelernt haben. Im Mittelpunkt steht das sogenannte Parboiling-Verfahren, für das roher Reis mehrfach eingeweicht, dann mit heißem Dampf behandelt, getrocknet und anschließend gesiebt wird. Bei dieser Verarbeitung wird das vitamin- und nährstoffreiche Silberhäutchen in das Korn gepresst. Dadurch hat der Reis mehr Nährstoffe als die herkömmlich behandelten weißen Reissorten, die bisher Standard waren. Auch die Farbe verändert sich: Der Reis wird goldgelb. Die herkömmlichen weißen Sorten machen zwar satt, versorgen aber nicht ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen. Von schwerer Mangelernährung waren in Nigeria laut dem Kinderhilfswerk UNICEF im Jahr 2015 mindestens 1,7 Millionen Kleinkinder betroffen. Durch den Terror von Boko Haram im Nordosten des Landes hat sich die Zahl noch weiter erhöht.
Schon mehr als 90.000 Reisbauern erreicht
Wie der Reis seine Nährstoffe möglichst behält, erklärt jetzt Hajiya Gambo. Sie beschreibt die Vorgehensweise, die sich über viele Stunden hinzieht, im Schnelldurchgang. Zum Schluss lässt sie fertig verarbeitete Reiskörner durch ihre Hände rieseln. „Die Qualität ist viel besser geworden“, sagt sie und nickt anerkennend.
Gelernt hat sie die Parboiling-Methode während einer Ausbildung, die eine nigerianische nichtstaatliche Organisation durchgeführt hat – einer von elf lokalen Partnern der Competitive African Rice Initiative (CARI). Die Initiative arbeitet in Burkina Faso, Ghana, Nigeria und Tansania bisher mit mehr als 90.000 Reisproduzenten und -verarbeitern zusammen. Bis Mitte 2018 sollen rund 150.000 Bauern erreicht werden. Finanziert wird das von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, von der Walmart-Stiftung sowie vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Im Begegnungszentrum in Dawakin Kudu wird nicht nur Reis verarbeitet. Aus einem der offenen Räume dringt ohrenbetäubender Lärm, gegen den Hajiya Gambo anschreien muss. „Hier werden Erdnüsse zu Öl gemahlen. Und da vorne gibt es Seifen, die wir selbst herstellen.“
Kräfte bündeln in der Kooperative
Am nächsten Tag möchte die Bäuerin zeigen, wo ihr Reis wächst. Am frühen Morgen ist es draußen noch frisch und die Sonne liegt hinter einer Dunstwolke. Hajiya Gambo kniet mitten auf dem Acker: „Hier werden wir schon bald wieder Reis anbauen“, erklärt sie. Im Moment müssen sie und die übrigen acht Frauen jedoch die Tomatenpflanzen absuchen. Sie knicken welke Blätter ab und legen die reifen Tomaten vorsichtig in ihre Schürzen. Die neun Frauen, die in Garun Mallam leben, haben sich zu einer Kooperative zusammengeschlossen.
