Essay: Kulturelle Vielfalt

Vom Wert des Anderen

Wir leben in einer Welt der Vielfalt, in der verschiedene Sprachen, Kulturen und Bräuche ausdrücklich erwünscht sind. Zugleich überfordert manche Menschen diese Fülle, verängstigt sie das Andere. Abschotten ist trotzdem keine Lösung.

Text
Ingrid Müller

Myanmar – das geheimnisvolle goldene Land, Sehnsuchtsort vieler Touristen und Heimat von offiziell 135 Ethnien. Selbst das riesige Russland zählt mit 160 ethnischen Gruppen kaum mehr, das mächtige China gerade mal 55. Größere Vielfalt geht also kaum. Doch so einfach ist es leider nicht, denn obwohl rund 40 Prozent der Bevölkerung einer Minderheit angehören, das Anderssein also zur gesellschaftlichen Normalität gehören müsste, wird Myanmar von Konflikten erschüttert, die bis zum Bürgerkrieg reichen.

Es gibt ihn nicht, den einen Schlüssel zum Glück. Jeder muss seinen Weg selbst finden – und akzeptieren, dass es in einer Gesellschaft der Vielfalt auch unendlich viele andere Wege gibt. (Foto: Getty Images/Veronique Lee)
Es gibt ihn nicht, den einen Schlüssel zum Glück. Jeder muss seinen Weg selbst finden – und akzeptieren, dass es in einer Gesellschaft der Vielfalt auch unendlich viele andere Wege gibt. (Foto: Getty Images/Veronique Lee)

Vor allem lebt dort auch eine Volksgruppe, die nicht dazugehören soll: die Rohingya. Bei den Vereinten Nationen gelten die staatenlosen Muslime als die am stärksten verfolgte Minderheit überhaupt. Wie unter einer Lupe zeigt ihr Schicksal, woran sich immer wieder Konflikte entzünden: am Zusammenleben einer Mehrheit (hier Birmanen) mit einer Minderheit (Rohingya), an unterschiedlichen Religionen (hier zum Teil Hass predigende Buddhisten und Muslime) und an verschiedenen Sprachen (sinotibetischen und indogermanischen Ursprungs). In einer idealen Welt würde sich wenigstens die Heldin des Landes der Verfolgten annehmen. Doch selbst die wegen ihres Kampfes für die Demokratie verehrte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi macht sich nicht stark für sie – es könnte womöglich Unterstützer kosten.

UNESCO-Konvention für kulturelle Vielfalt

Die Geschichte der Rohingya macht deutlich, warum es wichtig ist, dass sich die internationale Gemeinschaft in zentralen Fragen immer wieder auf völkerrechtlich verbindliche Grundlagen einigt, die Umsetzung aber weitere Arbeit erfordert. Zehn Jahre ist die UNESCO-Konvention für kulturelle Vielfalt im Jahr 2015 alt geworden. Sie schreibt fest, dass Kultur als die „Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften angesehen werden muss, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen, und dass sie über Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen“ umfasst. Was hat die Welt nicht alles zu bieten! Doch wie wenig wissen wir über den Schatz der Vielfalt? Ist sie auch dort, wo wir Uniformität sehen? Verwechseln wir manchmal Vielfalt mit einem Mehr vom Gleichen?

Letzten Endes profitieren alle davon, dass etwas anders sein oder anders gemacht werden kann – aber nicht muss. Es gibt Menschen, die sich selbst im Weg stehen, wenn Neues auf sie einströmt. Vielleicht können sie aus Unsicherheit darüber, wer sie selbst sind, den Wert des Anderen nicht (an)erkennen. Wir nennen die Welt gern bunt, weil es verschiedene Lebensweisen gibt. Doch trotz moderner Kommunikation kennt wohl niemand sie alle.

