„Ich wünsche mir klare und starke Ziele“
Vorstandsmitglied Ingrid-Gabriela Hoven über die Bedeutung von Artenvielfalt und die Weltbiodiversitätskonferenz in Montreal.
Gerade hat die Staatengemeinschaft in Sharm El-Sheikh über das Klima diskutiert. Nun steht in Montreal die Biodiversität im Fokus. Welche der beiden Konferenzen ist wichtiger?
Die Erde ist EIN Ökosystem und daher müssen wir die Dinge gemeinsam betrachten. Klimaschutz und der Erhalt von Biodiversität gehören zusammen, sie verstärken sich gegenseitig im Positiven wie im Negativen. So sind Wälder zum Beispiel wichtige CO2-Senken. Oder Mangroven: Sie sind sehr produktiv und artenreich, aber sie brechen auch Wellen und schützen Menschen vor Extremwetterereignissen, die durch den Klimawandel häufiger werden. Deshalb sind beide Konferenzen gleich wichtig.
Die Bedeutung von Biodiversität scheint dennoch weniger stark im kollektiven Bewusstsein verankert zu sein als die Bedeutung des Klimaschutzes.
Das ist richtig. Leider haben sehr viele Menschen noch nicht begriffen, dass wir letztlich unsere Lebensgrundlagen zerstören, wenn wir Natur vernichten.
Was sind die Gründe für die geringere Aufmerksamkeit gegenüber dem Artenschwund?
Es liegt zum einen daran, dass wir noch keine klare und leicht verständliche Maßzahl haben, wie beim Klima das CO2. Zum anderen hat es damit zu tun, dass sich drei Viertel des Artenreichtums im Globalen Süden befinden. Dort fehlt es schlicht an den finanziellen Mitteln, entschieden gegenzusteuern. Auch empfinden viele Entwicklungsländer den Schutz der Biodiversität vor allem als Forderung und als Einschränkung ihrer Souveränität. Sie möchten die Natur in ihren Ländern nach eigenen Vorstellungen wirtschaftlich nutzen können.
Wird sich das durch den Weltbiodiversitätsgipfel ändern?
Das hoffe ich, denn die Biodiversitätskrise ist nicht weniger gefährlich als die Klimakrise. Deshalb wünsche ich mir von Montreal ein klares und verbindliches Rahmenwerk, das das „30x30“-Ziel enthält, nach dem bis 2030 mindestens 30 Prozent der Erde unter Schutz gestellt werden sollen. Dieses Ziel werden wir nur erreichen können, wenn die Entwicklungsländer dafür Unterstützung erhalten.
Der Finanzbedarf ist riesig …
Er wird auf mehrere Hundert Milliarden US-Dollar geschätzt. Deshalb brauchen wir vom Gipfel auch dazu eine klare Verpflichtung. Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei der UN-Generalversammlung in New York verkündet, dass Deutschland seinen Beitrag zum internationalen Naturschutz bis 2025 auf 1,5 Milliarden Euro jährlich verdoppeln wird. Das ist ein starkes Signal und animiert hoffentlich andere Geber, ihre Beiträge ebenfalls aufzustocken.
Welche Bedeutung hat der Schutz der Biodiversität für die Arbeit der GIZ?
Das Thema ist von zentraler Bedeutung für uns, weil gerade ärmere Menschen besonders stark auf eine intakte Natur angewiesen sind. Das Überleben von über 60 Prozent der ländlichen Bevölkerung Afrikas hängt direkt von der Natur ab. Das heißt, wir brauchen eine Balance zwischen intakter Natur und ökonomischen Aktivitäten. Die Entwicklungszusammenarbeit kann helfen, hierfür gute Konzepte zu finden. Allein im letzten Jahr haben wir ein Portfolio von 260 Millionen Euro umgesetzt. Und die Tendenz dürfte nach dem Gipfel und mit den zusätzlichen Mitteln der Bundesregierung weiter nach oben zeigen.