Nachlese COP15

„Der Weltnaturgipfel war ein unerwartet großer Erfolg“

Kurz vor Weihnachten hat die Staatengemeinschaft in Kanada ein neues globales Rahmenabkommen zur Biodiversität verabschiedet, das „Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework“ (GBF). Silke Spohn, die Leiterin des GIZ-Sektorvorhabens „Erhalt der Biodiversität“, erklärt seine Stärken und Schwächen und was es für die GIZ bedeutet.

Interview: Friederike Bauer Fotos: picture alliance/empics|Paul Chiasson, GIZ

Beim UN-Weltnaturgipfel in Montreal wurde ein neuer globaler Biodiversitätsrahmen verabschiedet. Bis kurz vor Konferenzbeginn sah es nicht unbedingt nach einem guten Ende aus. Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Das ist tatsächlich ein großer Erfolg, mit dem nicht unbedingt zu rechnen war. Lange Zeit war noch ein sehr großer Teil des Dokuments geklammert und damit umstritten. Vor diesem Hintergrund sind wir von der GIZ sehr erleichtert über das Ergebnis, denn: Der weltweite Verlust an Biodiversität ist besorgniserregend, der Handlungsbedarf enorm. Von daher war das Zustandekommen dieses neuen Rahmenabkommens – mit einer Vision bis 2050 und 23 konkreten Handlungszielen bis 2030 – ein sehr wichtiger Schritt nach vorn.

Wodurch wurde die Einigung letztendlich erzielt?

Alle Vertragsstaaten kamen mit einer guten gemeinsamen Grundeinstellung nach Montreal. Es herrschte Einvernehmen, dass sich der Naturverlust so nicht fortsetzen darf und die Erkenntnisse von wissenschaftlicher Seite, also vor allem vom Weltbiodiversitätsrat, ernst zu nehmen und so zu akzeptieren sind. Das ist übrigens auch ein Unterschied zur Klimadebatte, in der wissenschaftliche Ergebnisse immer wieder von verschiedener Seite angezweifelt werden.

Welche Punkte im Abschlussdokument sind aus Ihrer Sicht entscheidend?

Für wichtig halte ich das sogenannte „30x30“-Ziel: Bis zum Jahr 2030 sollen 30 Prozent der Erdoberfläche an Land und im Meer unter Schutz gestellt sein. Dafür müssen wir allerdings auch noch viel tun; derzeit sind 17 Prozent an Land und etwa acht Prozent im Meer geschützt. Zudem sollen 30 Prozent der Flächen von bereits degradierten Ökosystemen ebenfalls bis 2030 unter Wiederherstellung gestellt werden. Auch das ist sehr erfreulich, genauso wie das Ziel, das Risiko, das durch den Einsatz von Pestiziden entsteht, zu halbieren und weltweit umweltschädliche Subventionen von 500 Milliarden US-Dollar abzubauen oder umzulenken. Hervorzuheben ist auch die Stärkung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, deren wichtige Rolle beim Erhalt von Biodiversität anerkannt wird.

Was ist aus Ihrer Sicht weniger glücklich gelöst?

Einige Passagen sind schwammig formuliert. So heißt es zum Beispiel beim Naturschutz-Ziel, diese 30 Prozent sollten wirkungsvoll geschützt werden. Allerdings ist nicht definiert, wann ein Gebiet als wirkungsvoll geschützt gilt. Dafür müssen noch Indikatoren entwickelt werden. Es sind also noch viele Nacharbeiten zu erledigen. Bedauerlich ist auch, dass wir immer über die 30 Prozent geschützte Fläche, aber selten über die restlichen 70 Prozent sprechen. Mit ihnen nachhaltig umzugehen, auch gerade in der Waldwirtschaft, in der Landwirtschaft oder in der Fischerei, wäre dringend angezeigt. Aber dazu steht im Abschlussdokument kein konkretes Ziel, sondern sinngemäß nur, dass mehr nachhaltige Ansätze zu verfolgen und anzuwenden seien. Das ist zu wenig. Ebenfalls zu kurz kommt das Konsumverhalten im Norden, auf das ein guter Teil des Biodiversitätsverlusts im Globalen Süden zurückgeht. Dazu steht nicht viel Konkretes in dem Rahmenabkommen.