Die "African time" und andere kulturelle Missverständnisse

Wenn Menschen unterschiedlicher Kulturkreise aufeinandertreffen, kommt es oft zu Missverständnissen. Wann ein Termin genau stattfindet, ein Gast wirklich erwartet wird, ist eine Wissenschaft für sich – es gibt nicht nur die legendäre „African time“, häufig deutlich nach der verabredeten Zeit. In Pakistan werden selbst offizielle Termine oft nicht länger im Voraus ausgemacht. Da ruft schon mal das Büro des Ministerpräsidenten um Mitternacht an, um ein Gespräch für morgens um acht zu vereinbaren – in Deutschland kaum denkbar.

„Eine Zivilisation soll danach beurteilt werden, wie sie ihre Minderheiten behandelt.“
Mahatma Gandhi, indischer Widerstandskämpfer und Pazifist

In Japan gehört zum guten Ton, was in Europa jedem Kind ausgetrieben wird: Die Nase zieht man hoch, auf keinen Fall wird ein Taschentuch gezückt. Schüttelt in Indien jemand wackelnd den Kopf, bedeutet das Zustimmung, Europäer aber verstehen das Gegenteil. In Sri Lanka wundert sich mancher über die Waschbecken in Restaurants, an denen sich die Gäste vor und nach dem Essen die Hände waschen. Gegessen wird mit den Fingern der rechten Hand. Dort fragen sich die Menschen eher, ob nicht vor ihren Augen gespülte Messer und Gabeln wirklich sauber sein können. Wenn Westeuropäer Kasachen zum Tee bewirten und die Tasse gut füllen, kann es passieren, dass der Gast überraschend schnell wieder aufbricht. Denn in Kasachstan ist zwar immer Zeit für einen Tee, aber eine volle Tasse signalisiert nicht etwa besondere Gastfreundschaft, sondern Eile des Gastgebers. Ecuadorianer halten Europäer für ziemlich verrückt, wenn die mit ihrem Hund Gassi gehen. Dort sind die Vierbeiner allein unterwegs – und kommen trotzdem zurück.

Unterschiede prallen auch oft aufeinander, wenn es um persönliche Dinge wie den Tod geht. Stirbt in Europa ein Angehöriger, wird in aller Stille kondoliert. In afrikanischen Ländern hingegen kommt meist nicht nur die Großfamilie ausgiebig zusammen. Wer zufällig in der Gegend ist, wird in die Trauergesellschaft eingemeindet – und soll vielleicht in der ihm bis dahin unbekannten Gruppe auch gleich eine Ansprache halten.

Homosexualität ist in vielen Ländern noch immer verboten

Im Westen haben sich viele Menschen daran gewöhnt, dass eine Familie ganz verschiedene Formen annehmen kann. Ob jemand allein lebt, mit oder ohne Trauschein, mit eigenen Kindern oder fremden, Frauen Frauen oder Männer Männer heiraten, interessiert kaum mehr jemanden. Vom Recht darauf, dass alle ihre sexuelle Orientierung frei ausleben können, ist die Welt allerdings noch weit entfernt, auch wenn beim Eurovision Song Contest 2014 Conchita Wurst mit Bart in Frauenkleidern den Titel holen konnte. In rund 80 Staaten ist Homosexualität immer noch verboten, 38 davon liegen in Afrika. Uganda wollte trotz massiver internationaler Proteste noch 2014 die Todesstrafe dafür einführen. Sieben Länder sehen für gleichgeschlechtliche Liebe den Tod vor.

Im Russland von Präsident Putin muss sogar mit Konsequenzen rechnen, wer in der Öffentlichkeit über das Thema spricht. Selbst in Ländern, die Homosexualität nicht verboten haben, verheimlichen Schwule und Lesben oft ihre Neigung, wie das Beispiel der katholisch geprägten Philippinen zeigt. Auch in Deutschland währt diese Freiheit noch nicht lange: Paragraf 175 des Strafgesetzbuches stellte Sex zwischen Männern bis 1994 unter Strafe. In der Zwischenzeit hatte das Land zwar einen bekennend homosexuellen Außenminister, viele (Vor-)Urteile von damals bestehen aber durchaus bis heute. Deutsche vergessen manchmal, dass Rechte, die sie lautstark von anderen fordern, auch im eigenen Land recht neu sind: Ehefrauen dürfen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erst seit Ende der 1950er Jahre über ihr Geld entscheiden. Arbeiten ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Ehemannes dürfen sie sogar erst seit 1977.

