Klimawandel in Costa Rica
Im Schutz des Küstenwaldes
Mit der langen Klinge einer Machete zerteilt Francisca Gutierrez Reyes eine handtellergroße weiße Herzmuschel. Piangua nennt man sie hier, auf der Halbinsel Nicoya an der Pazifikküste von Costa Rica. Geschickt hebelt die kleine Frau die Schalen auseinander und hält die aufgeklappten Hälften in die Höhe. Gutierrez Reyes, die von ihren Nachbarn nur „Doña Panchica“ genannt wird, hat die Piangua am Strand gesammelt. Das wettergegerbte Gesicht der 52-Jährigen verrät, dass sie viel Zeit im Freien verbringt. Bisher war ihr Ziel dabei häufig der Strand, aber seit kurzem ist es vor allem ihr eigener kleiner Betrieb, in dem sie Mangroven zieht.
Die Baumschule liegt im Schatten einiger hoher Bäume, direkt nebenan suhlen sich vier große Schweine im Dreck. Es gibt keine Wände und kein festes Dach, stattdessen spannt sich eine grüne Stoffplane über zwei lange Reihen aus Holzpaletten. Darauf drängen sich die zarten Sprösslinge der Mangroven aneinander. Sie sollen zu mächtigen, schützenden Bäumen heranwachsen.
Treibhausgase reduzieren
Sobald Gutierrez Reyes’ Setzlinge eine bestimmte Größe erreicht haben, werden Mitarbeiter eines Aufforstungsprojekts sie in den schweren, feuchten Boden der Halbinsel Nicoya pflanzen. Costa Rica will auf diesem Weg seine Küste schützen und die Klimabilanz verbessern. Schon heute ist das mittelamerikanische Land besonders ehrgeizig, wenn es darum geht, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren: Bis 2021 will es klimaneutral sein. Um das zu schaffen, braucht es Projekte wie das auf Nicoya. Rund 5.000 Mangroven sollen hier pro Hektar gesetzt werden. Einige Hundert Bäume dafür werden von Gutierrez Reyes kommen. „Ich werde die Mangroven an Fundecodes verkaufen“, sagt sie. Fundecodes ist eine lokale Umweltschutzorganisation, die beim Aufforsten auf Helfer wie Gutierrez Reyes setzt.
Die Mangroven verschaffen ihr ein dringend nötiges zusätzliches Einkommen – ansonsten lebt sie von Muscheln, Krebsen und Garnelen, die sie an der Küste einsammelt und gegen andere Waren tauscht. Gutierrez Reyes und die meisten ihrer Nachbarn gehören zu den rund 20 Prozent der Costa-Ricaner, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Das Ende des Jahres 2014 begonnene Mangrovenprojekt hat deshalb neben dem Küsten- und Klimaschutz noch ein weiteres Ziel: die Einkommenschancen der Menschen in der Region zu verbessern. Rund 300 Familien werden davon profitieren.
Anstieg des Meeresspiegels und Versauern der Ozeane
Wie fast jeden Morgen hat Gutierrez Reyes auch an diesem Tag Muscheln in den nahe gelegenen Mangrovengebieten gesammelt. Hier stehen kaum noch Bäume, denn der Mensch hat mit seinem Raubbau über viele Jahre die Landschaft brutal verändert. Es fing an mit den künstlichen Lagunen, die Salzbauern einst anlegten, um Tausende Tonnen Salz aus dem Meer zu gewinnen. Doch seit den 1980er Jahren lohnt sich das Geschäft mit dem Salz kaum noch und die Salzbauern gaben eine Saline nach der nächsten auf. An ihrer Stelle entstanden zahlreiche Shrimpfarmen, denen weitere Wälder am Wasser weichen mussten. Vor einigen Jahren schließlich verbot die Regierung das Abholzen der Mangroven. Doch neue wurden bislang auf Nicoya kaum gepflanzt – genau das soll sich nun ändern.
Die costa-ricanischen Behörden wollen einen Teil der auf Nicoya zerstörten Mangrovenwälder wiederherstellen – mit Unterstützung aus Deutschland. Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit begleitet die GIZ das mittelamerikanische Land dabei, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen: Wie seine Nachbarstaaten fürchtet auch Costa Rica einen Anstieg des Meeresspiegels, das Versauern der Ozeane und veränderte Wetterbedingungen. Schon jetzt klagen die Menschen auf Nicoya, dass die Trockenzeit immer länger dauere und die Regenperiode später beginne als noch vor einigen Jahren.
Mit grünem Tourismus zum ökologischen Musterland
Die Mangroven spielen eine herausragende Rolle in Costa Ricas Bemühungen, denn sie sind perfekt an die Küstenregion angepasst. Mangroven treiben weitverzweigte Wurzeln in den Boden. Darüber hinaus bieten sie zahlreichen Tieren einen geeigneten Lebensraum: In den oft von Salzwasser überfluteten Wäldern laichen Fische, auch Muscheln und Krabben siedeln sich an.
Mehr als die Hälfte des Landes ist heute bewaldet. Noch 1987 war es lediglich ein Fünftel. Auch das Umweltbewusstsein hat in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen, nicht zuletzt, weil Costa Rica vom „grünen Tourismus“ profitiert. Heute gilt es aus ökologischer Sicht als Musterland Mittelamerikas. Andere Staaten in der Region tun weniger für den Erhalt der Natur. In El Salvador beispielsweise sind nur noch 13 Prozent der Landesfläche bewaldet.
