Reportage

KI für Klimaresilienz trifft auf lokales Wissen

Unterwegs auf entlegenen Inseln des indonesischen Archipels. Dort arbeiten Expert*innen für künstliche Intelligenz mit Küstenbewohner*innen daran, gemeinsam die Klimaresilienz zu stärken und digitales Wissen aufzubauen. Die GIZ unterstützt diese besondere Initiative.

Text: Hera Diani Fotos: Profile Kita

Als die indonesische Provinz Aceh durch den Tsunami infolge des gigantischen Erdbebens vom 26. Dezember 2004 verwüstet wurde, war Pulo Aceh eine der am stärksten betroffenen Regionen. Überlebende erinnern sich daran, wie die riesigen Wellen des Indischen Ozeans alles in ihrem Weg mitrissen. 70 Prozent der Bevölkerung der kleinen Inselgruppe starben, nur 1.400 Menschen überlebten die Katastrophe.

20 Jahre später zeigt Pulo Aceh wieder seine natürliche Schönheit. Die kleinen Inseln ganz im Westen von Indonesien sind so grün und lebendig wie einst. Vor den unberührten Stränden lockt eine einzigartige Fauna, Meeresschildkröten schwimmen im Wasser. Die einheimischen Bak-Rubek-Blumen schmücken mit ihrem charakteristischen Violett die Hügel, die zum historischen Leuchtturm führen.

Die lokale Bevölkerung und die Regierung haben am Wiederaufbau der so schwer getroffenen Inseln gearbeitet, doch nun stehen sie vor neuen Herausforderungen. Besonders die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels machen Pulo Aceh zu schaffen. Seit vielen Generationen dient der Ozean der Bevölkerung als Existenzgrundlage, heute aber kämpfen die Menschen in der Fischerei mit kaum vorauszusehenden Wetterbedingungen und sinkenden Fangmengen. „Die Gewässer sind unberechenbar geworden“, sagt der 28-jährige Muhajirin, der in einer lokalen Genossenschaft arbeitet. „Durch die steigenden Meerestemperaturen liegen die Fanggründe nun weiter entfernt und die Korallenriffe – der natürliche Lebensraum der Fische – bleichen aus.“

Image
Karte Südostasiens mit Fokus auf die Inselgruppe Pulo Aceh, ergänzt durch einen Kreiszoom und Markierungen für Jakarta, Singapur und Kuala Lumpur.

„Die Gewässer sind unberechenbar geworden.“

Muhajirin
Fischer und KI-Aktivist

Wie Pulo Aceh ist der gesamte indonesische Archipel besonders anfällig für steigende Meeresspiegel, extreme Regenfälle und Überflutungen. Laut Länderbericht „Klima und Entwicklung“ der Weltbank stehen rund 70 Prozent der Naturkatastrophen in Indonesien im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Der südostasiatische Staat mit einer Bevölkerung von rund 283 Millionen Menschen zählt zu den am stärksten vom Klimarisiko betroffenen Ländern.

Ein Pilotprojekt zur Klimaresilienz

Die Anpassung an den Klimawandel hat oberste Priorität. Sie ist entscheidend, um die Bevölkerung, die Ökosysteme und die Wirtschaft Indonesiens zu schützen. Internationale Partner und lokale Initiativen arbeiten zusammen, um innovative Lösungen zu finden. In Pulo Aceh bringt die Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH mit lokalen Partnern eine Initiative für eine sogenannte blaue Wirtschaft voran. Die „Blue Economy“ will die wirtschaftliche Grundlage der Menschen im Umfeld der Ozeane stärken und gleichzeitig dieses bedrohte Ökosystem erhalten. Das Pilotprojekt in Pulo Aceh bezieht lokale Küstengemeinschaften ein und setzt auf künstliche Intelligenz (KI).

