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Eine Frau mit langen braunen Haaren in einer blauen Bluse sitzt an einem Konferenztisch in einem modernen Büro mit Glaswand und runden Deckenleuchten im Hintergrund. GIZ/Gaby Gerster
Interview

„Die verantwortliche Nutzung von KI kann in Afrika zu einem Gamechanger werden“

Im akzente-Interview spricht GIZ-Vorständin Anna Sophie Herken darüber, warum es für eine gerechte Transformation durch künstliche Intelligenz (KI) weibliche Führung braucht und die GIZ die Initiative FemAI Leaders for Africa ins Leben gerufen hat.

Frau Herken, Sie haben auf dem Weltwirtschaftsforum 2025 in Davos die FemAI Leaders for Africa Initiative gestartet. Warum ist jetzt der richtige Moment, afrikanische Politikerinnen dabei zu unterstützen, Vorreiterinnen beim Einsatz von künstlicher Intelligenz zu werden?

Die Spielregeln für unsere digitale Zukunft werden jetzt geschrieben – und es ist entscheidend, dass Frauen diese mitgestalten. KI verändert bereits heute alle Lebensbereiche: von der Wirtschaft über Bildung und Gesundheit bis hin zur Regierungsführung. Gerade in Afrika zeigt sich enormes Potenzial für KI-Anwendungen, etwa im Gesundheitssektor, bei klimaresilienter Landwirtschaft oder digitalen Finanzservices. Umso wichtiger ist es, jetzt die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen und gezielt Kompetenzen aufzubauen, damit afrikanische Länder nicht nur Nutzer, sondern aktive Mitgestalter dieser Entwicklung werden. Aktuell sind nur etwa zwei Prozent aller globalen KI-Start-ups auf dem Kontinent angesiedelt und afrikanische Stimmen in internationalen Governance-Foren sind heute noch deutlich unterrepräsentiert.

Das Weltwirtschaftsforum in Davos war der richtige Ort, um diesem Missverhältnis etwas entgegenzusetzen: Mit FemAI bringen wir gezielt afrikanische Politikerinnen in die globalen Debatten über KI ein. Wir schaffen Räume, in denen sie als Entscheidungsträgerinnen sichtbar werden und die nationalen sowie internationalen Agenden zu künstlicher Intelligenz aktiv mitgestalten. Zugleich lernen wir von ihren Perspektiven, Erfahrungen und Anwendungsfällen – denn verantwortungsvolle KI-Gestaltung ist eine globale Aufgabe, die überall ein besseres Verständnis, mehr Dialog und gemeinsame Lösungen erfordert.

FemAI bringt KI dorthin, wo Entscheidungen getroffen werden – in Parlamente und Ministerien. Warum muss man KI nicht nur als Technologie, sondern als Teil bürgernaher Politik verstehen?

Weil KI bereits jetzt beeinflusst, wie Entscheidungen getroffen werden. Wenn Algorithmen über Kreditvergabe, Gesundheitsversorgung oder staatliche Leistungen mitentscheiden, wird KI zur politischen Realität und schafft neue Herausforderungen, etwa bezüglich Diskriminierung oder Intransparenz. Mit FemAI schaffen wir Zugang zu globalen Entscheidungsprozessen, bei denen afrikanische Politikerinnen die Chancen und Risiken von KI nicht nur diskutieren, sondern auch aktiv gestalten. Dafür ist es entscheidend, dass politische Entscheidungsträger*innen nachvollziehen können, was passiert und wie sie Regeln setzen, die digitale Technologien in den Dienst der Menschen stellen.

Weltweit fließen Milliarden in KI – nicht so in Afrika; dort fehlen diese Mittel oft. Welche Rolle kann KI dennoch für den Kontinent spielen?

Ich bin überzeugt, dass wir auf dem afrikanischen Kontinent eine sehr schnelle Aneignung und Nutzung von KI sehen werden, etwa beim verbesserten Zugang zu Gesundheit, einer effizienteren Landwirtschaft oder im Bereich Bildung. Wahrscheinlich sogar schneller als in Europa oder Nordamerika. Das mag auf den ersten Blick paradox erscheinen. Doch gerade in Kontexten, in denen es keine Alternativen gibt, kann KI schnell zu einer radikalen Veränderung führen. Ein Beispiel: In einigen ländlichen Räumen Afrikas haben Menschen nach wie vor keinen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen. In Zukunft könnte KI diese Lücke schließen und zentrale Vorsorgeuntersuchungen von Patient*innen übernehmen. Die verantwortliche Nutzung von KI kann in Afrika also zu einem echten Gamechanger für Entwicklung werden. Wir sehen, dass der Kontinent hier in vielen Bereichen Vorreiter für Innovationen ist, von denen alle lernen können.

KI ist mehr als Technologie – es geht auch um Macht, Repräsentation und Gerechtigkeit. Warum ist Leadership so zentral für die digitale Transformation – und warum braucht es dafür gezielt afrikanische Frauen?