Partner aus der Wirtschaft für ambitionierte Ziele
Trotz der Erfolge bei der Rückkehr des Waldes will die Regierung in der Hauptstadt San José die grüne Fläche noch auf bis zu 60 Prozent steigern. Denn ohne die Wälder kann Costa Rica sein ambitioniertes Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen. Und weil Mangroven bis zu 40 Prozent mehr Kohlendioxid speichern als Bäume in einem üblichen, trockenen Wald, wird auch die Halbinsel Nicoya einen entscheidenden Teil dazu beitragen, dass Costa Rica 2021 genauso viele CO2-Emissionen bindet wie ausstößt.
Bei der Aufforstung auf der Halbinsel haben die deutschen Experten eng mit der Umweltschutzorganisation Fundecodes zusammengearbeitet, sie haben deren Mitarbeiter geschult und sie beim Erstellen von Finanzplänen beraten. Nun wird Fundecodes das erfolgreich angelaufene Mangrovenprojekt mit der nationalen Behörde für die Schutzgebiete selbstständig fortführen.
Bildergalerie: Mit Mangroven gegen die Folgen des Klimawandels in Costas Rica.
Zusammen mit der Behörde hat das deutsche Bundesunternehmen Managementpläne für 17 Meeres- und Küstenschutzgebiete entwickelt. Erstmals beinhalten diese eine Anpassung an den Klimawandel. Ein Viertel der Fläche Costa Ricas steht bereits unter Naturschutz, doch gerade an der Küste und bei den Gewässern gibt es noch Handlungsbedarf. Rund 9.800 Quadratkilometer hat die Regierung bereits als maritime Schutzgebiete ausgewiesen, weitere 3.500 sollen demnächst folgen.
Um die Pläne umzusetzen, braucht Costa Rica weiterhin Unterstützung, vor allem bei der Finanzierung. Rund 100 Millionen Dollar sind nötig. Die Hälfte der Summe bringt das Land allein auf, den Rest sollen private Partner übernehmen.
Langfristig engagiert für Umwelt und Geschäft
„Es gibt eine große Finanzierungslücke“, sagt Michael Schlönvoigt von der GIZ, die Mitarbeit der Privatwirtschaft werde dringend gebraucht. Für das Pflanzen der Mangroven auf Nicoya hat die deutsche Firma Ristic die Finanzierung übernommen. Das Unternehmen exportiert Bioshrimps aus Costa Rica nach Deutschland und in die Vereinigten Staaten. Es hat zahlreiche Shrimpsanbauer auf Nicoya unter Vertrag, deren Farmen genau dort liegen, wo früher Mangroven standen. Beim Aufforsten geht es dem Unternehmen aus Bayern um den Umweltschutz, aber auch ums Geschäft: Das Projekt wird als ökologischer Ausgleich für die Shrimpsproduktion anerkannt, und dies wiederum ist erforderlich für die Biozertifizierung.
Zunächst engagiert sich das Unternehmen mit 50.000 US-Dollar. Damit werden zehn Hektar Mangrovenwald wiederhergestellt. Ristic hat bereits angekündigt, in den kommenden 20 Jahren in Costa Rica weitere 100 Hektar aufzuforsten und dafür zusätzliche 450.000 Dollar zu investieren. Die Firma setzt darauf, weitere engagierte Partner aus dem deutschen Einzelhandel für dieses Anliegen zu gewinnen.
Lebensraum und Schutzwall zugleich
Dann dürfte die kleine Baumschule von Francisca Gutierrez Reyes nicht der einzige Betrieb bleiben, der Mangroven zieht. Die Kleinunternehmerin macht sich gerade auf den Weg zu dem Gebiet, wo bald ihre Bäume stehen werden. In schlammverschmierten Gummischuhen versinkt sie bis zum Knöchel im weichen Boden. Über den huschen unzählige braune Krebse, die ihre großen rechten Scheren nach oben strecken. Sie flitzen in kleine Löcher, sobald sich die Schuhe von Gutierrez Reyes nähern. Hier sollen demnächst die kleinen Mangroven aus ihrer Baumschule eingepflanzt werden.
Klimaschutz bleibt für Gutierrez Reyes zwar ein etwas abstrakter Begriff. Doch sie weiß, dass die Mangroven ihre Familie vor Sturmfluten und anderen Gefahren der See schützen und „den Segen des Meeres bringen“. An den Wurzeln der Bäume finden sich schließlich die meisten Muscheln. Mehr Mangroven bedeuten auch mehr Pianguamuscheln. Mit einem Spritzer Zitrone sind diese „einfach köstlich“, sagt Reyes. „Und sehr gesund.“ Sie hofft, dass sie Nicoya wieder als das grüne Paradies erleben wird, das es einmal war – bedeckt von Tausenden Mangroven.
Ansprechpartner: Michael Schlönvoigt > michael.schloenvoigt1@giz.de
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FÜR MENSCH UND KLIMA
Projekt: Nachhaltige Landbewirtschaftung
Land: Costa Rica
Auftraggeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Politischer Träger: Nationale Schutzgebietsbehörde des costa-ricanischen Ministeriums für Umwelt und Energie
Laufzeit: 2010 bis 2015