Gastbeitrag: Jugend
Jugend im Südsudan
Ich wurde 1987 geboren, aber das genaue Datum weiß ich natürlich nicht. Ich erinnere mich jedoch an das Dorf, in dem ich lebte. Es lag in einem engen, grasbedeckten Tal, das von klaren Bächen durchzogen und von grünen Hügeln umgeben war. Es heißt Piol und gehört zum Bundesstaat Jonglei im Südsudan.
Ich habe die Grundschule im Dickicht des Freiheitskampfes absolviert, die restliche Schulzeit unter Bäumen und schließlich die Universität in den Straßen von Juba, der Hauptstadt des Südsudan. In meinen ersten Jobs konnte ich nichts zur Seite legen, weil meine Familie finanziell von mir abhing. Außerdem war mein Einkommen sehr gering, ungefähr 500 Sudanesische Pfund, das sind etwa 100 Dollar. Mein Gehalt war deshalb oft schon vor Monatsende aufgebraucht.
Kampf gegen Korruption
Als wir 2011 unabhängig wurden, waren wir voller Hoffnung. Doch junge Menschen sind immer noch das letzte Glied in der Kette. Die Landesführung haben ehemalige Kämpfer an sich gerissen, die nicht auf abweichende Stimmen hören, schon gar nicht von Leuten, die nicht am Freiheitskampf beteiligt waren. So kommt es, dass junge Männer und Frauen orientierungslos umherirren, ohne greifbare Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie sind mit wenig Perspektive in einem Land gefangen, für dessen Unabhängigkeit sie mit großer Mehrheit gestimmt haben, einem Land, von dem sie gehofft hatten, dass es sich unter der Führung der Freiheitskämpfer zum Besseren wandeln würde. Stattdessen sind sie weiter abhängig von Eltern, Verwandten und Freunden, die Arbeit haben.
Ein neues Phänomen ist unter jungen Leuten aufgetaucht: Opportunismus. Statt kollektiv die Stimme zu erheben, damit ihre Sorgen gehört werden, versuchen sie von dem System zu profitieren, das ihnen in Wahrheit seine Dienste versagt. Dieser Individualismus beeinträchtigt jede Bemühung, Korruption zu bekämpfen. Wenn ein Verwandter einen Regierungsjob erhält, ist das für die jungen Leute der erweiterten Familie Anlass zum Feiern, weil es für sie eine Chance auf einen Job bedeutet. Wenn ein Jugendvertreter auf eine Position im Regierungsumfeld rutscht, dann hält er oder sie fortan den Mund. Was mich betrifft, so muss ich kein Opportunist sein, um zu überleben. Ich ziehe es vor, mein Wissen aus Schule und Studium zu nutzen, um einen Job zu bekommen.
Ärzte finden keinen Job, Lehrer werden schlecht bezahlt
Leider bevorzugt die Jugend hier – da schließe ich mich ein – Bürojobs. Die übrigen Arbeiten überlassen wir Ausländern. Wir sind zu blind, um neue Chancen zu sehen, etwa die Chance, ein kleines Geschäft aufzumachen. Wer durch Juba läuft, wird überall Jugendliche sehen, die Tee trinken und über Politik debattieren, statt unternehmerisch aktiv zu sein.
Viele junge Uniabsolventen im ganzen Land geben ihre eigentlichen Berufe auf und nehmen jeden Job an, den sie kriegen können. Ärzte, die doch eigentlich Patienten behandeln sollten, arbeiten als Wachleute in Hotels. Lehrer haben sich von ihrem Beruf abgewendet, weil die Bezahlung so schlecht ist. Einen Uniabschluss im Südsudan zu schaffen, ist das eine. Eine ganz andere Sache ist es, am Ende einen Job zu finden. Nicht der Abschluss entscheidet darüber, ob man eine Stelle bekommt, sondern welche politische Partei oder welchen Politiker man unterstützt.
Obwohl in unserem Land sogar reichlich Öl fließt, das allen Bürgern zugutekommen könnte, herrscht hier doch nur das Gesetz des Stärkeren.
Dhieu Williams ist ein südsudanesischer Journalist. Er arbeitet für Classic FM, einen führenden Radiosender im Südsudan. Williams studierte Massenkommunikation an der Universität Juba und lebt in Juba.
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