Brandschutz in Brasilien
Löschen mit Feuer
Flug SLX6414 konnte nicht landen: „Heute morgen musste der Flugplatz schließen wegen Rauchschwaden, die von Buschfeuern aus dem Cerrado stammen.“ Meldungen wie diese aus Palmas im Bundesstaat Tocantins sind keine Seltenheit in Nord- und Zentralbrasilien, überall da, wo sich der Cerrado erstreckt. Der Cerrado, die trockene Baum- und Strauchsavanne, mit zwei Millionen Quadratkilometern sechsmal so groß wie Deutschland. Der Cerrado, durch dessen immer wiederkehrende Flächenbrände 40 Prozent der CO2-Emissionen Brasiliens entstehen.
Auf dem graugrünen Landmeer scheinen die Tafelberge wie düstere Schollen zu schwimmen, sie tauchen auf und gleiten unter den Horizont, je weiter die holprige Piste über die sandigen Bodenwellen führt. Nach vier, fünf gerüttelten Stunden Fahrt von Palmas in die Weiten des Cerrado ein paar Hütten: Mateiros, 3.000 Seelen nahe dem Tafelberg, den sie „Jalapinha“ nennen – nach der „Echten Wunderblume“ Mirabilis jalapa, deren Wurzelsud die Menschen hier gegen Bauchschmerzen trinken.
Rejane Ferreira Nunes stammt aus Mateiros. Heute ist sie verantwortlich für die Schutzzone Jalapão, zuvor hat sie in zahlreichen Umweltinitiativen gearbeitet. „Wir müssen die Natur schützen und sie zugleich nutzen“, das ist ihr Credo.
Treibhausgasemissionen reduzieren
Die Natur schützen: Brasilien hat sich verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um rund 40 Prozent zu reduzieren. Das geht nur, wenn die Flächenbrände im Cerrado kontrolliert und verhindert werden. Und da der Cerrado die weltweit artenreichste Savanne ist, ist hier Klimaschutz zugleich Artenschutz.
Doch wie kann das funktionieren? „Noch vor wenigen Jahren dachte man, es genüge, die Brände zu bekämpfen“, sagt Michael Scholze von der GIZ, der ein Projekt zur Kontrolle von Bränden im Cerrado leitet. „Das war wie bei Sisyphos und half nicht weiter. Denn jedes Mal, wenn die Brände ausgetreten worden waren, kamen sie mit vielfacher Wucht später wieder. Man sah sich zu einem regelrechten Feuermanagement gezwungen.“ Seit 2011 setzt die GIZ nun im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gemeinsam mit dem brasilianischen Umweltministerium einen innovativen Ansatz um.
Moderne Satellitentechnik einbezogen
„Es ist ein Paradigmenwechsel“, bestätigt der Biologe Francisco Oliveira. Im Umweltministerium leitet er die Abteilung zur Bekämpfung der Abholzung. Er fasst das neue Konzept in einem Satz zusammen: „Entweder kontrollieren wir das Feuer, oder das Feuer kontrolliert uns!“ Anders ausgedrückt: „Schlechtes“ Feuer soll durch „gutes“, kontrolliert gelegtes Feuer bekämpft werden. Dafür wird moderne Satellitentechnik einbezogen, die aktuelle Daten zu Bränden und Treibhausgasemissionen liefert. Die Feuer werden zu einer Jahreszeit gelegt, in der Bäume und Pflanzen noch nicht allzu trocken sind. So sollen unbeherrschbare Brände am Ende der trockenen Periode, wenn das Feuer viel mehr Nahrung findet, verhindert werden. Dadurch gibt es weniger Schäden in der Natur und weniger Emissionen.
Bildergalerie: Innovative Ansätze helfen, eine der größten Savannenlandschaften der Welt zu schützen.
Die Landschaft Jalapão heute: turmhohe goldgelbe Wanderdünen, kristallklare Wildwasser. Noch 2014 war die Gegend eine rußige Hölle: Fast der gesamte Park – mit 1.580 Quadratkilometern doppelt so groß wie Hamburg – wurde ein Opfer der Flammen. Die Brände hatten offenbar Bauern verursacht, die das Feuer für landwirtschaftliche Zwecke einsetzten. „Satellitenaufnahmen haben uns auf die Spur gebracht“, sagt Warley Rodrigues, ein früherer Parkmanager.
