Reportage Beschäftigung

Lernen fürs Leben

Die Jugendarbeitslosigkeit in Tunesien ist hoch. Ein Bündnis sorgt für die richtige Qualifikation junger Leute und damit eine Perspektive in der Heimat.

Text
Philipp Hedemann
Fotos
Thomas Imo

Zufrieden begutachtet Salha Dellala die Arbeit einer Schneiderin im Trainingszentrum des Textilherstellers Sartex.
Zufrieden begutachtet Salha Dellala die Arbeit einer Schneiderin im Trainingszentrum des Textilherstellers Sartex.

Konzentriert mustert Salha Dellala die Naht und zerrt mit aller Kraft am Hosenbein – dann lächelt sie. „Sehr gut. Das ist genau die Qualität, die wir für den Export brauchen“, lobt sie die Schneiderin, die die Jeans zusammengenäht hat. „Weiter so!“ Dellala ist Ausbilderin im Trainingszentrum des tunesischen Textilherstellers Sartex. In der Halle sitzen 150 junge Frauen und einige Männer an Nähmaschinen und lernen, wie man Hosen, Hemden und Röcke näht. Nach Abschluss ihrer Ausbildung will Sartex alle Azubis übernehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) das Ausbildungszentrum und zahlreiche Start-ups. Sieben Jahre nach der Revolution sollen so die einheimische Wirtschaft und die junge Demokratie gestärkt werden. 

Von der Beschäftigungsinitiative profitiert auch Salem Fadhloun. Dabei sah der 25-Jährige noch vor kurzem keine Zukunft für sich – zumindest nicht in seinem Heimatland. Schon zwei Mal versuchte er, an Bord eines Schlepperbootes nach Europa zu fliehen, zwei Mal scheiterte der Plan. Beide Male verlor Fadhloun all sein Erspartes. Heute ist er als Näher bei Sartex angestellt und denkt nicht mehr daran, sein Glück auf der anderen Seite des Mittelmeers zu suchen. „Ich habe hier eine gute Ausbildung erhalten und einen sicheren Job. Außerdem habe ich bei der Arbeit meine Frau Haifa kennengelernt. Vor sechs Monaten kam unser Sohn Zakaria zur Welt. Für mich gibt es nun wirklich keinen Grund mehr, mein Leben auf der Flucht zu riskieren“, sagt der junge Vater. 

„Für mich gibt es nun wirklich keinen Grund mehr, mein Leben auf der Flucht zu riskieren.“

Salem Fadhloun, Näher

Vor allem auf dem Land fehlen Jobs

Doch in der Hoffnung, fern der Heimat gute Arbeit zu finden, steigen nach wie vor junge Tunesier in Schleuserboote. Viele von ihnen kommen aus ländlichen Regionen. In manchen Gegenden ist jeder zweite junge Erwachsene arbeitslos. Zugleich gibt es auf dem tunesischen Arbeitsmarkt offene Stellen, für die tunesische und ausländische Arbeitgeber kein qualifiziertes Personal finden. Auch die Firma Sartex, die in der Nähe der Küstenstadt Monastir unter anderem Kleidung für Hugo Boss, Ralph Lauren, Yves Saint Laurent, Lacoste und Calvin Klein herstellt, suchte händeringend geeignete Mitarbeiter. Schließlich entschied das Unternehmen mit 3.400 Mitarbeitern, ein eigenes Trainingszentrum zu gründen. Sartex hat dafür inzwischen rund 1,5 Millionen Euro investiert. Das BMZ förderte das Projekt bis Mitte 2016 mit Beratungsleistungen im Wert von rund 200.000 Euro. 

Auch Salem Fadhloun hat bei Sartex Arbeit gefunden 
Auch Salem Fadhloun hat bei Sartex Arbeit gefunden 

„Die Curricula der staatlichen Berufsschulen stammen oftmals noch aus den 1960er Jahren und passen nicht mehr zu den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes. Darum unterstützen wir unsere tunesischen Partner wie Sartex in der praktischen und theoretischen Berufsausbildung“, sagt Tobias Seiberlich von der GIZ, der das Programm „Fonds zur Qualifizierung und Beschäftigungsförderung Jugendlicher“ leitet. 

Als Krankenpfleger nach Wiesbaden

Auch das im März 2017 von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller eröffnete „Deutsch-Tunesische Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration“ in der Hauptstadt Tunis unterstützt Tunesier bei der Suche nach einem passenden Arbeitgeber. Mehr als 1.500 Männer und Frauen haben die von der GIZ und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundes­agentur für Arbeit gegründete Einrichtung bereits besucht. Allerdings: „98 Prozent unserer Besucher interessieren sich zunächst für legale Migrationsmöglichkeiten nach Deutschland“, sagt Projektleiterin Aylin Türer-Strzelczyk.

IN ZAHLEN

 

4.400 Männer und Frauen haben durch den Fonds Arbeit gefunden.

5.700 Menschen erhielten eine Aus- und Weiterbildung.

200 Unternehmer wurden bei der Start-up-Gründung unterstützt.

Chancen auf ein Arbeitsvisum haben jedoch nur Tunesier, die einen Beruf gelernt haben, in dem Deutschland gerade Fachkräfte sucht – Krankenpfleger zum Beispiel. 18 tunesische Pflegerinnen und Pfleger hat das Beratungszentrum bislang auf ihren Einsatz in Deutschland vorbereitet. Mounir Ben Abdallah ist einer von ihnen. Seit acht Monaten lernt der Pfleger aus Tunis bereits Deutsch. Mitarbeiter des Migrationszentrums haben ihm geholfen, zahlreiche Formulare auszufüllen und einen Job in einem Krankenhaus in Wiesbaden zu finden. Bald wird Abdallah dort seinen Dienst antreten. „Ich freue mich sehr darauf, in einem deutschen Krankenhaus viel Neues zu lernen. Und die Bezahlung ist auch gut“, sagt der 28-Jährige.

Zukunftsjob in Tunesien: Social-Media-Manager

Das Beratungszentrum arbeitet eng mit dem von der GIZ und der Deutsch-Tunesischen Industrie- und Handelskammer aufgebauten „Zentrum für berufliche Orientierung, Vermittlung und Umschulung“ (CORP) zusammen. So soll auch jenen Besuchern weitergeholfen werden, die keine Aussicht auf einen Job in Deutschland und bisher nicht die richtigen Qualifikationen für eine Beschäftigung in Tunesien haben. „In Tunesien suchen viele Unternehmen unter anderem Community-Manager für ihre Social-Media-Kanäle, Techniker oder Personaler. Aber die gibt es bislang kaum auf dem Arbeitsmarkt“, sagt CORP-Direktor Youssef Fennira. „Mit unseren personalisierten Umschulungsprogrammen helfen wir, diese Lücke zwischen Nachfrage und Angebot zu schließen. Mehr als 1.000 unserer Absolventen haben so bereits einen festen Job gefunden.“ 

aus akzente 3/18

 

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