Wenn drei Weltreligionen friedlich zueinanderfinden – wie hier beim „Fest der Feste“ im israelischen Haifa. (Foto: Getty Images/Hanan Isachar)
Wenn drei Weltreligionen friedlich zueinanderfinden – wie hier beim „Fest der Feste“ im israelischen Haifa. (Foto: Getty Images/Hanan Isachar)

Wer zur Mehrheit zählt oder in einer liberalen Umgebung lebt, ahnt oft nicht, wie es sich anfühlt, Teil der „Anderen“ zu sein. „Gringa, Gringo“, „Weiße“ raunten Einheimische irritiert, als wir in den 1990er Jahren in Peru abends während der heiligen Woche zu Fuß zu einer Kathedrale unterwegs waren. Damals wütete noch die Terrorgruppe „Leuchtender Pfad“ in dem Andenstaat. Kaum ein Ausländer wagte sich ins Landesinnere, schon gar nicht nach Sonnenuntergang und ohne Auto. Ähnliches kann einem auch in den USA widerfahren: Wer als Weiße den Melting Pot New York gen New Jersey verlässt, um in die schwarzen Mittelstands-Vororte zu fah­ren, hört von Polizisten und schwarzen Busfahrern die ungläubige Frage: „Wollen Sie wirklich DA hin?“ Am Ziel folgen „Das kann doch nicht sein“-Blicke Jugendlicher, als käme ein Alien. Die meisten Weißen trauen sich nicht in die Gegend. Und viele Schwarze wissen nicht, dass sie praktisch in einem ähnlichen Umfeld leben wie die weiße Mittelschicht – weil sie deren Viertel meiden.

Doch selbst, wenn wir uns eigene Eindrücke verschaffen, können wir dann immer sicher sein, dass wir richtig einschätzen, was wir sehen? Oder denken wir vor allem in Kategorien von Schwarz und Weiß? Sind uns Grautöne zu anstrengend?

„Meine Vorstellung von einer perfekten Welt ist, dass wir (...) alle gleichberechtigt, aber auf keinen Fall gleich sind.“
Barbra Streisand, US-amerikanische Schauspielerin

Nehmen wir die Schleier muslimischer Frauen. Für viele Christen steht fest: Dahinter steckt immer eine entrechtete Frau. Doch die Realität ist – wie so oft – komplizierter. Längst ist der Schleier zu einer Art Kulturkampfzone geworden und daher eine besonders delikate Sache. Ein Blick nach Pakistan mag das Dilemma verdeutlichen: Manche Professorin trägt ihr Kopftuch als sichtbares Zeichen gegen vermeintliche Feinde im Westen, gleichzeitig ziehen viele Studentinnen ihre Dupatta nur übers Haar, wenn der Koran zitiert wird, Muezzin oder Vater rufen – aber nie im Basar. Eine Verschleierte im konservativen Grenzgebiet wirft der Ausländerin ohne Kopftuch einen unerträglichen Affront vor, eine andere sagt: „Mach doch, was du willst. Ich brauche den Respekt meiner Leute, um für die Rechte von Frauen zu kämpfen, also trage ich Schleier.“ Heute legen zwar viele Mädchen ein Kopftuch um, sind aber zugleich mit der eigenen Vespa unterwegs. Und dann wieder gibt es die eloquente Frau aus den quasi unzugänglichen Stammesgebieten: Sie hat studiert, arbeitet seit Jahren im Ausland und hat der Familie wegen dennoch einer arrangierten Ehe zugestimmt. Bei Besuchen zu Hause geht sie im Ganzkörperschleier an der Hand ihres Bruders, damit sie nicht fällt, weil sie praktisch nichts sieht. Selbst der Schleier birgt also eine gewisse Vielfalt.

