Interview

„Afrika und Europa brauchen einander“

Jutta Urpilainen aus Finnland ist seit Dezember 2019 Europäische Kommissarin für Internationale Partnerschaften. Sie möchte die Beziehungen zu Afrika auf eine neue Ebene heben und steht kurz vor dem Abschluss einer neuen Vereinbarung mit Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifischen Raums, die "Post-Cotonou-Abkommen" genannt wird.

Text
Interview: Friederike Bauer

Frau Urpilainen, in den vergangenen Monaten hat sich die Aufmerksamkeit der EU sehr stark auf die Corona-Krise gerichtet. Was bedeutet das für die anderen Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit? Gibt es Themen, denen weniger Priorität eingeräumt wird?
Die Pandemie verbrauchte in den letzten Monaten einen großen Teil unserer Energie. Wir hatten Anfang März gerade erst einen Vorschlag für eine neue EU-Afrika-Strategie vorgelegt – dann kam Covid-19. Als wir erkannten, dass daraus eine Pandemie mit weitreichenden Folgen auch für unsere Partnerländer werden würde, schnürten wir ein Hilfspaket für sie. Es hat einen Umfang von rund 36 Milliarden Euro und ist ein starkes Zeichen der Solidarität. Wir setzen dieses Paket gerade um. Aber das heißt nicht, dass wir die anderen Themen der Entwicklungsagenda vernachlässigt haben.

Jutta Urpilainen, EU-Kommissarin für Internationale Partnerschaften
Jutta Urpilainen, EU-Kommissarin für Internationale Partnerschaften

Das Budget für außenpolitisches Handeln ist im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen allerdings niedriger ausgefallen als ursprünglich geplant, richtig?
Der Vorschlag der Kommission lag tatsächlich höher. Die Staats- und Regierungschefs haben diese Entscheidung beim Gipfel im Juli getroffen. Derzeit wird der Haushalt im Europäischen Parlament verhandelt, und ich weiß, dort gibt es eine Menge Unterstützung dafür, unsere Haushaltslinie zu vergrößern. Wir werden sehen, was am Ende herauskommt. Dennoch würde ich sagen, dass wir auch mit dem gegenwärtigen Plan von fast 100 Milliarden Euro über die nächsten sieben Jahre einen substantiellen Betrag für Entwicklungsprogramme zur Verfügung haben.

Das heißt, Sie können auch so immer noch sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit leisten?
Auf jeden Fall. Auch wenn unsere Partnerländer jetzt vor größeren Herausforderungen stehen: Denn Covid-19 macht es ihnen noch schwerer, die Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen. Ihr Bedarf an Unterstützung steigt.

„Wir haben die gleichen globalen Herausforderungen zu bewältigen, etwa beim Klimawandel oder der Digitalisierung.“

Sie haben die EU-Afrika-Strategie bereits erwähnt. Einmal abgesehen von der geografischen Nähe – warum ist Afrika so wichtig für Europa?
Afrika ist tatsächlich unser nächster Nachbar und unser wichtigster Partner, denn wir haben die gleichen globalen Herausforderungen zu bewältigen, etwa beim Klimawandel oder der Digitalisierung. Darum wollen wir die Geber-Empfänger-Beziehung aufbrechen und mit Afrika eine Partnerschaft auf Augenhöhe aufbauen. Das spiegelt sich auch im geänderten Namen meines Ressorts wider, das jetzt „Internationale Partnerschaften“ heißt. In der neuen EU-Afrika-Strategie haben wir fünf Schlüsselbereiche für eine engere Zusammenarbeit identifiziert: grüne Transformation und Energieversorgung, Digitalisierung, nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, Frieden, Sicherheit und Governance, Migration und Mobilität.

Ist diese Strategie auch eine Reaktion auf die Aktivitäten anderer Mächte in Afrika?
Afrika ist tatsächlich ein geopolitischer Schauplatz; viele (Super-)Mächte sind hier präsent. Aber es ist mehr: Afrika und Europa haben gleiche Wertvorstellungen und teilen die Auffassung, dass internationale Zusammenarbeit und Multilateralismus wichtig sind. Vor diesem Hintergrund würde ich sagen: Afrika und Europa brauchen einander wirklich.

Dennoch ist der EU-AU-Gipfel, auf dem diese Strategie verabschiedet werden sollte, verschoben worden…
Der Gipfel war für Ende Oktober geplant. Wegen Covid-19 haben wir gemeinsam entschieden, ihn auf das nächste Jahr zu verschieben. Aber unsere Arbeit geht weiter, wir wollen die Dynamik aufrechterhalten und die Beratungen fortsetzen, an konkreten Ergebnissen arbeiten, die nächstes Jahr zur Annahme einer gemeinsamen Schlussfolgerung führen können.

Gibt es dafür schon einen Termin?
Noch nicht, die Lage ist wegen der Pandemie immer noch unsicher.

