Gastbeitrag: Gesundheit

Mittel für Sicherheit

Wie wichtig Gesundheitsversorgung für alle ist, erklärt WHO-Generaldirektorin Margaret Chan.

Text
Margaret Chan

Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat die Welt einschneidende demografische und ökonomische Veränderungen erlebt. Unter anderem durch die schnelle und ungeplante Urbanisierung sowie steigende Einkommen hat sich der Lebensstil von Hunderten Millionen Menschen gewandelt.

Dieser Wandel hat Folgen: Höhere Einkommen haben mehr Menschen besseren Zugang zu medizinischen Diensten verschafft, aber auch zu einem eher sitzenden Lebensstil und einem höheren Konsum ungesunder Produkte geführt. Die Menschen leben länger, aber nicht unbedingt gesünder. Deshalb haben nicht übertragbare Krankheiten wie Herzleiden, Krebs und Diabetes weltweit die ansteckenden Krankheiten als häufigste Todesursache abgelöst. Das stellt die Gesundheitssysteme, von denen historisch viele darauf ausgelegt waren, mit den Folgen übertragbarer Erreger umzugehen, vor neue Herausforderungen. Auf diese neuen Muster müssen sich die Systeme einstellen, zumal sie höhere Kosten bedeuten. 

Wesentliches Element der Nachhaltigen Entwicklungsziele

Zugleich bleiben auch ansteckende Krankheiten eine Herausforderung: Der Ausbruch von Ebola hat allzu tragisch gezeigt, dass schwache Gesundheitssysteme nicht nur die Bevölkerung eines Landes gefährden, sondern ein Risiko für die ganze Welt darstellen können. Beim G7-Gipfel im Juni 2015 in Deutschland haben die Staats- und Regierungschefs ausdrücklich auf die wichtige Rolle gut funktionierender Gesundheitssysteme hingewiesen. Sie sind die erste Verteidigungslinie gegen ansteckende Krankheiten – und ein Bollwerk gegen Gesundheitsgefahren aller Art, seien sie verursacht durch Seuchen, Naturkatastrophen oder Konflikte. 

Im Jahr 2015 haben die UN-Mitgliedsstaaten „Gesundheitsversorgung für alle“ (universal health coverage, UHC) als einen von 169 Unterpunkten der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) definiert. Damit tragen sie der Tatsache Rechnung, dass die heutigen Probleme im Gesundheitswesen nicht mit Programmen zu lösen sind, die sich auf einzelne Krankheiten konzentrieren. Unter den SDGs zur Gesundheit ist UHC dasjenige, das – wenn es erreicht wird – alle anderen unterstützt. Denn Gesundheitssysteme, die auf eine starke Primärversorgung setzen, den Fokus auf Menschen statt auf Krankheiten richten und auf Bezahlung zum Zeitpunkt der unmittelbaren Versorgung verzichten, wirken positiv auf andere Gesundheitsziele.    

Förderlich für Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum

Doch eine universelle Gesundheitsversorgung lässt sich nicht durch ein Fingerschnipsen herbeizaubern. Dazu braucht es unter anderem besser ausgebildetes Gesundheitspersonal. Regierungen dürfen Arbeitskräfte im Gesundheitswesen daher nicht länger als reinen Kostenfaktor sehen, sondern sollten sie als lohnende Investitionen betrachten. Sie werden sich für die Gesundheit generell auszahlen, aber auch förderlich auf den Arbeitsmarkt, das Wirtschaftswachstum, die Sicherheit und auf die Stellung von Frauen wirken, die in manchen Ländern 75 Prozent des Gesundheitspersonals stellen. 

Starke Gesundheitssysteme, die eine Versorgung aller gewährleisten, sind kein Luxus reicher Länder; sie bilden das Fundament für fairere, sicherere und wohlhabendere Nationen. Aber man kann nicht erwarten, dass sie unsere Gesundheitsprobleme allein lösen. Die Regierungen müssen auch ein insgesamt gesundes Umfeld schaffen und die Ursachen chronischer Krankheiten bekämpfen. Schließlich ist Prävention nicht einfach nur besser als Heilung – sie kostet auch weniger. 

Margaret Chan ist seit 2006 Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation. Die in Hongkong geborene Ärztin macht sich vor allem für solide Gesundheitssysteme stark. 

aus akzente 3/16

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