Technologische Transformationen verhandeln gesellschaftliche Machtverhältnisse neu. Nur wenn dabei diverse Perspektiven mitentscheiden, kann dieser Wandel fair für alle gestaltet werden. Laut dem Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums lag der Anteil von Frauen im KI-Sektor 2022 weltweit bei lediglich 30 Prozent – und in afrikanischen Parlamentsausschüssen für Technologie gibt es oft noch weniger weibliche Beteiligung. Wenn wir KI für soziale Gerechtigkeit nutzen wollen, brauchen wir gezielt weibliche Führung. Genau hier setzt FemAI an: Sie verknüpft Zukunftstechnologie mit Zukunftsführung und macht diesen Anspruch konkret – mit weiblichen KI-Champions aus Tansania, Nigeria oder Ruanda. Für diese Führungskräfte wird die Brücke zwischen internationaler Bühne und lokaler Umsetzung geschlagen. Letztlich wäre das Konzept sicherlich auch bei uns und in anderen Regionen von Nutzen.

FemAI bringt Politikerinnen mit KI-Expert*innen zusammen – von der Weltbühne bis ins lokale Lab. Wie verändert das den politischen Blick auf digitale Technologien?

Der direkte Austausch zwischen politischer Ebene und technischen Ökosystemen bietet eine einzigartige Plattform, so entstehen neue Denkräume. Außerdem verschiebt sich der Blick auf digitale Technologien von abstrakter Zukunftsdebatte hin zu konkreter politischer Gestaltungsmacht. In Tansania wird beispielsweise diskutiert, wie lokal gemeinsam eine KI-Politik geschaffen werden kann, die inklusiv und ethisch vertretbar ist und die Bedürfnisse aller Bürger*innen unterstützt. Dabei wird ein besonderer Fokus auf den Aufbau nachhaltiger KI-Ökosysteme gelegt, um Innovation vor Ort zu fördern und zu vernetzen.

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Eine Frau mit langen braunen Haaren in einer blauen Bluse steht mit verschränkten Armen vor einer bunten Wand mit der Aufschrift „giz“ und Illustrationen zu Nachhaltigkeit und Zusammenarbeit. GIZ/Gaby Gerster

„Die Spielregeln für unsere digitale Zukunft werden jetzt geschrieben – und es ist entscheidend, dass Frauen diese mitgestalten.“

Anna Sophie Herken
GIZ-Vorständin

Welche Rolle spielen dabei internationale Partner wie Women Political Leaders oder Smart Africa?

Afrikanische Politikerinnen zeigen, wie man Digitalisierung nicht nur technokratisch, sondern gesellschaftlich denkt: partizipativ, lokal verankert, oft mit knappen Mitteln – aber großer Wirkung. Internationale Partner wie Women Political Leaders und Smart Africa sind der Schlüssel, um echte politische Hebelwirkung zu entfalten. Sie bringen afrikanische Politikerinnen direkt an die Schnittstelle von Innovation, Governance und globaler Sichtbarkeit.

Was können europäische Entscheider*innen von den FemAI Leaders lernen? Welche Allianzen braucht es für eine gerechte KI-Zukunft?

Für eine gerechte KI-Zukunft müssen digitale Räume von Anfang an so gestaltet werden, dass sie Rechte schützen, Transparenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Die GIZ verfolgt einen „Just Digital Governance“-Ansatz, denn: Wo klare Regeln fehlen, können Technologien leicht zum Machtinstrument werden – im Jahr 2024 verzeichnete der afrikanische Kontinent mit 21 Internet-Shutdowns in 15 Ländern einen neuen Negativrekord. Diese Eingriffe, oft während politischer Unruhen oder Wahlen, untergraben nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern verursachen auch erhebliche wirtschaftliche Schäden. So beliefen sich die wirtschaftlichen Verluste durch Internetabschaltungen in Subsahara-Afrika im Jahr 2023 auf etwa 1,74 Milliarden US-Dollar.

Europäische Entscheider*innen können von Initiativen wie FemAI lernen: Gerechte digitale Rahmenbedingungen entstehen nur dann, wenn Stimmen aus Politik, Zivilgesellschaft und Technologie – insbesondere die von Frauen – gleichberechtigt gehört und eingebunden werden. Die GIZ setzt dafür auf vorausschauende Partnerschaften mit internationalen Akteuren aus dem öffentlichen und privaten Sektor und kombiniert technologische Innovation mit lokaler Beratungsexpertise. Denn echte digitale Gerechtigkeit entsteht nur, wenn Innovation und Inklusion Hand in Hand gehen.

FemAI Leaders for Africa

Obwohl KI weltweit immer stärker politische Entscheidungen beeinflusst, bleiben Frauen in der Governance unterrepräsentiert – nur zehn Prozent der globalen KI-Strategien berücksichtigen Geschlechterfragen. Grund dafür sind unter anderem mangelnde Repräsentanz, Netzwerke und Ressourcen. FemAI setzt genau hier an: Die Initiative, eine Zusammenarbeit von Women Political Leaders und der GIZ, vernetzt politische weibliche Führungskräfte mit internationalen Expert*innen, vermittelt praxisnahes KI-Wissen und fördert gerechte, verantwortungsvolle KI-Politik auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.

GIZ-Kontakt: Norman Schräpel