„Die Strategie kommt gut an, vor allem wegen dieses Geistes einer Partnerschaft auf Augenhöhe.“

Sie haben erläutert, warum Europa Afrika als wichtigen Partner betrachtet. Wie ist es umgekehrt? Was erwarten afrikanische Länder von Europa?
Ich habe mit vielen afrikanischen Führungspersönlichkeiten gesprochen, mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen und einer Menge junger Menschen. Die Rückmeldungen sind sehr positiv, die neue Strategie kommt äußerst gut an, vor allem wegen dieses Geistes einer Partnerschaft auf Augenhöhe und einer gemeinsamen Vision.

Am meisten braucht Afrika aber auch private Investitionen, oder nicht?
Ja, natürlich. Infrastruktur, etwa in der Energieerzeugung, dem Netzausbau oder der Digitalisierung, ist sehr wichtig für die Entwicklung Afrikas. Und es ist offensichtlich, dass die Länder dafür private Investitionen brauchen. Die Corona-Krise hat jedoch gezeigt, dass das Gesundheitswesen und der Bildungssektor ebenfalls wichtige Bereiche sind. Darum ist es mir ein persönliches Anliegen, Bildung in der nächsten Programmierungsphase stärker zu fördern, mir liegt menschliche Entwicklung sehr am Herzen. Aber ehe wir die Details der Programmierung festlegen können, muss erst das Parlament eine Entscheidung über den Haushalt treffen.

Ein weiteres wichtiges Thema ist das Post-Cotonou-Abkommen. Ein neues Abkommen ist notwendig, weil das jetzige ausläuft …
Das stimmt. Das Cotonou-Abkommen ist der übergeordnete Rahmen für die Beziehungen der EU mit 79 Staaten Afrikas, der Karibik und der Pazifikregion – hinsichtlich politischer, wirtschaftlicher, entwicklungspolitischer, ökologischer und sozialer Zusammenarbeit. Es stammt aus dem Jahr 2000 und ist in diesem Jahr ausgelaufen – weshalb wir es noch ein klein wenig verlängern mussten. Jetzt brauchen wir ein neues Abkommen, nicht nur aus formalen Gründen, sondern auch, weil sich die Welt in den letzten 20 Jahren grundlegend verändert hat. Das neue Abkommen wird seine regionale Dimension weiter stärken und auf aktuelle Herausforderungen eingehen.

Wie weit sind denn die Verhandlungen?
Ich freue mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass wir bereits 95 Prozent des Textes gebilligt haben, das heißt, der Verhandlungsprozess ist beinahe beendet. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass die ausstehenden fünf Prozent die heikelsten Punkte enthalten. Ich möchte die Verhandlungen so schnell wie möglich zu Ende bringen. Das ist jetzt eine Frage des politischen Willens. Alle notwendigen Bestandteile für einen ausgewogenen Kompromiss liegen auf dem Verhandlungstisch. Ich stehe auch in engem Kontakt mit dem Chefunterhändler der AKP-Staaten, Robert Dussey, der ebenso entschlossen ist, so bald wie möglich zum Abschluss zu kommen.

Es heißt, die wichtigsten noch offenen Punkte seien Migration, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Menschenrechte. Können Sie das bestätigen?
Im Augenblick möchte ich nicht über inhaltliche Details sprechen. Ich möchte erst die Verhandlungen abschließen, ein neues Abkommen auf dem Tisch liegen haben und es dann der Öffentlichkeit präsentieren.

„Ich möchte zunehmend den "Team Europe"-Ansatz anwenden.“

Kommen wir zu einem anderen Thema: Wie sehen Sie die künftige Rolle von Durchführungsorganisationen wie der GIZ?
Als EU-Kommission würden wir in Zukunft gern enger mit den Organisationen der Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten. Sie sind für uns entscheidende Akteure der Entwicklungszusammenarbeit und für die Stärkung internationaler Partnerschaften. Die GIZ ist für mich ein Schlüsselpartner der EU. Wir brauchen unbedingt verschiedene Entwicklungsorganisationen und die Zivilgesellschaft, um die wichtigen politischen Ziele auf unserer europäischen Entwicklungsagenda zu erreichen, darunter auch die neue EU-Afrika-Strategie. Ich möchte zunehmend den "Team Europe"-Ansatz anwenden, der eine gemeinsame Programmierung und Umsetzung zusammen mit den Mitgliedstaaten und ihren jeweiligen Durchführungsorganisationen beinhaltet. Diesen Ansatz haben wir beim Corona-Hilfspaket verfolgt. Für mich ist er ein gutes Modell für die künftige Zusammenarbeit. Dadurch können wir mehr erreichen und die Sichtbarkeit der EU erhöhen, die oft nicht besonders gut ist, obwohl wir – die EU und die Mitgliedsstaaten zusammen – weltweit die größten Geber der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) sind.

Was mögen Sie am meisten an Ihrem Posten als Kommissarin?
Ich bin Politikerin geworden, weil ich die Welt verändern wollte. Und in dieser Position kann ich wirklich etwas bewegen, Einfluss nehmen und spürbare Verbesserungen für die Menschen erreichen, gerade auch für die Jugend. Ich kann nicht nur den Europäer*innen dienen, sondern den Bürger*innen der ganzen Welt. Das mag ich am liebsten an meiner Aufgabe.

Interview: Friederike Bauer

Oktober 2020

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