Siedler schaffen mit Bränden Weidegebiete
Kann man die Verursacher nicht bestrafen? Kann man nicht die Feuer im Cerrado verbieten? Genau das hat man jahrelang versucht – und ist gescheitert. Denn erstens hat es naturbedingt immer Feuer im Cerrado gegeben, etwa durch Blitzeinschläge. Zweitens nutzen die weit verstreuten Siedler das Feuer traditionell, um Platz für Weidegebiete mit frischer Vegetation zu schaffen. Drittens führt ein Feuerverbot im Laufe der Zeit nur zu immer größeren Mengen an Brennmaterial, das, einmal entzündet, riesige Feuerwalzen nährt. Viele Quadratkilometer Landschaft werden so innerhalb weniger Stunden zerstört. Auch an diesem Tag zeichnet sich am Horizont eine Rauchsäule ab. Gute drei Kilometer steigt sie in den blauen Himmel.
„Wir legen auch kontrollierte Feuer, um das Vieh zu lenken“, sagt Sabino Francisco Tavares. Die Hütte des Rinderhirten liegt an einem Bach, seinen Sohn fährt er täglich 30 Kilometer mit dem Motorrad zur Schule.
Der Cerrado als Lebensgrundlage
Tavares und seine „Nachbarn“, die verlorenen Segler im Landmeer Cerrado, kennen die verschiedenen Vegetationsstufen genau: von den Galeriewäldern an den Flussläufen über die feuchten Veredas-Senken bis zur offenen Savanne, auf der feuerresistente Bäume wie die „Hexenbesen“ stehen, und der Strauchsteppe, deren Dornbüsche nicht höher als einen Meter wachsen. Nicht nur für Hirten wie Tavares bildet der Cerrado die Lebensgrundlage. Viele Bewohner sammeln am Ende der Regenzeit das „Goldene Gras“, aus dem sie Körbe, Schachteln und Schmuck flechten und verkaufen.
Das Projekt zur Kontrolle der Brände vereint zwei Welten: die Welt der Siedler mit ihrem Erfahrungsschatz und die Welt der neuesten Technik, vor allem der Satellitenbeobachtung. Über die Satelliten und die in das Projekt eingebundene brasilianische Weltraumbehörde INPE kann man fast in Echtzeit detaillierte Karten herunterladen. Die Satelliten unterscheiden zwischen alter und junger Vegetation, berücksichtigen die jeweiligen Kohlenstoffmengen, die klimatischen Parameter sowie die Form der Landschaft und beziehen Vergleichswerte ein.
Behörden für Naturschutz und viele andere Partner
Die Karten sind Grundlage für die Entscheidung, wo Feuer gelegt werden. Sie spielen auch bei den Gesprächen mit den Siedlern eine Rolle, die in das Vorgehen einbezogen werden. „Wir waren erst misstrauisch gegenüber den Gringos“, sagen Tavares und andere. „Dann haben wir gesehen, dass wir voneinander lernen können. Deshalb arbeiten wir jetzt zusammen.“ Sie fühlen sich anerkannt – und es gibt weniger Konflikte zwischen Parkmanagement, Feuerwehr und Gemeinden. Gut ein Dutzend Partner sind an dem Projekt beteiligt: die Umwelt- und Naturschutzbehörden von Staat und Bundesstaaten, die Gemeinden, schließlich die Verwaltungen der Nationalparks, Schutzzonen und Biosphärenreservate.
Rejane Ferreira Nunes, die Umweltaktivistin, sieht eine ihrer Hauptaufgaben darin, zwischen den Interessengruppen zu vermitteln. Das betrifft auch den Einsatz der „Brigadistas“ – der Feuerbrigaden, von denen Mateiros 13 stellt und der Jalapão-Park selbst 15 hat. Insgesamt hat die GIZ mehr als 1.200 Angestellte der Feuerbrigaden, Landwirte und Aktivisten geschult. Warley Rodrigues, der seine Erfahrungen in das Projekt einbringt, erzählt: „Als mich meine früheren Kollegen vom Parkmanagement fragten, was ich bei den Deutschen treibe, sagte ich: Ich lösche, weil ich Feuer lege! Die haben mich für total verrückt erklärt.“
> Ansprechpartner: Michael Scholze michael.scholze@giz.de
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SCHUTZ DER SAVANNE
Projekt: Prävention und Kontrolle von Bränden im Cerrado
Land: Brasilien
Auftraggeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Politischer Träger: Brasilianisches Umweltministerium
Laufzeit: 2011 bis 2017