Interview

„Selbstvertrauen stärken“

Ein Interview über psychische Gesundheit in Krisenregionen und wie wichtig kollektive Fürsorge ist.

Text
Rajiv Raman

Die GIZ arbeitet weltweit in instabilen Konflikt- und Krisenregionen. Menschen, die dort leben, sind mit vielen psychosozialen Belastungen konfrontiert, die ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen können. So auch in Jordanien, wohin Hunderttausende Syrerinnen und Syrer vor der Gewalt des Assad-Regimes geflohen sind. Um ein Bewusstsein für die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit zu schaffen und die betroffenen Menschen zu stärken, setzt die GIZ verstärkt auf die Einbindung des Mental Health and Psychosocial Support-Ansatzes (MHPSS; mentale Gesundheit und psychosoziale Unterstützung). Dies geschieht auch bei Cash for Work-Projekten etwa beim Ausbau von grünen Infrastrukturprojekten in Jordanien. Darüber sprechen wir mit der Jordanierin Rania Majdalawi Ahmed, Teilnehmerin eines MHPSS-Trainings, und der zuständigen GIZ-Mitarbeiterin Johanna Lechner.

Rania Majdalawi Ahmed (27) ist ausgebildete Architektin. Sie arbeitet bei der Stadtverwaltung von West-Irbid im Rahmen des Projekts „Waste to Positive Energy“ (WTpE, Erzeugung positiver Energie durch Abfall) mit jordanischen und syrischen Beschäftigten.

Frau Ahmed, Sie haben im Herbst 2020 ein Training zu psychischer Gesundheit und psychosozialer Unterstützung absolviert. Wie sah das aus?
Wir waren etwa zwanzig Personen aus verschiedenen Bereichen. Ich beispielsweise arbeite in der Datenerfassung der Stadtverwaltung von West-Irbid. Dort dokumentiere ich unter anderem die Beschäftigung von „Cash for Work“-Arbeiterinnen und Arbeitern im Projekt „Waste to positive Energy“. Bei dem Training haben wir gelernt, was psychischer Stress für Auswirkungen im Alltag haben kann und wie Stressmanagement und Selbstfürsorge funktioniert. Es ging auch um die Rolle von Vorgesetzten bei der Unterstützung und Verbesserung des Arbeitsumfelds.

Was ist das Wichtigste, das Sie daraus mitgenommen haben?
Das Training hat mir persönlich in vielen Bereichen die Augen geöffnet. Mir wurde klar, welche Arten von Stress mir im Leben begegnen können und wie ich darauf reagieren kann. Auf professioneller Ebene habe ich gelernt, wie ich mit Menschen umgehen sollte, die traumatische Erfahrungen gemacht haben und Druck ausgesetzt sind, beispielsweise durch finanzielle Not und Todesfälle in der Familie.

Hat das Einfluss auf ihre Arbeit unter anderem mit Flüchtlingen aus Syrien?
Auf jeden Fall. Ich habe Schritt für Schritt gelernt, wie ich mit CfW-Arbeiterinnen und Arbeitern umgehen kann, die mit Stress und Schocksituationen konfrontiert sind. Ich höre mir ihre Probleme an, zeige auf professionelle Art und Weise Mitgefühl und suche mit ihnen nach Lösungen. So baue ich ihr Selbstvertrauen auf und stärke es. Und so wächst auch das Vertrauen zwischen uns. Wenn die psychosoziale Situation schwerwiegender ist, weiß ich jetzt auch, an welche Fachleute ich die Menschen vermitteln kann.

Frau Lechner, wie schätzen Sie die Erfahrungen von Rania Ahmed ein? Hat das Training sein Ziel erreicht?
Wir ermutigen Menschen wie Rania, die mit betroffenen Bevölkerungsgruppen arbeiten, darüber nachzudenken, wie das Projekt umgesetzt werden sollte und welche Rolle sie bei der Schaffung eines guten Umfelds spielen können. Wenn das gelingt, haben wir eine ganze Menge erreicht. Wir erwarten nicht, dass wir das tief in der jordanischen Gesellschaft verwurzelte Stigma gegenüber psychischen Belastungen mit ein paar Workshops und Gesprächen durchbrechen. Aber wir haben gelernt, dass die psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung aller am Projekt Beteiligten von Anfang an einbezogen werden sollte, da ein Nachjustieren im Laufe des Projektes kaum machbar ist.

Wie machen sich Veränderungen bemerkbar?
Ein erhöhtes Verständnis für psychosoziale Bedürfnisse und das Wissen über psychische Gesundheit wirken sich unter anderem auf die Kommunikation aus. Mitarbeiterinnen wie Rania kann das mehr Selbstvertrauen geben, um schwierige Situationen während des Projekts anzusprechen. Dadurch kann auch mehr Vertrauen auf beiden Seiten entstehen.

Was waren die Auslöser, die zu diesem erweiterten Ansatz geführt haben?
Kolleginnen und Kollegen aus den Cash for Work-Projekten der GIZ kamen 2017 auf uns zu, weil die Partner im Feld verständlicherweise damit überfordert waren, wenn ihnen Arbeiterinnen und Arbeiter von traumatischen Erfahrungen oder aktuellen Sorgen berichteten. Darauf wollten wir reagieren.

Johanna Lechner (29) ist Psychologin und arbeitet in Jordanien als Beraterin im Regionalvorhaben „Psychosoziale Unterstützung für Syrische und Irakische Geflüchtete und Binnenvertriebene“.

Wie würde ein Cash for Work-Projekt idealerweise aussehen, das die Aspekte psychischer Gesundheit und psychosozialer Unterstützung von Anfang an beinhaltet?
Das übergeordnete Ziel ist es, bei Arbeiterinnen und Arbeitern das Gefühl von Stabilität, Zukunftsperspektiven und sozialer Verbundenheit zu erreichen – und die Fähigkeit zu stärken, mit den schwierigen Lebensbedingungen zurecht zu kommen. Dies könnte durch längere Beschäftigungszyklen erreicht werden – auch für das Partnerpersonal. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es mindestens ein Jahr dauert, um Menschen, die Gewalt und Verlust erfahren haben, zu stabilisieren – so dass sie auch wieder Vertrauen ihre eigene Kraft und Fähigkeiten haben. Wichtig ist auch, die lokalen Gemeinden in die Projektziele einzubinden und Angebote zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts zu schaffen. Das Beispiel der Frauenkooperative für Kompostverpackung in Khaldije zeigt in die richtige Richtung.

April 2021