Gastbeitrag: Arbeit
Die Würde der Frauen
Produktive Erwerbstätigkeit und Arbeit zu vernünftigen Bedingungen sind entscheidend, um Hunger und Gewalt einzudämmen und Frieden in der Welt zu schaffen. Doch in Entwicklungsländern sind die meisten ärmeren Menschen, vor allem Frauen, in der informellen Wirtschaft beschäftigt – mit niedrigen Löhnen und oft hohen Risiken. Diese arbeitenden Frauen haben keinerlei verbriefte Rechte, es mangelt ihnen an Schutz und Teilhabe. Kurz: Sie bleiben unsichtbar, ohne Stimme und Wertschätzung. Häufig werden sie für ihre eigenen Anstrengungen auch noch stigmatisiert, bestraft oder sogar kriminalisiert.
Dabei sind es gerade die Frauen, die beim Aufbau einer Nation eine Schlüsselrolle spielen. Ihre produktive Arbeit ist der Faden, der die Gesellschaft zusammenhält. Mit Hilfe von Arbeit können Frauen Geld zurücklegen und dadurch ihre eigene Position stärken. Es geht dann nicht mehr nur ums reine Überleben – Arbeit eröffnet den Frauen Möglichkeiten für eine bessere Zukunft. Und Arbeit bringt Frieden, weil sie die Menschen erdet und ihrem Leben Würde verleiht.
Zugang zu Technologie- und Finanzdienstleistungen
Mit Arbeit meine ich nicht Fabrikarbeit. Ich meine nicht Ausbeutungsbetriebe und Billiglohnjobs, die die Menschen nur zu Sklaven machen und in anderer Form ausnutzen. Mit Arbeit meine ich das Herstellen von Lebensmitteln, Kleidung und Wohnraum, inklusive Zugang zu Wasser. Ich meine das Verbessern von traditionellen Fähigkeiten, über die Menschen seit Jahrtausenden verfügen – in der Landwirtschaft, Viehzucht, Fischerei, Textilwirtschaft oder im Hausbau. Diese Arbeit ernährt die Menschen, bringt sie wieder näher zu sich selbst und ihren Mitmenschen, aber auch zur Erde und dem großen Geist, der uns alle geschaffen hat.
Um das zu erreichen, müssen wir örtlichen Produzenten helfen, sich mit den großen Märkten zu verbinden. Wir können sie dabei unterstützen, Zugang zu Technologie- und Finanzdienstleistungen zu erhalten. Wir können sicherstellen, dass ihre Stimmen auf der politischen Ebene gehört werden, ganz besonders die der armen arbeitenden Bevölkerung. Denn politische Freiheit bleibt unvollständig ohne ökonomische Freiheit.
Tradition mit moderner Vermarktung verbunden
Lassen Sie mich mit dem Beispiel von Puriben Ahir enden. Diese Frau lebt in dem indischen Wüstendorf Madhutra und hat schon viele Arten harter körperlicher Arbeit verrichtet, darunter in der Landwirtschaft und im Steinbruch. Sie hat Erde geschaufelt und Vieh gehütet. Gleichzeitig ist Puriben Ahir aber auch eine überaus talentierte Stickerin. Seit ihre traditionellen Handarbeiten mit modernen Vermarktungsstrategien verbunden wurden, kann sie mit dem Erlös daraus ihre Einkünfte aufstocken.
Heute sagt sie: „Immer wenn ich arbeite, bin ich stolz. Meine Arbeit zeigt mein Können, sie lässt mich auf eigenen Füßen stehen und verbessert mein Ansehen. Ich weiß, dass ich dadurch einen Beitrag zum Einkommen meiner Familie, aber auch zur Gesellschaft insgesamt leiste. Für mich ist Sticken beides: Glück und Arbeit.“
Puriben Ahirs Beispiel zeigt deutlich: Es gibt ausreichend Potenzial für faire und produktive Arbeit. Doch wir müssen den Weg dorthin aktiv beschreiten.
Ela Bhatt ist eine indische Rechtsanwältin und Aktivistin, die 1972 die Vereinigung selbstständig arbeitender Frauen in Indien gegründet hat. Obwohl es in dem Land fast 20.000 Gewerkschaften gibt, sind die meisten Arbeitnehmer nicht organisiert und verdienen deshalb keine festen Löhne. Vielmehr ist die informelle Wirtschaft stark ausgeprägt: Schätzungen zufolge bringt sie 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 40 Prozent der Exporte und den größten Teil der Beschäftigung hervor.
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