Internationales Freiwilligenprogramm

Wissen teilen in Thailand

Finanzexperten der Deutschen Bank unterstützen Reisbauern in Thailand mit Beratung. Zusammengebracht hat sie ein Freiwilligenprogramm.

Text und Fotos
Sascha Zastiral

An einem normalen Arbeitstag säße Sven Sievers um diese Zeit in seinem Büro in Hamburg. Er würde eine Telefonkonferenz mit Kollegen abhalten und vielleicht einen oder zwei Vertreter von Großkunden treffen, um die er sich als Kundenbetreuer bei der Deutschen Bank kümmert.

Stattdessen sitzt der studierte Betriebswirt an diesem frühen Morgen in einem klimatisierten Kleinbus, der durch die Provinz Ubon Ratchathani im Nordosten Thailands fährt. Aus dem Fenster sieht er abgeerntete Reisfelder, trocken und staubig bestimmen sie die Landschaft. Die Region im Dreieck zwischen Thailand, Laos und Kambodscha ist eine der ärmsten des Landes. Der Kontrast zu der hochmodernen Hauptstadt Bangkok mit ihren riesigen Einkaufszentren und Hochhäusern könnte nicht größer sein: Die meisten Menschen in den Dörfern hier sind Reisbauern und leben in einfachen Holzhäusern. Auf den Straßen fahren vor allem Mopeds und Pick-up-Trucks.

Ehrenamtliche Beratung für eine Reisinitiative

Der ehrenamtliche Berater Sven Sievers macht sich bei der Reisinitiative ein Bild von Anbau und Weiterverarbeitung.
Der ehrenamtliche Berater Sven Sievers macht sich bei der Reisinitiative ein Bild von Anbau und Weiterverarbeitung.

Sven Sievers ist 55 Jahre alt, hat kurzes, grau meliertes Haar und trägt trotz der Hitze ein schwarzes Jackett. Er bringt alle Eigenschaften eines guten Kundenberaters mit: Er ist ein unaufgeregter Typ, drängt sich nicht in den Vordergrund und strahlt Kompetenz aus. In Thailand mit dabei ist auch Karolis Verseckas. Der 26-jährige Litauer erarbeitet sonst bei der Deutschen Bank in London Kreditfinanzierungen für Spanien. Wenn der Analyst mit dem rotblonden Haar über sein Fachgebiet spricht, schwingt ein jugendlicher Enthusiasmus mit.
Sievers und Verseckas sind vier Wochen lang in Thailand, um ehrenamtlich eine überregionale Reisinitiative zu beraten, die Anfang 2015 angelaufen ist. Hier in Ubon Ratchathani wollen sie Reisbauern und lokale Behördenvertreter treffen.

Teil der German Food Partnership

Die Initiative hat das Ziel, die Lebensbedingungen der Reisbauern zu verbessern. Zu diesem Zweck sollen Bauern in Thailand, Indonesien, auf den Philippinen und in Vietnam unter anderem verbesserte Anbaumethoden und Vermarktungsmöglichkeiten kennenlernen. In Thailand etwa bringt die Reisernte den meisten Bauern weniger als den Mindestlohn des Landes ein, der rund acht Euro pro Tag entspricht. Wenn dann einmal eine Ernte schlecht ausfällt, rutschen sie leicht unter die Armutsgrenze.

Die überregionale Reisinitiative ist Teil der 2012 unter Schirmherrschaft des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegründeten „German Food Partnership“. In ihr haben sich deutsche Firmen und Verbände zusammengetan, die ihre eigenen Interessen mit entwicklungspolitischen Zielen verbinden möchten: Gemeinsam mit lokalen Akteuren wollen sie in Schwellen- und Entwicklungsländern stabile Abläufe von Anbau über Verarbeitung und Handel bis zum Konsum schaffen. Die GIZ koordiniert die Partnerschaft.

Bewässerungsmethoden und Buchführung

Der Kleinbus fährt in den Ort Mueang Det ein und hält vor dem kommunalen Reiszentrum, einer staatlichen Einrichtung zur Beratung und Unterstützung der Reisbauern, wie es sie zu Tausenden in ganz Thailand gibt. Mueang Det könnte auch eines der Zentren der überregionalen Reisinitiative werden, in denen Bauern in Zukunft unter anderem in Bewässerungsmethoden, Pflanzenschutz, Buchführung und Markttheorie ausgebildet werden.

