Biogas in Costa Rica
Strom aus dem Stall
Ein schrilles Quieken dringt aus der offenen Tür, als ein Arbeiter in weißem Schutzanzug und Gummistiefeln das Gebäude betritt, in der Hand einen Eimer voller Futter. Ein strenger Geruch dringt nach draußen: Der Stall ist voller Schweine. Juan Carlos Saenz schaut durch die offene Tür hinein. Sein Schweinezuchtbetrieb in Cartago, im Zentrum Costa Ricas, ist mit 25.000 Tieren einer der größten des Landes.
Gleichzeitig sind Saenz’ Ferkel und Sauen die größten Biogasproduzenten Costa Ricas. Der mittelamerikanische Staat gilt als grünes Musterland. Private Produzenten von erneuerbaren Energien haben es dennoch nicht ganz leicht. Die zahlreichen staatlichen Wasserkraftwerke Costa Ricas scheinen zu genügen. Auf den ersten Blick.
Aus stinkender Gülle wird sauberes Biogas
So verkündete das staatliche Versorgungsunternehmen im Sommer 2015, man habe den Strombedarf des Landes 75 Tage lang komplett mit erneuerbaren Energien gedeckt – ohne Öl, ohne Erdgas, ohne Atomkraft. Eine bemerkenswerte Erfolgsmeldung. Rund 90 Prozent des sauberen Stroms kommen dabei aus der Wasserkraft. Warum also noch in Solar- oder Biogasanlagen investieren?
Das scheint sich auch mancher Verantwortliche in Politik und Energiewirtschaft zu fragen. Doch die Abhängigkeit von den Turbinen an Staudämmen und Wasserschnellen birgt ernste Probleme. Denn Costa Rica wird immer trockener. Das liegt an dem Wetterphänomen El Niño – aber vor allem am Klimawandel. Der verändert die Regenfälle: Es gibt durchschnittlich zwar nicht weniger Niederschläge, doch sie verteilen sich anders als früher. Heftigem Regen folgen längere trockene Phasen.
Das Ziel: bis 2021 klimaneutral
Ohne Regen laufen jedoch viele Wasserkraftwerke im Land nicht effektiv, die Stromproduktion sinkt. Dann muss Costa Rica auf fossile Energieträger zurückgreifen. Die sind nicht nur teuer, sondern auch umweltfeindlich – sie gefährden das Ziel des Landes, bis zum Jahr 2021 klimaneutral zu sein.
Produzenten wie Saenz, dessen Firma Porcina Americana Schweine züchtet und schlachtet, setzen lieber auf Alternativen. In seinem Betrieb fallen Tausende Kubikmeter Gülle und Schlachtabfälle pro Jahr an, die das Unternehmen in einer neuen Anlage in Biogas umwandelt. Die Verbrennung des darin enthaltenen Methangases treibt den Stromgenerator an. Bis zu 60 Prozent seiner Energiekosten hat der Betrieb durch die neue Anlage bereits einsparen können. Außerdem senkt er damit den Treibhausgasausstoß ganz erheblich, denn in die Luft entweichendes Methangas ist noch um ein Vielfaches schädlicher als Kohlendioxid.
Überschüssigen Strom ins Netz einspeisen
So lohnt sich die hohe Investition von 1,5 Millionen Dollar für die Biogasanlage von Porcina Americana. Bereits nach drei Jahren soll sich die Anlage rechnen. Noch lukrativer wäre sie, wenn das Unternehmen seinen Strom an das nationale Energieunternehmen verkaufen könnte. Doch das ist vom Staat nicht vorgesehen. Er will Unternehmen lediglich dabei unterstützen, zu Selbstversorgern zu werden. Deshalb können die Firmen auch überschüssigen Strom ins Netz einspeisen und bei erhöhtem Bedarf wieder entnehmen.
Auf die Idee mit der Biogasanlage wäre Saenz vielleicht gar nicht gekommen, wenn er nicht ein Problem mit der stinkenden Gülle gehabt hätte. Die landete in offenen Sickergruben, auf die mit aller Kraft die mittelamerikanische Sonne schien. Die Bioabfälle verpesteten nicht nur die Luft, sondern auch die Gewässer der Umgebung. Die Nachbarn klagten, 2011 stand die Firma kurz vor dem Aus.
Es fällt kaum noch Abfall an
So bat Saenz die GIZ um Unterstützung, auch weil es in Costa Rica bis dahin kaum Erfahrungen mit Biogasanlagen gab. Heute sehe die Zukunft glänzend aus, sagt Saenz, und er kann sein Unternehmen sogar weiter ausbauen. „Ohne die Biogasanlage hätten wir dichtmachen müssen“, so der Firmenchef.