Vielfalt, die Konservativen missfällt: jenen selbst ernannten Tugendwächtern im Alltag auch vieler arabischer Länder, denen es vor allem um Macht über andere geht. Sie allein wollen definieren, was sich gehört und was nicht. Furchtbarstes Beispiel dafür sind die brutalen Islamisten des sogenannten „Islamischen Staats“, die sich derzeit mit Gewalt die ganze Welt mit ihrer menschenverachtenden Interpretation von Kultur, Religion und Gesellschaft untertan machen, alles andere vernichten wollen.

Alle zwei Wochen verschwindet eine Sprache

Selten ist die Bedrohung derart monströs. Doch in vielen Regionen fürchten Menschen um ihre Sprache, ihre Tradition, also ihre Identität. Immer öfter verlangen sie deshalb mehr Rechte: Katalanen in Spanien, Schotten in Großbritannien, Kurden in der Türkei, Tamilen in Sri Lanka. Die Erfahrung zeigt: Nur wenn alle Gruppen in einer Gemeinschaft Schutz genießen und gehört werden, bleibt es auf Dauer friedlich. Meint die Mehrheit zu lange, sie könne die Minderheit beherrschen oder ignorieren, ist das allzu oft das Einfallstor für Militante.

Auf dem Papier gibt es immer mehr Rechte, doch gleichzeitig nimmt die kulturelle Vielfalt ab. Studien zufolge verschwindet alle zwei Wochen irgendwo auf der Welt eine Sprache. Vielerorts geht schleichend auch das Wissen um die Ernährung verloren, weil Menschen „modern“ essen und trinken wollen. Mediziner registrieren in Haiti wie Indien steigende Zahlen dicker Kinder und junger Diabetiker. Obwohl ihre Familien Gemüse oder Obst anbauen könnten, gibt es Softdrinks und Burger. In Industrieländern ist es kaum besser. Nach jüngsten Studien schätzen die Deutschen Speisen fremder Länder. Ähnlich wie in den USA essen sie aber mittlerweile am liebsten im Restaurant oder unterwegs oder bereiten abgepackte Fertiggerichte zu. Immer weniger Deutsche kochen selbst, manche haben sogar ihren Herd abgeschafft.

10 bis 20 Prozent der Weltbevölkerung gehören einer Minderheit an. Diese Schätzung der Vereinten Nationen – genaue Zahlen gibt es nicht – entspräche zwischen 700 Millionen und 1,4 Milliarden Menschen.
Quelle: UN-Hochkommissariat für Menschenrechte

Globalisierung macht manches einfacher. Viele Ruander zum Beispiel hatten eher Handys als Leute in Industrieländern. Aus einem einfachen Grund: Früher gab es Telefone nur in der Hauptstadt Kigali und vielleicht in einem Laden pro Dorf, weil es sehr mühsam und teuer gewesen wäre, ein ganzes unwegsames Land mit Kabeln zu durchziehen. Das flächendeckende Angebot kam erst mit dem Mobilzeitalter – und dann griffen die Menschen schnell zu. Inzwischen gehören die mobilen Geräte in vielen Ländern Afrikas zum Alltag und erleichtern selbst Bauern die Arbeit: Die App iCow zum Beispiel erinnert Kenias Viehbauern per Sprachnachricht an Termine, gibt Tipps zum Füttern und Melken. In Ghana existiert ein Service namens Esoko, mit dem Bauern die Marktpreise vergleichen und so herausfinden können, ob der Zwischenhändler sie übervorteilen will. Neue Vielfalt.