Image
Ein rot-weißer Leuchtturm ragt über mehrere strahlend blaue Gebäude mit schrägen Dächern empor, umgeben von tropischer Vegetation. Profile Kita/GIZ

KI für alle

Das Pilotprojekt in Pulo Aceh ist Teil der Initiative „FAIR Forward – Künstliche Intelligenz für Alle“, die mit den Partnerländern Ghana, Ruanda, Uganda, Kenia, Südafrika, Indonesien und Indien zusammenarbeitet. Die Initiative bietet Zugang zu Schulungsdaten und KI-Technologie, um lokale Innovationen zu unterstützen, digitale Kompetenzen vor Ort auszubauen und ein politisches Umfeld für wertebasierte KI und besseren Datenschutz zu schaffen. Die Arbeit in der entlegenen Küstenregion Indonesiens ist der erste Versuch, KI in die „Blue Economy“ einzubetten. Durch energieeffiziente KI-Modelle und vernetzte Sensoren werden nachhaltige digitale Lösungen geschaffen, die direkt an die Bedürfnisse der Küstengemeinden angepasst sind. Angestoßen wurde das Projekt durch eine Anfrage der nationalen Entwicklungsagentur Indonesiens zur Entwicklung von KI-Lösungen für Küstengebiete. 

„FAIR Forward“ wird von der GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt.

Image
Eine Person hält ein Tablet und analysiert Daten auf einem Dashboard der Plattform Elastic, mit sichtbaren Grafiken und Texten zur Dokumentensuche. Profile Kita/GIZ

„Wir bringen Regierung, Wissenschaft und die Menschen vor Ort an einen Tisch, um verschiedene Lösungsansätze zu erproben. So können wir gemeinsam eine für Indonesiens Küstenregionen maßgeschneiderte KI-Lösung entwickeln“, sagt Karlina Octaviany, KI-Spezialistin des Programms „FAIR Forward – Künstliche Intelligenz für Alle“ der GIZ. Dazu müssen auf allen Ebenen Informationen gesammelt werden.

Die indonesische Regierungsbehörde für Meteorologie, Klimatologie und Geophysik steuert Klimadaten auf Makroebene bei, also Informationen, die das gesamte Land betreffen. Viele für Klimaanpassung benötigte Daten müssen auf der Mikroebene gesammelt werden – vor Ort an möglichst vielen Stellen des Archipels. Nur so kann ein dichtes Netz an Informationen entstehen. In Pulo Aceh werden spezielle Bojen eingesetzt, um einen kostengünstigen Ansatz zu erproben.

Image
Eine Person hält ein Tablet mit geöffneter Wetter-Dashboard-Anmeldeseite vor einem solarbetriebenen Gerät. Profile Kita/GIZ

„Den digitalen Graben zwischen Stadt und Land schließen“

In Indonesien arbeitet die GIZ mit der gemeinnützigen Organisation Common Room zusammen, um ländliche Gemeinden mit KI-gestützten Pilotprojekten bei der Klimaanpassung zu unterstützen. Ein Interview mit dem Leiter Gustaff H. Iskandar.
Zum Interview

Image
Eine lächelnde Frau mit teilweise türkisfarbenem Haar sitzt auf einem Sofa und trägt ein hellblaues T-Shirt mit Community- und Klimaschutz-Logos. Profile Kita/GIZ

„Wir bringen Regierung, Wissenschaft und die Menschen vor Ort an einen Tisch, um verschiedene Lösungsansätze zu erproben.“

Karlina Octaviany
KI-Expertin bei FAIR Forward

Die Menschen vor Ort werden aktiv in das Projekt eingebunden, um eine gemeinsame Lösung zu entwickeln. In Pulo Aceh haben beispielsweise Fischer ihr Wissen beigesteuert, um die besten Standorte der Solitude-Bojen zu bestimmen. „Sie wissen genau, welche Gewässer befahren werden dürfen, wo Sensoren angebracht werden können und welche Gebiete unberührt bleiben müssen. Diese Regeln sind Teil eines tradierten Systems zum Schutz der Korallenriffe, das seit vielen Generationen weitergegeben wird“, erklärt Technologie-Entwickler Rois Solihin. 

Der Austausch mit den Menschen ist zeitintensiver als die bloße Aufstellung eines Messinstruments. Doch das Team ist überzeugt, dass die Küstengemeinden digitale Technologien besser akzeptieren und schützen, wenn ihr Wissen einbezogen und wertgeschätzt wird.

