Kampf gegen Gewalt
Eine App für mehr Sicherheit
Es waren sehr viele und ihre Botschaft war nicht zu überhören. „Schluss mit der Gewalt!“ stand auf den Plakaten. Im August 2016 demonstrierten in Perus Hauptstadt Lima Zehntausende Menschen gegen Frauenmorde und eine ihrer Ansicht nach sexistische Macho-Gesellschaft, in der Täter mit milden Strafen davon kommen. Nicht nur Präsident Pedro Pablo Kuczynski marschierte mit, auch zahlreiche Unternehmen unterstützten den Protestzug. Dass in Peru und anderen lateinamerikanischen Staaten mittlerweile der Privatsektor bei dem Thema Farbe bekennt, ist auch dem Programm ComVoMujer zu verdanken. Der Name steht für „Combatir la violencia contra las mujeres” („Gewalt gegen Frauen bekämpfen”). Das Programm wurde 2010 ins Leben gerufen und läuft in Ecuador, Bolivien, Paraguay und Peru.
Zum einen werden über ComVoMujer staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure miteinander vernetzt und Informationen über besonders erfolgreiche Projekte zwischen den Partnerländern ausgetauscht. Zum anderen geht es darum, die örtlichen Unternehmen mit ins Boot zu holen. Das ist dringend nötig: Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass weltweit knapp 30 Prozent aller Frauen physischer oder sexueller Gewalt durch ihren Partner ausgesetzt sind. „Insbesondere in Lateinamerika ist diese Gewalt im Alltag überall präsent und das traditionelle Machtgefälle zwischen den Geschlechtern immer noch groß, was wiederum der Gewalt an Frauen Vorschub leistet“, sagt ComVoMujer-Programmleiterin Christine Brendel. Rechnet man psychische Gewalt und Gewaltausübung mit wirtschaftlichen Druckmitteln hinzu, so Brendel, dann sind in Teilen Lateinamerikas rund 60 Prozent aller Frauen betroffen.
Folgen für die Wirtschaft
Wie soll man gegen ein so weitreichendes und komplexes gesellschaftliches Problem vorgehen? Und vor allem: Wie kann man Unternehmen zur Mithilfe motivieren? „Anfangs mussten wir hohe Hürden überwinden“, berichtet Brendel. Zwar belegen zahlreiche Untersuchungen, dass Frauen, die zu Hause Gewalt erfahren, öfter krank sind und schneller den Job wechseln. Doch das sind nicht die einzigen negativen Folgen. In Zusammenarbeit mit der Universität San Martín de Porres in Lima befragte die GIZ Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. „Was uns wirklich überrascht hat: Die Auswirkungen der Gewalt waren bei beiden Geschlechtern zu beobachten.“ Nicht nur die Leistungsfähigkeit einer seelisch oder körperlich verletzten Frau lässt deutlich nach. Auch ein aggressiver Mann ist kein produktiver Mitarbeiter. „Wir konnten belegen, dass gewalttätige Männer öfter Unfälle bauen und ihre Arbeitszeit dazu nutzen, ihre Partnerinnen zu kontrollieren. Außerdem haben sie mehr Fehlzeiten.“ Auch Täter, so das Fazit, kosten die Unternehmen viel Geld.
Diese Zahlen ließen die Wirtschaft Lateinamerikas aufhorchen. „Die Studien waren der Türöffner“, sagt Brendel. Seitdem setzen sich viele Firmen für die Prävention von Gewalt an Frauen ein. „Mit über 100 Unternehmen haben wir direkt zusammengearbeitet und weitere 400 – etwa Subunternehmen und Zulieferer – indirekt erreicht.“ Immer geht es um zwei Aspekte: Sensibilisierung nach innen, Flagge zeigen nach außen. Die Firmen schulen ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und schaffen Strukturen, die Gewalt gegen Frauen zu erkennen und zu verhindern helfen. Außerdem positionieren sich die Unternehmen deutlich sichtbar in der Öffentlichkeit. So ließen Wasserversorgungsunternehmen aus allen vier Partnerländern Anti-Gewalt-Slogans auf ihre Kundenrechnungen drucken. 16,5 Millionen Haushalte wurden damit erreicht. Ähnliche Kampagnen gab es von Blumenfarmen. In einem holzverarbeitenden Unternehmen entwickelte die männliche Belegschaft sogar ein Theaterstück zum Thema.
Verschlüsselter Hilferuf
Im Idealfall findet jede Branche einen eigenen Weg, um das Thema in den Fokus zu rücken. So wie die nationale Telefongesellschaft Ecuadors, CNT: In Zusammenarbeit mit der GIZ hat CNT die App Junt@s („Gemeinsam“) entwickelt, die Frauen in Notsituationen helfen soll. Mit wenigen Klicks kann das Smartphone zum Lebensretter werden – etwa, indem die App einen verschlüsselten Hilferuf an Freunde oder Familienmitglieder sendet. Ein Tippen führt direkt zur 911, der allgemeinen Notfallzentrale.
Die App beinhaltet auch zwei Selbsttests – einer richtet sich an Frauen, der andere an Männer. „Wenn du wütend auf deine Partnerin bist, schlägst du dann auf Gegenstände ein oder zerstörst sie?“, werden die männlichen Nutzer zum Beispiel gefragt. Frauen sollen einschätzen, inwieweit sie noch selbstbestimmt sind: „Gibst du seinen sexuellen Wünschen vor allem aufgrund von Angst oder Druck seinerseits nach?“ Manchmal wissen die Betroffenen nicht einmal, dass das, was mit ihnen geschieht, menschenrechtswidrig und gesetzlich verboten ist. Da können die klaren Aussagen der App helfen: „Deine Beziehung ist durch schwere Misshandlungen gekennzeichnet. Dein Partner ist auf jeden Fall gewalttätig. Nach den Misshandlungen entschuldigt er sich bei dir und verspricht, dass es nie wieder passieren wird. Aber wir raten dir: Such‘ dir dringend Hilfe!“
Diskret und datensparsam
Wie viele Frauen die Junt@s-App seit dem Start im Frühjahr 2016 genutzt haben, weiß Christine Brendel nicht. Aus gutem Grund: Die App arbeitet diskret und datensparsam. „Wir wollen, dass die Nutzung so anonym wie möglich erfolgen kann.“ Misstrauische Männer sollen auf dem Handy ihrer Partnerinnen keine verdächtigen Anrufe oder SMS zurückverfolgen können. Ein weiterer kluger Schachzug der technischen Entwickler: Die App ist auf jedem der von CNT verkauften Smartphones vorinstalliert. So kommt keine Frau in Erklärungsnöte bei der Frage, warum sich das Programm überhaupt auf ihrem Handy befindet.
Auch in Zukunft will ComVoMujer Unternehmen mit großen Kundenstämmen gewinnen. Sie eignen sich perfekt als Multiplikatoren. Durch die vielseitige Erwähnung wird das Thema ins öffentliche Bewusstsein gerückt – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur tiefgreifenden Verhaltensänderung.
> Ansprechpartner: Christine Brendel Christine.Brendel@giz.de
Dezember 2016