Nachgefragt

„Zu viele sind noch nicht online“

„Nachgefragt“ bei Nanjira Sambuli, kenianische IT-Forscherin und Politikanalystin, zur Lage der Digitalisierung in Afrika.

Text
Interview: Judith Reker

Bis 2020 soll ein allgemeiner und erschwinglicher Zugang zum Internet in den am wenigsten entwickelten Ländern erreicht werden. So lautet eines der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Wie sieht die Realität aus?

2019 haben wir 50 Jahre Internet und 30 Jahre World Wide Web gefeiert. Leider ist die Realität im Jahr 2020, dass gerade einmal etwas mehr als die Hälfte der Menschheit online ist. Und die Geschwindigkeit, mit der die übrigen 50 Prozent Zugang erlangen – und das sind diejenigen in den weniger entwickelten Ländern –, hat sich dramatisch verlangsamt. Wenn dieser Trend anhält, könnte es noch weitere 30 Jahre dauern.

Was ist schiefgegangen? Was muss geschehen, damit das schneller geht?

Eines der größten Probleme bei der Digitalisierung in den Entwicklungsländern sehe ich in der schieren Komplexität der Aufgabe. Regierungen und auch der Privatsektor konzentrieren sich zu oft auf Technologien. Aber Technologie existiert nicht in einem Vakuum. Vielleicht müssen wir uns eingestehen, dass unsere bisherigen Maßnahmen nur für eine bestimmte Anzahl von Menschen gut funktioniert haben. Mit der Vorstellung wie, „Wenn wir den Leuten einen Netzzugang bauen, dann gehen sie auch online“, kommen wir nicht mehr weiter, zum Beispiel, wenn die Leute nicht die Kaufkraft haben, um sich den Internetzugang leisten zu können. Jetzt müssen wir umdenken: Es ist an der Zeit, viel differenzierter die politischen Ökonomien, die sozialen und kulturellen Dimensionen der verschiedenen Weltgegenden zu berücksichtigen.

Wie könnte ein solch anderer Ansatz konkret aussehen?

Genossenschaftliche Netzwerke sind ein gutes Beispiel. Immer noch werden viele ländliche Gebiete von den Telekommunikationsunternehmen als nicht rentabel genug angesehen, um sie ans Netz anzuschließen. Deshalb bauen Gemeinden mit relativ einfachen Mitteln ihre eigenen Netzwerke mit geringerer Reichweite auf. Ein Beispiel ist das Netzwerk Zenzeleni in Südafrika, über das ich vor zwei Jahren an dieser Stelle geschrieben habe. Ich erwähne es heute erneut, weil es eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung zeigt. Mittlerweile haben sich solche Community-Netzwerke sogar rund um den Globus hinweg vernetzt, um voneinander zu lernen. Was mich an diesem kooperativen Stil außerdem fasziniert: Das gemeinschaftliche Handeln tut viel für den Zusammenhalt und kann sogar dazu beitragen, bestehende Normen in Frage zu stellen, wie zum Beispiel genderspezifische Diskriminierung. Frauen haben in vielen Regionen weniger Internetzugang als Männer. Aber wenn sie von Anfang an mit eingebunden sind, steigen ihre Chancen auf Beteiligung. Kurz gesagt, ich denke, dass sehr gute Alternativen von den Menschen selbst kommen werden, um die es geht. Sie sind die Experten ihrer gelebten Erfahrung.

Die GIZ hat die Schaffung von Community-Netzwerken zum Beispiel in Kamerun unterstützt. Allgemeiner gefragt, welche Rolle kann die internationale Zusammenarbeit bei der Digitalisierung spielen?

Die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit müssen dringend überdenken, wie sie ihre Unterstützung rund um die Digitalisierung strukturieren. Allzu oft ist sie technikorientiert, das heißt: „Technologie X ist die Lösung, wie kann sie beispielsweise im Gesundheits- oder Bildungswesen eingesetzt werden?“ Die Fallstudien-Archive sind voll mit Beispielen dafür, wie dieser Ansatz immer wieder gescheitert ist. Und doch wird er weiter praktiziert. Dazu gehören Telemedizin-Initiativen – gerade im ländlichen Raum – die zu wenig berücksichtigen, ob es dort nicht genug Zugang zum Internet gibt. Auch die Ein-Laptop-pro-Kind-Programme gehören hierher. In Kenia haben sie klägliche Ergebnisse erzielt, weil zum Beispiel die mangelnde Stromversorgung und digitale Fertigkeiten der Lehrenden nicht mitbedacht wurden. Ein innovativer, gangbarer Weg für die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit und des öffentlichen Sektors wäre es, jetzt einen Schritt zurückzutreten und die Herausforderungen mit einem systemischen Blick neu anzugehen. Dann kann eine nachhaltige, die spezifischen Kontexte berücksichtigende Entwicklung gelingen.

März 2020