Doch die globalisierte Wirtschaft führt auch zu Uniformität: In Buenos Aires wird der gleiche Tablet-Computer genutzt wie in Neu-Delhi, in Washington der gleiche Kaffee wie in Rom angeboten. Immer öfter beschleicht Menschen die Angst, die Vernetzung sei Gift für die Vielfalt. Ein Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung um das Handels- und Investitionsabkommen TTIP, über das Europäische Union und USA derzeit verhandeln. Kaum ein Politiker hatte sich träumen lassen, dass ein derart sperriges Thema mehr als 150.000 Demonstranten nach Berlin locken würde, wie im Herbst 2015 geschehen. Doch es geht um zentrale Bereiche des Lebens. Werden 1,3 Millionen Jobs neu geschaffen oder fallen 600.000 weg? Bedeutet es das Aus für Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit und regionale Produkte wie Feta-Käse oder Schwarzwälder Schinken? Der Wirtschaftsminister hält in ganzseitigen Anzeigen dagegen, die Vielfalt bleibe erhalten. Verfechter und Gegner argumentieren mit Härte wie Bestimmtheit.

Fast jedes große Unternehmen macht heute "Diversity Management"

Konzerne wissen längst, wie produktiv und kreativ eine bunte Mischung sein kann, Studien belegen es. In großen Unternehmen hat das sogenannte Diversity Management Einzug gehalten; zu den „neuen sozialen Wirklichkeiten“ gehören die Förderung von Frauen und die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Dem deutschen Verein Charta der Vielfalt gehören 18 große Unternehmen wie Adidas, Bayer, BMW, die Telekom und SAP an, 2.300 Unterzeichner haben sich dem Kodex verpflichtet. „Die Unternehmen machen das nicht, weil es ‚nice to have‘ ist. Als Exporteure wissen auch Mittelständler, wie wichtig es ist, jeden Kunden richtig anzusprechen“, so die Geschäftsführerin des Vereins, Aletta Gräfin von Hardenberg. „Wir können wirtschaftlich nur erfolgreich sein, wenn wir die vorhandene Vielfalt erkennen und nutzen“, sagt der deutsche Bundesjustizminister Heiko Maas, der sich sehr für Diversity einsetzt.

Doch: Nicht nur jede Firma, auch das Land profitiert von Vielfalt. Dass heute viel mehr Frauen mit Kindern arbeiten als vor zehn Jahren, hat ein Plus von fast fünf Milliarden Euro beim deutschen Bruttoinlandsprodukt gebracht. Ohne Ausländer würden ganze Branchen zusammenbrechen, Deutsche mit Migrationshintergrund zahlen mehr als 50 Milliarden Euro Steuern im Jahr. Und nur wenige wissen: Jeder dritte Spitzenmanager in Deutschland hat keinen deutschen Pass.

Wenn für jeden etwas dabei ist – Vielfalt des Angebots in einem westlichen Supermarkt. (Foto: Getty Images/Chuck Keeler)
Wenn für jeden etwas dabei ist – Vielfalt des Angebots in einem westlichen Supermarkt. (Foto: Getty Images/Chuck Keeler)

Doch diese Vielfalt bringt auch allerlei Reibung mit sich. Oft greifen wir beim Umgang mit anderen auf unbewusste Denkmuster und Vorurteile zurück. Das hat nicht allein mit Psychologie zu tun, die wir mit Bildung aushebeln können, sagen Forscher. Demnach prägen tief im Hirn verschaltete biologische Mechanismen unseren Blick auf Diversität. Das Hirn speichert unsere Erfahrungen und ruft sie für Entscheidungen automatisch ab. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum es so lange dauert, bis Verzerrungen korrigiert sind – etwa dass erst nach all den Jahren männlicher Dominanz auch weibliche Führungskräfte als „normal“ wahrgenommen werden oder Menschen oft Personen aus dem eigenen Kulturkreis anderen vorziehen.

Offenbar sind unsere inneren Bilder schlicht allgegenwärtig – auch jeder noch so liberale Mensch kann sein Leben auf der inneren Festplatte nicht einfach löschen. Jessica Gedamu und Albert Kehrer, die nach dem Vorbild von Poetry-Slams Vorurteile in kurzen Bühnenshows aufgreifen, nennen die eher impulsiv erfolgenden Reaktionen des Gehirns unseren „Homer-Simpson-Anteil“. Den sollten wir uns neben unserem eher rationalen „Mr. Spock“-Handeln immer bewusst machen – um ihn nicht stören zu lassen.

