ist seit 2020 Präsident des Umweltbundesamts und Mitbegründer der UN-mandatierten Coalition for Digital Environmental Sustainability. Zuvor war der international anerkannte Nachhaltigkeitsforscher Direktor des „Institute for Environment and Human Security“ an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn und deren Vizerektor sowie Co-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung.
„Ohne Digitalisierung können wir die Klimaziele nicht erreichen“
Interview mit Prof. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts, über Klimaschutz und Digitalisierung
Herr Messner, die negativen Auswirkungen der Klimakrise werden immer deutlicher. Gleichzeitig wird unsere Welt immer digitaler, mit noch unabsehbaren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaften. Was bedeutet das für die internationale Zusammenarbeit?
Ich werbe seit Jahren dafür, dass wir die Nachhaltigkeitsagenda, die auch den Klimaschutz umfasst, und die digitale Transformation nicht in unterschiedlichen Foren diskutieren. Wir müssen diese beiden grundlegenden Transformationen zusammen betrachten. Konkret gesagt: Es geht darum, Klimaschutz in einem digitalen Zeitalter zu denken.
Wie hängen diese beiden Themen zusammen?
Wenn wir über internationalen Klimaschutz sprechen, sollten wir Digitalisierung und künstliche Intelligenz als integralen Bestandteil der Programmentwicklung begreifen. Insbesondere bei der Datengewinnung und -verarbeitung sind KI-getriebene Anwendungen unverzichtbar. Sie helfen uns, Zusammenhänge und Veränderungen zu verstehen und auszuwerten. Außerdem können wir digitale Innovationen ganz praktisch für den Klimaschutz nutzen. Darüber hinaus müssen wir die Digitalisierung selbst nachhaltig gestalten. Weltweit werden Milliardensummen in die digitale Infrastruktur investiert. Das sollte klima- und ressourcenschonend geschehen. Bisher gibt es jedoch keine Standards für eine grüne digitale Infrastruktur.
Welche Rolle spielen digitale Anwendungen für den Klimaschutz?
Das fängt bei der Modellierung von Daten an. KI-Anwendungen stärken unsere Vorhersagefähigkeit mit Bezug auf die Dynamik des Klimawandels. Damit erhalten wir eine bessere Grundlage, Klimaschutz zu planen. Beim Klimaschutz selbst können KI-Anwendungen zum Beispiel den Aufbau von Kreislaufwirtschaften und das Ressourcenmanagement erleichtern. Mit ihrer Hilfe kann der Ressourcenverbrauch in der gesamten Wertschöpfungskette visualisiert und transparent gemacht werden. Vor 15 Jahren wäre es noch nicht möglich gewesen, dies etwa für ein Auto mit einer globalen Wertschöpfungskette darzustellen. Heute können wir die Ressourcenflüsse in digitalen Räumen in Echtzeit abbilden und das Ressourcenmanagement verbessern. Konsumentinnen und Konsumenten können künftig über den Barcode ebenfalls Informationen über den Ressourcenverbrauch eines Produkts erhalten und dies bei der Kaufentscheidung berücksichtigen.
Können digitale Anwendungen helfen, die international vereinbarte 1,5-Grad-Grenze für die Erderwärmung noch einzuhalten?
Ohne digitale Innovationen und KI dürfte es schwer werden, die internationalen Klimaziele zu erreichen. Sie sind Lösungsinstrumente. Dazu müssen wir allerdings die Klimaschutzplanung in allen relevanten Sektoren, egal ob Verkehr, Städtebau oder Energiewirtschaft, ob Landwirtschaft oder Industrie, systematisch mit digitalem Know-how verknüpfen. Das gilt auch für die Entwicklungszusammenarbeit.
Vor welche Herausforderungen stellt das Länder im Globalen Süden?
Diese Länder haben einerseits die Möglichkeit, Entwicklungsstufen zu überspringen. Bei der Stromversorgung etwa können sie durch intelligente Stromnetze kostengünstige, variable regenerative Energie flexibler und auch dezentral nutzen. Die meisten Länder dort haben auch kein flächendeckendes Telefon-Festnetz aufgebaut, sondern sind direkt ins Mobilfunkzeitalter eingestiegen. Was die Forschung und Entwicklung digitaler Infrastrukturen angeht, droht der Globale Süden andererseits abgehängt zu werden. Man kann Innovationen in eigenen Entwicklungsstrategien aber nur berücksichtigen, wenn man die wesentlichen Trends versteht. Das setzt eigene Forschungskapazitäten voraus.
Wie sollten Länder des Globalen Südens unterstützt werden, um die Digitalisierung für den Klimaschutz nutzbar zu machen?
Wir sehen durchaus einige echte „digital champions“, zum Beispiel in Afrika. Dennoch benötigen viele dieser Länder wesentlich mehr als Investitionen in ihre digitale Infrastruktur. Die internationale Kooperation sollte darauf abzielen, auch die digitale Forschung und digitale Bildung im Globalen Süden zu stärken, damit diese Länder die Chance haben, an der technologischen Innovationsdynamik eigenständig teilzuhaben. Ich erhoffe mir auch durch den derzeit verhandelten globalen Digitalpakt der UN neue Impulse, um digitale Fähigkeiten für alle unsere Nachhaltigkeitsziele wirksam zu skalieren und zu teilen.
Welche Aufgabe würden Sie dabei Deutschland zuschreiben?
Deutschland könnte belastbare Strategien entwickeln, wie der Aufbau grüner digitaler Infrastrukturen in der internationalen Zusammenarbeit organisiert werden kann. Welche Standards sollen dabei gelten für Klimaneutralität, für Energie- und Ressourceneffizienz? Hier könnte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, gemeinsam mit europäischen Partnern, eine Vorreiterrolle einnehmen.