Rund drei Dutzend Bauern sind gekommen, um sich mit Sievers und Verseckas zu unterhalten. Es läuft landestypisch formell ab: Die Bauern – die meisten von ihnen sind Männer in den Fünfzigern – sitzen bereits in vier Stuhlreihen, als die Besucher eintreffen. Sievers, Verseckas und Mitarbeiter der GIZ nehmen an einem langen Tisch Platz. Mit dabei sind auch Vertreter des Reisgroßhändlers Olam in Singapur. Der Konzern könnte Partner der neuen Initiative werden und den teilnehmenden Bauern eine gewisse Menge ihres Reises abkaufen.

Besserer Zugang zu Krediten erhofft

Sievers steht auf, nimmt das Mikrofon und fragt: „Wie läuft das hier mit der Finanzierung? Wo bekommen Sie Ihre Kredite her? Und bekommen Sie das, was Sie benötigen?“ Der Sprecher der Bauerngruppe beantwortet Sievers’ Fragen. Normalerweise, erklärt er, liehen sich die Bauern Geld bei der Landwirtschaftsbank oder bei ihrer Kooperative. Die Zinsen seien aber recht hoch und oft erhielten sie nicht den vollen Betrag. Er hoffe, einen verbesserten Zugang zu Krediten zu bekommen. Sievers nickt.

Die Bauern erzählen von weiteren Schwierigkeiten. So gebe es derzeit Probleme mit dem Marktzugang, sagt einer: In der Region werde momentan mehr Reis produziert, als Zwischenhändler aufkaufen. Oft blieben die Bauern daher auf einem Teil ihres Reises sitzen. Und das bei hohen Produktionskosten: Da viele junge Leute die Region verließen, um in Bangkok oder in anderen Städten zu arbeiten, müssten die Bauern zusätzlich Tagelöhner anheuern. Man müsse die Jungen dazu bringen, sich wieder stärker für die Landwirtschaft zu interessieren, meint einer der Männer. Ein anderer sagt, er hoffe, durch den Einsatz von Maschinen seine Produktionskosten senken zu können. Die seien bisher zu hoch. Sievers und Verseckas hören aufmerksam zu.

„Das Treffen hat mir gezeigt, dass es sehr engagierte Leute gibt, die ein Interesse daran haben, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern“, sagt Sievers nach der Begegnung mit den Reisbauern. Deren Bereitschaft, neue Wege zu gehen, um ihr Auskommen zu verbessern, wollen Sievers und Verseckas unterstützen, indem sie für die Thailänder ein Finanzierungsmodell ausarbeiten. „Wir schauen: Was kann ein Bauer an Reis produzieren, was bekommt er dafür, was hat er für Kosten, was braucht er für seinen privaten Haushalt?“, erklärt Sievers. „Auf der anderen Seite untersuchen wir: Welche Finanzierungsmöglichkeiten stehen ihm zur Verfügung, was kostet ihn das? Und passt das überhaupt?“

Die Fachleute Sven Sievers (rechts) und Karolis Verseckas entwickeln für die Landwirte in Thailand ein Finanzierungsmodell.
Die Fachleute Sven Sievers (rechts) und Karolis Verseckas entwickeln für die Landwirte in Thailand ein Finanzierungsmodell.

Nach Thailand gekommen sind der Deutsche und der Litauer durch ein internationales Freiwilligenprogramm, das von der GIZ organisiert und koordiniert wird. Dabei stellen deutsche Unternehmen für einige Wochen ihre Mitarbeiter für gemeinnützige Zwecke in aller Welt zur Verfügung. „Sie können dann Erfahrungen in einem ganz neuen Sektor sammeln, der aber mit ihrer ursprünglichen Arbeit eng verknüpft ist“, erklärt Matthias Bickel von der GIZ in Bangkok. Auf diese Weise sind bereits Mitarbeiter der Deutschen Bank nach Myanmar, Uganda und Usbekistan gereist.