Image
Eine Frau mit Kurzhaarschnitt spricht gestikulierend vor tropischem Grün und trägt ein Mikrofon am Hemd. Profile Kita/GIZ

„Dieses Projekt zeigt, wie künstliche Intelligenz gezielt eingesetzt werden kann, um nachhaltige Entwicklung in Küstenregionen zu fördern. Durch den offenen Zugang zu KI-Technologien ermöglichen wir lokalen Akteuren, innovative Lösungen für ihre spezifischen Herausforderungen zu entwickeln.“

Ruth Schmidt
KI-Expertin für Klimaresilienz bei FAIR Forward

Gleichzeitig erhalten die Menschen in den Küstendörfern Schulungen, um die technische Seite des Projekts zu verstehen und digitales Wissen aufzubauen. In einem Gemeinschaftszentrum von Pulo Aceh sind Frauen und Männer zusammengekommen, um zu lernen, wie Geräte und Applikationen funktionieren und was hinter künstlicher Intelligenz steckt. Erzieherin Ulva Zahra freut sich über den Erkenntnisgewinn.

„Ich wusste vorher nicht, dass KI und soziale Medien einen so großen Nutzen haben können. Beides hilft mir dabei, spannendes Lehrmaterial zu erstellen, mich als Erzieherin verständlicher auszudrücken und besser mit den Wutanfällen bei Kindern umzugehen“, sagt die 25-Jährige und will künftig auch noch Werbung für ihre Heimat machen. „Ich poste jetzt in den sozialen Medien zu Pulo Aceh, um das Interesse der Leute an einem Besuch bei uns zu wecken.“

Wie funktioniert der Datensensor Solitude?

Solitude ist eine Wetterstation zum Selbstbau. Sie basiert auf einfacher Technologie, um kostengünstig zu sein. Das Gerät verfügt über eine runde Boje an seinem Fuß und ist mit etwa 67 Sensoren, Solarmodulen, Antenne, Temperaturmessfühler, GPS und einer kleinen Box ausgestattet, die als Computer/Router dient. Neben der Temperaturmessung sammelt der Prototyp Daten zu Luftfeuchtigkeit und dem Gehalt von Salz, Säure und gelöstem Sauerstoff im Ökosystem des Korallenriffs und sendet sie an den Cloud-Server. Die Daten werden analysiert und verarbeitet und dienen als Grundlage für maschinelles Lernen (ML). ML-Modelle helfen dabei, diese komplexen Klimaprozesse zu analysieren, Temperaturtrends vorherzusagen und frühzeitig auf Veränderungen zu reagieren. Durch den Einsatz von Technologien des Internets der Dinge (IoT, Internet of Things) und Low-Resource-KI, also KI, die wenig Energie verbraucht und auf lokalen Computern trainiert wird, kann Solitude wichtige Erkenntnisse für Küstengemeinden liefern. Sie ermöglicht es, dass sich die lokale Bevölkerung besser auf die Folgen des Klimawandels einstellen kann.

Kontakt: Common Room
Image
Eine kleine gelbe Boje mit Solarpanels und Sensoren schwimmt im türkisfarbenen Meer, beflaggt mit einer Piratenflagge. Profile Kita/GIZ

Unternehmer und Gelegenheitsfischer Jar Suwardi lernte in der Schulung, wie er Wetterdaten findet und so bei den zunehmend unberechenbaren Wetterverhältnissen den richtigen Zeitpunkt zum Fischen finden kann. „Wir haben auch daran gearbeitet, wie wir Geschäftsmodelle und Programme zur Förderung der lokalen Wirtschaft erstellen können. KI kann die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort verbessern“, ist der 29-Jährige überzeugt.

Image
Zwei junge Frauen mit Hijab und ein Mann untersuchen gemeinsam ein technisches Gerät mit Solarpanels in einem Innenraum. Profile Kita/GIZ

Auch Karlina Octaviany ist beeindruckt, wie positiv die Menschen von Pulo Aceh das Schulungsprogramm angenommen haben. Enthusiastische Lehrkräfte können es kaum erwarten, ihren Oberschüler*innen Wissen über KI und den sinnvollen Einsatz zu vermitteln. „Wir möchten, dass künstliche Intelligenz nicht als eine von oben verordnete Technologie wahrgenommen wird. Wir möchten, dass sie mit der Gemeinschaft wächst und ihre spezifischen Bedürfnisse erfüllt“, sagt Octaviany. Und die begeisterte Stimmung bei den Lernenden in Pulo Aceh spricht für den Erfolg dieses Weges.

Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei:
SDG 1: Keine Armut SDG 5: Geschlechtergleichheit SDG 10: Weniger Ungleichheiten SDG 13: Maßnahmen zum Klimaschutz SDG 14: Leben unter Wasser SDG 15: Leben an Land