Seit 2016 bewirtschaften sie die zehn Hektar große Fläche gemeinsam und zahlen eine Pacht von 50.000 Naira (rund 150 Euro) pro Jahr. Es ist ein Preis, den sich die Gemeinschaft von ihrem Einkommen leisten kann. Jetzt arbeiten sie schweigend und konzentriert. Nur einmal blickt Hajiya Gambo auf und blinzelt. Im Unterricht hat sie gelernt, wie wichtig der Fruchtwechsel ist, also der Anbau verschiedener Pflanzen auf der gleichen Fläche im Laufe des Jahres. „Das hilft dem Boden.“ Es dauert nicht lange und sie ist fertig mit dem Absuchen ihrer Reihe. Sie stemmt die Hände in die Hüfte, richtet sich langsam auf und macht dann eine ausladende Handbewegung: „Mit dieser Methode gelingt es uns, zweimal pro Jahr Reis und zweimal Tomaten anzubauen.“
Ziel ist es, die Erntemenge von Reis von anfangs zwei Tonnen pro Hektar auf fünf bis sechs Tonnen pro Hektar zu steigern. Darauf hofft auch Hajiya Gambo. Durch das Bäuerinnen-Netzwerk hat sie jetzt Zugang zu bezahlbarem Dünger, der ihr dabei helfen wird. Ihr eigenes Feld ist 2,4 Hektar groß und brachte 2016 genau 32 Säcke Reis ein. Doch das war zu wenig. Jeder Sack wog zwar 100 Kilogramm. Doch an diese Ernte denkt sie nicht gerne zurück. Sie wischt sich die Hände ab und legt die Stirn in Falten: „Zufrieden war ich mit der Menge nicht.“ Nur 20 Säcke konnte sie verkaufen. Den übrigen Reis brauchte sie im eigenen Haushalt, um alle Familienmitglieder satt zu bekommen. Die 55-Jährige lebt mit ihren sechs Kindern im Alter von 17 bis 40 Jahren zusammen. Mit Ehepartnern und Enkelkindern kommt die Familie auf 25 Personen.
Gambo kommt auch für die Enkel auf – keine leichte Aufgabe: „Neben Nahrungsmitteln brauche ich Geld für Kleidung und die Schule“, sagt sie. Gerade im Norden Nigerias ist der Schulbesuch vor allem für Mädchen noch immer nicht selbstverständlich. Laut aktuellem UNICEF-Bericht gehen landesweit 8,7 Millionen Kinder im Grundschulalter nicht in die Schule. Häufig müssen Mädchen und Jungen stattdessen auf den Feldern oder im Haushalt mitarbeiten. Hajiya Gambo hält den Schulbesuch jedoch für wichtig. Das Schulgeld erwirtschaftet sie mit Hilfe des Reis- und Gemüseanbaus. Schlechte Ernten wie 2016 haben sie früher zur Verzweiflung gebracht. Jetzt tippt sie mit ihrem rechten Zeigefinger auf den Boden. „Mit dem Wissen, das wir nun haben, können wir mehr erreichen.“
Schneller zubereitet als Yams oder Maniok
Reis steht dabei an erster Stelle, da sich mit ihm gutes Geld verdienen lässt. Er ist ein beliebtes Grundnahrungsmittel. Denn er lässt sich schneller zubereiten als die traditionellen Wurzelknollen Yams oder Maniok. Reis zu kochen, ist bequem und passt zu dem Umstand, dass auch in Nigeria immer mehr Frauen außer Haus arbeiten. Die Nachfrage nach Reis steigt stetig, auch weil die Bevölkerung jährlich um 2,4 Prozent wächst. 186 Millionen Einwohner hat Nigeria derzeit. Der Preis für einen 50-Kilo-Sack Reis liegt bei gut 20.000 Naira (rund 60 Euro) und hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt.
Bisher ist Afrikas bevölkerungsreichster Staat auf Reisimporte aus Asien angewiesen. 2016 betonte Präsident Muhammadu Buhari mehrfach, Nigeria müsse von den Importen unabhängig werden. Ob und wann das gelingt, ist unklar. Die Reisproduktion muss dafür massiv gesteigert werden. Das könnte auch die Wirtschaft ankurbeln. Sie befand sich 2016 in der schwersten Rezession seit 20 Jahren. Die Inflationsrate lag monatelang bei mehr als 18 Prozent. Grund dafür ist auch, dass sich Nigeria als sechstgrößter Ölproduzent der Welt über Jahrzehnte auf einen starken Ölpreis verlassen hat. Jetzt besinnen sich Politiker immer mehr auf die Landwirtschaft zurück.
