Interview

„Wir können das nur als Weltgemeinschaft lösen“

In Zeiten der Covid-19-Pandemie ist die „Schnell einsetzbare Expertengruppe Gesundheit“ (SEEG) so gefragt wie nie. Ein Interview über die Arbeit der Taskforce.

Der Mikrobiologe Michael Nagel ist gerade von einem herausfordernden Einsatz in Benin zurückgekehrt. Er gehört zur „Schnell einsetzbaren Expertengruppe Gesundheit“ (SEEG), die vom BMZ in Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit initiiert worden war – als Reaktion auf die Ebola-Krise in Westafrika. Seit fünf Jahren verfolgt ein bei der GIZ angesiedeltes Kernteam Meldungen zu Krankheitsausbrüchen weltweit und organisiert Einsätze auf Anfrage von Partnerländern. Ein Interview mit Michael Nagel zur aktuellen Arbeit der SEEG:

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Herr Nagel, wie hat sich die Arbeit der SEEG in Zeiten der Covid-19-Pandemie verändert?
Es prasseln so viele Anfragen wie noch nie auf uns ein. Im Augenblick vor allem aus Afrika und Lateinamerika – aus Guatemala, Peru, Bolivien, Kolumbien und Ecuador. Der Kern unserer Arbeit hat sich jedoch nicht verändert. Wir beraten das BMZ, planen und führen Einsätze weltweit durch.

Wie schaffen Sie es, auf die massive Nachfrage zu reagieren?
Wir arbeiten unter Hochdruck. Unser siebenköpfiges Kernteam in Bonn besteht aus GIZ-Personal verschiedener Fachbereiche, etwa Mikrobiologie, Medizin und Global Health. Wir bearbeiten die vielen Anfragen, organisieren und leiten die jeweiligen Einsätze. Normalerweise werden wir dabei von Fachleuten aus dem Robert Koch-Institut (RKI) und dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) unterstützt. Mit beiden Instituten verbindet uns eine formelle Kooperation. Beim Benin-Einsatz hat uns das Institut für Virologie der Charité in Berlin unterstützt. In dem westafrikanischen Staat haben wir Labordiagnostik für den Nachweis des Erregers von Covid-19 aufgebaut, ähnlich wie zuvor in Namibia.

Wie sahen ihre Einsätze konkret aus?
In Namibia gab es Anfang März noch keine Möglichkeit, im nationalen Referenzlabor in Windhoek auf Covid-19-Erreger zu testen. Die namibische Regierung hat früh reagiert und uns um Hilfe beim Aufbau der Kapazitäten gebeten. Ich konnte innerhalb kurzer Zeit mit einer Kollegin der GIZ, sowie jeweils einer Kollegin vom RKI und vom BNITM in den Süden Afrikas reisen. Wir haben nicht einfach nur Testkits mitgebracht, sondern die Laborcrew geschult. Das ist sehr wichtig, denn hier muss alles stimmen. In den Referenzlaboren der jeweiligen Länder werden die Infektionszahlen ermittelt, die dann an die WHO gemeldet werden. Sie sind die Basis für die Epidemiologie und für die Entscheidungen von Regierungen, um geeignete Eindämmungsmaßnahmen zu ergreifen.

Sie sind gerade aus Benin zurückgekehrt. Welchen Bedarf gab es dort?
Der Einsatz in Benin war sehr herausfordernd. Zwar kannten wir das Labor aus vorherigen Einsätzen, aber nun musste dort in kürzester Zeit eine höhere Laborkapazität aufgebaut werden, um eine verlässliche Diagnostik auf das neue Coronavirus zu ermöglichen. Eigentlich ist das Labor für den Nachweis von hämorrhagischen Fiebern, wie beispielsweise Ebola- oder Lassafieber, ausgelegt. Wir konnten aufgrund der Flugbeschränkungen nur ein kleines Team mitnehmen, so dass der Einsatz mit sehr knappen Ressourcen umgesetzt werden musste. Das GIZ-Landesbüro hat uns in dieser angespannten Lage enorm unterstützt.

Testkits für den Erreger von Covid-19 und Schutzausrüstung sind knapp. Wie gehen Sie damit um?
Schutzausrüstung nehmen wir nur für den persönlichen Bedarf mit. Bei der Arbeit in den Tropen muss die Maske alle zwei Stunden gewechselt werden, wir arbeiten zehn Stunden im Labor und sind rund zehn Tage im Einsatz. Daneben haben wir Testkits für die Schulungen und die ersten Wochen dabei. Dann stellen wir Kontakte her, damit sich die Labore weiter mit Material versorgen können.

Wie erleben Sie Ihre Einsätze in der aktuellen Pandemie. Hat sich etwas verändert?
Ich habe zwei kleine Kinder und in der aktuellen Lage hängt alles an meiner Frau, wenn ich weg bin. Das zu wissen, ist schon eine mentale Belastung. Aber die Einsätze gehören zur Arbeit der SEEG, das ist unser Auftrag. Das Reisen ist jetzt natürlich viel schwieriger, als es etwa noch Ende vergangenen Jahres bei dem Einsatz auf Madagaskar war. Wir durften jetzt nach Benin nur auf persönliche Einladung des Gesundheitsministers einreisen. Wir mussten strenge Auflagen erfüllen, negativ getestet in den Flieger steigen. Vor Ort mussten wir drei negative Covid-19-Tests nachweisen, ehe wir unsere Arbeit aufnehmen konnten. Und die Plätze auf dem aktuell letzten Air-France-Flug nach Benin haben wir nur auf Vermittlung der deutschen und französischen Botschaft bekommen.

Welche Rolle spielen angesichts der Reisebeschränkungen digitale Tools?
Wir entwickeln derzeit Webinare beziehungsweise greifen hier auf bestehendes Material zurück. Diese Online-Schulungen können einen zeitlichen Puffer von Wochen oder Monaten bieten. Wenn wir von den Laborpartnern wissen, dass sie eine grundsolide Diagnostik leisten können, dann ist das ein Option. So können wir auf die Nachfrage unter logistischen Schwierigkeiten reagieren. Aber sobald die Reisebeschränkungen gelockert werden, wollen wir persönlich nachschulen. Das bleibt der Goldstandard.

Wenn wir einmal auf die aktuelle Pandemie zurückblicken werden, welche Erkenntnis wird bleiben?
Ich hoffe, dass Regierungen und Bevölkerungen weltweit erkennen, wie wichtig Frühwarnsysteme sind, und dass das Engagement für Epidemie- und Pandemievorsorge langfristig sein muss. Die Prävention und vor allem die Gesundheitssysteme müssen gestärkt werden, damit sie adäquat auf Krankheitsausbrüche reagieren können. Wir können die Gefahr von Pandemien nur als Weltgemeinschaft dauerhaft lösen.

April 2020