Image
Silke Spohn

Ein Knackpunkt waren lange Zeit die Finanzen. Halten Sie den erzielten Kompromiss für angemessen?

Es ist klar, dass die Entwicklungsländer finanzielle Unterstützung für diese Transformation brauchen. Sie forderten deshalb ursprünglich, 100 Milliarden US-Dollar jährlich über einen separaten Fonds zu erhalten. Das wollten die reicheren Staaten nicht, weil sie den vielen internationalen Organisationen nicht eine weitere hinzufügen wollten, die dann wieder lange braucht, bis sie aufgebaut und einsatzfähig ist. Schlussendlich hat man sich darauf geeinigt, einen Treuhandfonds bei der Global Environment Facility (GEF) einzurichten und bis 2025 zunächst mindestens 20 Milliarden und bis 2030 dann 30 Milliarden US-Dollar jährlich einzuzahlen. Die GEF ist eine bestehende internationale Einheit, die 1991 entstanden ist. Die organisatorische Seite ist nach meinem Empfinden so in Ordnung, aber die Summe zu erreichen, wird noch ein Kraftakt, obwohl sie deutlich niedriger als die ursprüngliche Forderung ist. Derzeit fließen jährlich rund zehn Milliarden US-Dollar in die internationale Finanzierung von Biodiversität.

Wie geht der Prozess jetzt weiter; wie wird dieses Rahmenabkommen umgesetzt?

Bei der Einigung handelt es sich tatsächlich um einen Rahmen, der noch gefüllt werden muss. Das soll über nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne geschehen. Jedes Land ist jetzt aufgerufen, seine entsprechenden Strategien darauf abzustimmen oder neue zu erstellen, wenn noch keine vorhanden sind. Genau davon hängt sehr viel ab. Der Rahmen ist gut, viel besser als befürchtet oder erwartet, aber jetzt hängt es davon ab, ob die Einzelstaaten sich auch daran halten und die Beschlüsse entsprechend umsetzen.

Was bedeuten die Beschlüsse für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und die GIZ?

Für uns bedeutet die Einigung in Montreal dreierlei: Erstens müssen wir alle unsere Maßnahmen mit den Zielen des Global Biodiversity Framework abgleichen; das gilt dann für alle Sektoren, also zum Beispiel auch für unsere Aktivitäten im Bereich Landwirtschaft oder Fischerei. Zweitens geht es um Biodiversitätsprojekte selbst, wie wir sie auch bisher schon fördern, zu partizipativ gemanagten Schutzgebieten, biodiversitätserhaltenden Wertschöpfungsketten etc. Und schließlich können wir die Partnerländer dabei unterstützen, ihre Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne weiterzuentwickeln und umzusetzen, die im Einklang mit dem Abschlussdokument stehen. Dafür hat uns das BMZ bereits mit einem globalen Vorhaben beauftragt, das jetzt sofort im Januar mit der Arbeit beginnt.

War der UN-Weltnaturgipfel unterm Strich der lange ersehnte Durchbruch, der erhoffte „Montreal-Moment“?

Auf jeden Fall, auch wenn sich dieses Gefühl in der Nacht des Beschlusses noch nicht richtig einstellte. Ich bin insgesamt sehr zufrieden mit dem Ergebnis und freue mich, dass wir als GIZ vor Ort und daran beteiligt waren.

Image
COP 15
Mehr zum Thema
Lächelnde Bäuerin steht vor ihrem Feld Katrin Gänsler

Die Klimakrise trifft Frauen härter

Höhere Erdtemperaturen wirken sich sehr unterschiedlich auf Menschen aus. Gender muss als Faktor in der Klimapolitik bedacht werden.
Mehr
Temperaturansicht der Erde NASA/Scientific Visualization Studio

Weltklimakonferenz 2023: Die COP28 in Dubai im Überblick

Ende November startet die UN-Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. akzente beantwortet die wichtigsten Fragen zur COP28.
Mehr
Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte

Impulsgeber für „grüne“ Rechtsprechung

Zu Besuch beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Menschenrechtsinstitut in San José: wo Menschenrechte, Natur und Umwelt neu betrachtet werden.
Mehr