Die Bäuerin blickt noch ein letztes Mal prüfend über das Feld. Hier ist die Arbeit für heute erledigt. Jetzt muss sie quer durch den Ort laufen. Hajiya Gambo überquert die Straße und bleibt vor einem Schild mit der Aufschrift OFSP stehen. Sie lacht: „Das kannten wir bis vor kurzem gar nicht.“ Die Abkürzung steht für Orange Fleshed Sweet Potato und das Schild weist auf eines der ersten Beete überhaupt für die im Norden Nigerias noch recht unbekannte Süßkartoffelsorte hin. Die Organisation eHealth Africa, ein Partner der GIZ, will diese Frucht populär machen. Süßkartoffeln werden in der Region gerne gegessen, doch an das leuchtende Orange musste sich Hajiya Gambo erst gewöhnen. „Mir schmecken sie gut“, sagt sie heute über die Neuentdeckung. Der Vorteil dieser Sorte ist der hohe Vitamin-A-Gehalt. Etwa jeder dritte Nigerianer leidet an Vitamin-A-Mangel.
„Der behandelte Reis enthält mehr Vitamine und Nährstoffe.“
Bevor sich die nigerianische Bäuerin auf den Heimweg macht, will sie im Gemeinschaftszentrum ihrer Kooperative in Garun Mallam nach dem Rechten sehen. Im Wechsel treffen sich dort jeden Tag Frauen, die für die Reisverarbeitung verantwortlich sind. Heute muss hier allerdings kein Reis gedämpft oder getrocknet werden. Stattdessen wird in dem kleinen Zentrum aufgeräumt, was schnell erledigt ist. „Ich wünsche mir sehr, dass wir eines Tages expandieren können“, sagt die Bäuerin und führt durch die offenen Räume. In einer Ecke liegt ein halbvoller Sack, der noch auf Abnehmer wartet. Der große Reiskocher steht ordentlich in einer Ecke. Ein paar Frauen sitzen auf Holzbänken und unterhalten sich. Der Ort ist auch ein wichtiger Treffpunkt. Die Frauen reden gerade über die Erntemengen – ein wichtiges Thema, denn sie alle leben von der Landwirtschaft.
Die Reisverarbeitung, die die Frauen in ihren Zentren im Kleinen betreiben, übernehmen am Stadtrand Kanos riesige Maschinen. Es gibt auch größere Projektpartner der Reisinitiative, etwa das Unternehmen Popular Farms and Mills. Es betreibt eine der größten Reismühlen Nigerias. Ohne solche großen Unternehmen lässt sich der Reishunger des Landes nicht stillen. Der kaufmännische Leiter Rajeev Singh hält die Zusammenarbeit mit CARI für immens wichtig: „So gelingt es uns, mehr hochwertigen Reis für die Weiterverarbeitung zu bekommen.“ Dafür bildet das Unternehmen rund 20.000 Bauern aus, die danach zu Lieferanten werden. „Seit Beginn der Zusammenarbeit im vergangenen Jahr haben wir festgestellt, dass wir viel weniger Bruchreis bekommen“, berichtet Singh.
Mehr Reis, mehr Einkommen
Die Competitive African Rice Initiative (CARI) will afrikanische Länder unabhängiger machen von Reisimporten. Sie fördert zudem Bauern mit geringen Einkommen – viele davon Frauen. Hinter CARI stehen das Bundesentwicklungsministerium, die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die Walmart-Stiftung sowie nichtstaatliche lokale Organisationen und Privatfirmen. In Nigeria gibt es elf Partner. Die Initiative arbeitet auch in Burkina Faso, Ghana und Tansania. Ziel ist es, bis Mitte 2018 rund 150.000 Reisproduzenten zu erreichen. Im Norden Nigerias konnten teilnehmende Bauern ihr Einkommen innerhalb von drei Jahren um rund 170 Prozent steigern.
In Garun Mallam macht sich Hajiya Gambo nun auf den Heimweg. Sie muss das Essen für ihre Familie vorbereiten. Was es heute gibt, hat sie längst entschieden: Reis mit Gemüsesoße. „Natürlich unseren eigenen“, sagt sie und lacht. Den Reis mit dem goldenen Stern.
Ansprechpartner: Stefan Kachelriess-Matthess > stefan.kachelriess@giz.de
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