Flüchtlinge als Prüfung für das offene Europa

Vielfalt braucht Austausch. Kennenlernen hilft und schafft neue Erfahrungen, die alte überlagern können. Nur so entsteht Akzeptanz. Doch Vielfalt erfordert Kompromisse. Wer Toleranz für sich erwartet, muss sie auch anderen entgegenbringen. Das kann im Alltag anstrengend sein und bringt auch Zumutungen mit sich – für alle Seiten. Sich aneinander zu gewöhnen, kostet Zeit, mehr als mancher Enthusiast gern hätte oder persönlich braucht. Toleranz heißt Grenzen ausloten – aber auch setzen. Das Miteinander braucht klare Regeln, an die sich alle halten, damit jeder zu seinem Recht kommt, die einen nicht unter den anderen leiden.

Europa erlebt in dieser Hinsicht gerade ein Experiment: Wie die vielen Flüchtlinge aufgenommen und in die Gesellschaft integriert werden, ist für Einheimische wie Zuziehende eine Prüfung. Doch es geht weit darüber hinaus: Die Welt beobachtet, wie Kulturen einen Ausgleich finden. Es könnte ein großes Vorbild entstehen.

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Aus der Arbeit der GIZ

INDIGENE VÖLKER

Projekt: Mehr Rechte für Minderheiten durchsetzen
Land: Peru
Auftraggeber: Auswärtiges Amt
Politischer Träger: Vizeministerium für Interkulturalität des Peruanischen Kulturministeriums
Laufzeit: 2012 bis 2016

Fast ein Drittel der peruanischen Bevölkerung gehört einem indigenen Volk an. Diese Ethnien sind immer noch benachteiligt und stärker als andere von Armut betroffen. Das Projekt soll helfen, ein neues Konsultationsrecht anzuwenden und indigene Bevölkerungsgruppen besser in gesetzgebende Prozesse einzubinden, indem sie vorher angehört werden.

 

FRAUEN

Projekt: Stärkere Integration von Frauen ins Wirtschaftsleben
Land: Naher Osten und Nordafrika
Auftraggeber: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Politischer Träger: Regierungen von Ägypten, Jordanien, Marokko, Tunesien
Laufzeit: 2010 bis 2016

Trotz Fortschritten sind Frauen in dieser Region immer noch weniger aktiv an der Wirtschaft beteiligt als irgendwo sonst auf der Welt. Dem sollen Medienkampagnen und eine bessere Qualifizierung von Frauen dauerhaft entgegenwirken.

 

SOZIALE INTEGRATION

Projekt: Neuen Konflikten durch bessere Teilhabe vorbeugen
Land: Sri Lanka
Auftraggeber: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Politischer Träger: Ministerium für nationale Sprachen und soziale Integration von Sri Lanka
Laufzeit: 2002 bis 2017

In Sri Lanka sind verschiedene ethnische Gruppen politisch und wirtschaftlich benachteiligt, was in der Vergangenheit immer wieder zu Konflikten geführt hat. Um dem vorzubeugen, hat die GIZ zahlreiche Konzepte und Aktivitäten für eine stärkere Teilhabe von Minderheiten entwickelt.

 

BIOLOGISCHE VIELFALT

Projekt: Programm zum Schutz der Arten
Land: Costa Rica
Auftraggeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Politischer Träger: Umwelt- und Energieministerium Costa Ricas
Laufzeit: 2014 bis 2020

Costa Rica gehört zu den 20 artenreichsten Ländern der Erde. Um diesen Reichtum zu bewahren, hat es bereits rund ein Viertel seiner Fläche unter allgemeinen Naturschutz gestellt. Für das Überleben vieler Arten ist es zudem wichtig, diese Flächen zu verbinden. Deshalb richtet Costa Rica nun sogenannte „Biokorridore“ ein. Die GIZ unterstützt das Land dabei.

 

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