„Das Substrat aus der Schweinezucht eignet sich ausgezeichnet für Biogasanlagen“, erklärt Ana Lucía Alfaro von der GIZ. Gemeint sind die Ausscheidungen der Tiere, das Blut und die Innereien aus den Schlachthäusern. Nicht nur lässt sich damit Strom herstellen, es fällt auch kaum noch Abfall an.
Heute stinkt es nur noch in den Ställen. „Das ist kein Vergleich zu früher“, sagt Alfaro, die zuvor im Energieministerium von Costa Rica gearbeitet hat. Nun koordiniert sie in der Hauptstadt San José die lokalen Aktivitäten zweier Regionalprogramme für erneuerbare Energien, die die GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umsetzt. Ziel ist es, in Mittelamerika saubere Energie zu stärken, unter anderem durch den Bau von Solar- und Biogasanlagen. Ähnliche Aktivitäten gibt es in El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama.
Ein weiteres Projekt der grünen Energieproduktion in Costa Rica erstrahlt nur knapp 50 Kilometer von der Schweinezucht entfernt in Alajuela, der drittgrößten Stadt des Landes. Dort hat der Fußballclub Liga Deportiva Alajuelense (LDA) eine Solaranlage auf seine Tribünendächer gesetzt. Der gewonnene Strom reicht für das gesamte Stadion mit seinen 17.000 Plätzen, inklusive der neuen Flutlichtanlage.
Kluges Finanzierungsmodell führt zu mehr Einnahmen
Die Lichtanlage brauchte der Verein, damit das Fernsehen die Spiele übertragen und er damit Geld einnehmen kann. LDA gehört zu den erfolgreichsten Clubs des Landes und tritt auch international bei Wettkämpfen an. Doch die neue Anlage sorgte zuerst einmal dafür, dass die Stromkosten um mehr als 70.000 US-Dollar im Jahr stiegen. Eine enorme Summe für den Club, dessen Einnahmen nicht mit denen deutscher Bundesligisten vergleichbar sind. LDA musste dringend eine Finanzierungsmöglichkeit finden.
Unterstützung kam dabei von der GIZ. Sie errechnete das Potenzial einer Solaranlage auf dem Dach und beriet LDA bei deren Bau. Auch der Solarverband Costa Ricas unterstützte den Club. Für die Finanzierung entwickelten die Experten ein interessantes Modell: Die Anlage wurde von der ersten costa-ricanischen „Energy Service Company“ gekauft, einer privaten Finanzierungsagentur, die Mittel aus einem Investitionsfonds für erneuerbare Energien und Energieeffizienz bezieht. Diese verkauft nun dem Club den Solarstrom zu Tiefpreisen von 1.000 bis 2.000 Dollar pro Monat. Nach sechs Jahren wird sich die Anlage amortisiert haben – dann geht sie in den Besitz von LDA über.
Projekte mit Signalwirkung: Nachahmer willkommen!
Ana Lucía Alfaro – ein großer Fan von LDA – freut sich über die Solaranlage im Stadion besonders. Ihr Lieblingsverein ist nun auch ein Vorreiter bei der Nutzung der Sonnenenergie. Und weil der Verein an einem Modellprojekt teilnimmt, darf er die Solarenergie an den nationalen Stromanbieter verkaufen. Der Club verdient mit grünem Strom also Geld. Und spart nebenbei rund 550 Tonnen Kohlendioxid im Jahr ein.
„Solche Projekte haben eine Signalwirkung für ganz Costa Rica“, sagt Jürgen Popp von der GIZ. Tatsächlich stehen schon die nächsten Unternehmen bereit. So errichtet etwa der Fleischproduzent El Arreo eine Biogasanlage. Damit produziert das Unternehmen künftig nicht nur Strom, sondern betreibt auch seine Heizkessel, die momentan noch mit Schweröl befeuert werden. Auch die größte Brauerei im Land setzt seit kurzem auf Solarenergie und auf ein mit Holzpellets betriebenes Kraftwerk.
Popp beschäftigt sich schon mit der nächsten Idee: Bislang fallen auf den Ananasplantagen in Costa Rica Tausende Tonnen organischer Abfälle an, die nicht genutzt werden. Wissenschaftler erforschen derzeit, ob sich die Ananasabfälle ebenfalls für Biogasanlagen eignen. Dann könnte Costa Rica bald ganzjährig seinen Strombedarf aus erneuerbaren Energien decken, die Emissionen weiter senken und die Welt mit einer weiteren Erfolgsmeldung in Sachen Klimaschutz überraschen.
Ansprechpartner: Manfred Haebig > manfred.haebig@giz.de
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DEM KLIMAWANDEL BEGEGNEN
Projekt: Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Zentralamerika
Land: Costa Rica
Auftraggeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Politischer Träger: Generalsekretariat des zentralamerikanischen Integrationssystems
Laufzeit: 2010 bis 2016