Die Produktivität steigern

Sievers und Verseckas arbeiten während ihres Aufenthalts in Thailand die meiste Zeit in der Zentrale der Initiative in Bangkok, die im Stadtteil Sukhumvit liegt. Wenn sie nicht an dem Finanzierungsmodell für die Bauern feilen, treffen sie sich mit Fachleuten und Behördenvertretern zu Hintergrundgesprächen.

Auf den ersten Blick scheint der Reisanbau in Thailand durchaus eine Erfolgsgeschichte zu sein. Schließlich ist Thailand seit Jahrzehnten einer der größten Reisexporteure der Welt. „Aber wenn ich mir die Produktivität anschaue, dann sieht es so aus, als hätten viele Bauern ein relativ schweres Auskommen“, sagt Sievers. Das erklärte Ziel der Initiative ist es deshalb, den Ertrag um etwa 20 Prozent zu erhöhen. Das könne eventuell etwas zu hoch gegriffen sein, meint Sievers. „Aber man muss sich ja hohe Ziele stecken, um etwas zu erreichen.“

Internationales Freiwilligenprogramm
Das Internationale Freiwilligenprogramm bietet Mitarbeitern von Unternehmen die Möglichkeit, ihre Kompetenzen für einige Wochen in einem Entwicklungs- oder Schwellenland einzubringen. Die GIZ vermittelt Projektplätze, in denen sie zur Lösung konkreter Probleme vor Ort beitragen können. Die Teilnehmer werden auf die Reise vorbereitet und haben Ansprechpartner im jeweiligen Land. Für viele Firmen sind die Einsätze sowohl Bestandteil ihres sozialen Engagements als auch der Personalentwicklung. Zudem eröffnen sie Einblicke in neue Märkte und Innovationen.

Auf das Freiwilligenprogramm aufmerksam geworden ist Sievers durch eine Rundmail von der Abteilung für Corporate Social Responsibility seiner Bank. Er meldete sofort sein Interesse an, wurde bald darauf zu ersten Auswahlgesprächen eingeladen. Das Ehrenamt hat ihn schon früher interessiert: „Ich habe auch angeboten, als Mentor jüngere Kollegen zu beraten. Ich bin ja schon 30 Jahre bei meiner Bank.“ Sein Abteilungsleiter unterstützte ihn bei seinem Freiwilligeneinsatz, erzählt der Bankfachmann.

Auch Verseckas war sofort begeistert, als er hörte, dass Freiwillige gesucht wurden. „Ich habe schon früher ehrenamtlich gearbeitet und diese Erfahrung sehr geschätzt“, erklärt er. Weil seine Verlobte aus Thailand stammt, kannte er das Land bereits vor dem Einsatz für die Reisinitiative. „Ich war schon einige Male hier und ich kenne die Probleme, die Reisbauern haben: etwa, dass die Jungen nicht mehr in der Reisindustrie arbeiten möchten.“ Entsprechend habe er sich gefreut, als er die Zusage bekam. Bildung ist das Wichtigste – diese Erkenntnis, sagt Verseckas, sei ihm bei diesem Einsatz besonders deutlich geworden.

Betriebswirtschaftliches Know-how

So habe er von einzelnen Bauern erfahren, die studiert und ihr Wissen in ihren Betrieb eingebracht hätten. Sie stünden heute finanziell weitaus besser da als die meisten ihrer Kollegen. „Genau das sagen die Bauern ja auch: Bildet uns darin aus, was wir machen können, und wir machen es selbst. Die fragen nicht nach dem Silberlöffel.“

Mit der für ihn typischen Zurückhaltung beschreibt Sievers seine bisherige Erfahrung. „Was wir hier machen, ist sicher keine Astrophysik, es ist betriebswirtschaftliches Know-how. Aber auch ich kann hier meinen Erfahrungshorizont erweitern. Und Dinge erlernen und sehen, die ich zukünftig einbringen und woanders wieder anwenden kann.“ Er erlebe in Thailand eine steile Lernkurve. Nie zuvor habe er mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu tun gehabt. Und auch nicht mit einer Stadt wie Bangkok: „Ich dachte immer, Hamburg wäre eine große Stadt. In Bangkok habe ich gemerkt: Ich komme aus einem kleinen Dorf.“

Ansprechpartnerin: Sandra Flicke-Lötzsch sandra.flicke-loetzsch@giz.de

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