Interview: Gesundheit

„Die jungen Menschen erreichen“

Latanya Mapp Frett von Planned Parenthood Global über das Recht auf Familienplanung

Latanya Mapp Frett (Foto: John Mims)
Latanya Mapp Frett (Foto: John Mims)

Nach dem Willen der internationalen Gemeinschaft sollen alle Menschen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln haben. Warum ist das Ziel noch nicht erreicht?
Tatsächlich haben hunderte Millionen Menschen keinen Zugang zu Verhütungsmitteln, obwohl sie gerne welche nutzen würden. Warum? Meiner Ansicht nach ist ein Mangel an Führungsstärke und Engagement der Grund. Reproduktive Gesundheit ist hauptsächlich ein Frauenthema. Und Frauenthemen stehen meist ganz unten auf der Prioritätenliste. Obwohl es in den vergangenen zwei Jahrzehnten viele Fortschritte gab, haben wir es bei Verhütungsmitteln immer noch mit Gender-Ungleichheit und Ausgrenzung zu tun. Arme Frauen sind am stärksten betroffen.

Es ist also keine Frage der Logistik?
Wenn Sie mir diese Frage vor zehn Jahren gestellt hätten, hätte ich anders geantwortet. Heute wissen wir, dass wir alle Menschen erreichen können. Wir könnten jeden versorgen, wenn die Prioritäten richtig gesetzt wären und wir die nötigen Ressourcen hätten – in den Ländern selbst und auch innerhalb der Gebergemeinschaft. Doch wir beobachten, dass dem Thema derzeit etwas weniger Bedeutung beigemessen wird als früher, zum Beispiel in der Europäischen Union.

Kulturelle Hürden überwinden

Wo gibt es den größten Nachholbedarf?
In den Entwicklungsländern, besonders in Subsahara-Afrika und Teilen von Südost­asien. Wir sehen nach wie vor kulturelle Hürden, die es zu überwinden gilt. Frauen auf der ganzen Welt haben diese Barrieren bereits durchbrochen. Es sind die Familien, Gemeinden und Regierungen, die manchmal noch hinterherhinken, obwohl wir – das möchte ich betonen – in den vergangenen Jahren weit gekommen sind. In Indonesien etwa nutzt schon mehr als die Hälfte aller Frauen im gebärfähigen Alter Verhütungsmittel – Tendenz steigend. 

Frauen weltweit haben also Interesse an Geburtenkontrolle, unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund?  
Definitiv – Frauen überall auf der Welt wollen moderne Verhütungsmittel nutzen. Sie möchten diese Entscheidungsfreiheit haben, weil sie wissen, welche Auswirkung Schwangerschaften und Geburten auf ihr Leben haben können.

In vielen Ländern sind Schwangerschaften immer noch riskant

In welchem Teil der Bevölkerung sehen Sie die größte Versorgungslücke? 
Bei den Jugendlichen. Sie kommen selten an Verhütungsmittel, und das gerade in der Zeit, in der sie beginnen, über Sexualität nachzudenken. Wenn wir sie nicht früh genug erreichen, werden junge Frauen schwanger, bevor sie erwachsen sind, die Schule beenden und etwas lernen können. Zudem sind frühe Schwangerschaften besonders gefährlich. Wir brauchen deshalb mehr Aufklärung und Vorsorge für Mädchen.

Welche Folgen hat dieser Mangel? 
Dem Wunsch von Frauen nach Verhütungsmitteln nicht zu entsprechen, bedeutet erstens, dass man ihnen das Grundrecht verweigert, über die Zahl ihrer Kinder selbst zu entscheiden. Zweitens bedeutet es eine große Gefahr: In vielen Ländern sind Schwangerschaften immer noch sehr riskant. Mütter und Babys sterben aus Gründen, aus denen sie im 21. Jahrhundert nicht mehr sterben sollten. 

Digitale Angebote ausbauen

Kann die Digitalisierung Fortschritte bringen, auch in armen Ländern?
Ja, mit neuen Technologien können wir mehr Menschen erreichen. Planned Parenthood Global hat gemeinsam mit dem Bevölkerungsprogramm der Vereinten Nationen „Global Mobile“ ins Leben gerufen. Das Angebot versorgt vor allem Jugendliche mit mehr und besseren Informationen, indem es sie dort anspricht, wo sie online aktiv sind. Wir müssen digitale Angebote ausbauen, um das große Ziel zu erreichen. 

Wie lange wird es dauern, bis wirklich jeder Mensch Zugang zu Verhütungsmitteln hat? 
Ich denke, wir können es bis zum Jahr 2030 schaffen – so wie es die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vorsieht.

Latanya Mapp Frett, US-amerikanische Expertin für internationale Politik und Entwicklungszusammenarbeit. Ihre Karriere begann bei den Vereinten Nationen.

Interview: Friederike Bauer

aus akzente 3/16

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