Reportage Abfall
Anstoß auf dem Schrottplatz
Nein, nicht so, du könntest dich verletzen! Ich zeige dir, wie es richtig geht, Mohammed.“ Rabbiu Dazali mischt sich ein, als er sieht, wie sein Kollege mit einem schweren Hammer einen Drucker zertrümmern will, um an die wertvollen Metalle im Inneren zu gelangen. Seit mehr als 20 Jahren zerlegen junge Männer in Agbogbloshie ausrangierte Elektrik und Elektronikgeräte. Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra gilt als einer der größten Schrottplätze der Welt. Auf einem Areal von 15 Hektar, das entspricht 21 Fußballfeldern, türmen sich zwischen Altautos und Metallteilen alte Mobiltelefone, Bildschirme, Kühlschränke und Laptops. Sie werden von den Männern Tag für Tag ausgeschlachtet.
Die anstrengende Arbeit ist schlecht bezahlt, gefährlich und macht die Menschen krank. Giftige Stoffe wie Blei und Kadmium werden freigesetzt, gelangen in Boden, Wasser und Luft. Doch für viele ist das die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Im Durchschnitt haben sie so umgerechnet 155 Euro pro Monat in der Tasche. Das reicht zum Überleben in Ghana. Gerade für 15- bis 24-Jährige sind Jobs rar. Die Arbeitslosigkeit junger Leute liegt bei rund 14 Prozent.
„Mohammed, wenn du einfach nur mit dem Hammer auf Schrott einschlägst, können dich Splitter treffen, Batteriesäure deine Haut angreifen und den Boden vergiften. Außerdem zerstörst du so Dinge, die wir noch gut verkaufen können“, sagt Rabbiu Dazali. Jahrelang hat er in Agbogbloshie selbst Geräte auseinandergenommen. Wie die meisten der rund 4.000 Männer, die dort arbeiten, stammt er aus dem armen Norden Ghanas. Er kam in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Hauptstadt Accra und landete schließlich als sogenannter Dismantler auf dem Schrottplatz. Diese Jobbezeichnung kommt vom Zerlegen der Geräte, auf Englisch: to dismantle.
Im Abfall stecken wertvolle und giftige Stoffe
Damit der Elektroschrott in Agbogbloshie künftig umweltgerecht entsorgt und recycelt wird, hat die GIZ im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums 2016 in Ghana ein Projekt gestartet. Ziel ist es, Ghanas Ministerium für Umwelt, Wissenschaft, Technologie und Innovation dabei zu unterstützen, die Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges Management und die Entsorgung von E-Schrott zu verbessern. Auch in Ghana kaufen immer mehr Menschen Fernsehgeräte, mobile Telefone und Computer. Das westafrikanische Land importiert viele gebrauchte Geräte – unter anderem aus Europa.
Doch schon bei der Einfuhr sind schätzungsweise 15 Prozent davon kaputt. Dieser eingeführte und der „hausgemachte“ Schrott landen in Agbogbloshie, jedes Jahr mindestens 17.000 Tonnen. Sie enthalten wertvolle und knappe Ressourcen wie Kupfer, Gold und Aluminium, aber auch giftige Stoffe wie Schwermetalle und Quecksilber. Umweltschonende und effiziente Verfahren, um diesen Elektroschrott zu zerlegen, zu recyceln und zu entsorgen, gibt es hingegen in Ghana bislang kaum. So entstehen durch das Verbrennen von Kabeln toxische Gase und durch unsachgemäßes Zerlegen von Kühlschränken werden Treibhausgase freigesetzt. In diesem Umfeld verdienen Tausende Menschen ihren Lebensunterhalt. Damit sich deren Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern, hat sich das GIZ-Team auf dem Platz genau umgehört und mit den – vorwiegend männlichen – Arbeitern gesprochen. Sie wünschten sich vor allem medizinische Versorgung und Möglichkeiten, etwas über fortschrittliches Recycling zu lernen. Und sie wollten gerne einen Fußballplatz. Im Frühjahr 2019 wurden diese drei Wünsche Wirklichkeit: Eine gut ausgestattete Trainingswerkstatt und eine moderne Gesundheitsstation wurden eröffnet. Und auf einem vom Abfall befreiten Feld stehen jetzt Fußballtore – mit Begeisterung wird dort gekickt.
„Die Arbeiter und Schrotthändler leiden unter vielen gesundheitlichen Problemen wie Schnittverletzungen, Haut- und Atemwegserkrankungen. Wenn sie umweltverträgliche Recyclingmethoden erlernen, können sie sich besser schützen“, sagt Professor Julius Fobil von der University of Ghana, der seit Jahren zu den Gesundheitsrisiken in Agbogbloshie forscht. Da die meisten Arbeiter nicht krankenversichert sind, können sie sich eine Behandlung im Krankenhaus oder beim Arzt nicht leisten. Selbst für das Busticket zum Arzt haben sie nicht das Geld. Die vom ghanaischen Gesundheitsministerium betriebene Krankenstation soll den Arbeitern in Zukunft eine kostengünstige Grundversorgung vor Ort ermöglichen.
Ein Kurs für die sichere Zerlegung von Elektroschrott
„Es ist höchste Zeit, dass wir eine bessere medizinische Behandlung bekommen“, sagt Rabbiu Dazali und zählt auf, wie ihm die Arbeit auf dem Schrottplatz zugesetzt hat. „Ich litt an Kopfschmerzen, Hautirritationen, Rückenproblemen, Atemnot und Schnittverletzungen – aber ich hatte einfach keine Alternative“, erklärt der 39-Jährige, der mittlerweile in einem kleinen Geschäft mitten auf dem Schrottplatz unter anderem Aluminium, Kupfer, Messing und Ersatzteile verkauft. Das Zerlegen erledigen heute jüngere Männer wie Mohammed für ihn. Damit seine Kollegen und Freunde sich bei der anstrengenden Arbeit nicht ihre Gesundheit ruinieren, hat Dazali sich in der neu errichteten Trainingswerkstatt zusammen mit acht weiteren Männern und Frauen in einem zweimonatigen Kurs von GIZ-Expert*innen zum Trainer für die sichere und nachhaltige Demontage von Elektroschrott ausbilden lassen. Nun geben er und die anderen Kursteilnehmer*innen das Wissen weiter.
Auch Fawzia Mohammed Zuka hat diese Ausbildung absolviert. Die Mitarbeiterin einer ghanaischen Umweltschutzorganisation hat nie als Dismantlerin gearbeitet. In der neuen Werkstatt zeigt die selbstbewusste 26-Jährige den Arbeitern, wie wertvolle Materialien wie Kupfer, Aluminium und selbst Gold mit Hilfe der richtigen Werkzeuge und präziser Handgriffe sicher aus den Altgeräten entfernt werden können. Das ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern erhöht auch die Ausbeute. „Ich habe im Training alles gelernt, was die Dismantler wissen und können müssen. Ich kann ihnen jetzt beibringen, wie sie sich bei ihrer Arbeit schützen und ihr Einkommen verbessern können. Genau das wollen sie lernen. Deshalb nehmen sie mich ernst“, sagt die Ghanaerin.
Ein 3-D-Drucker für 55 Euro aus Teilen vom Schrottplatz
Auf dem Schrottplatz ist auch Sandy Agbottah oft anzutreffen. Für ihn ist das riesige Gelände kein Elektro-Schrottplatz, sondern viel eher eine „Elektro-Schatztruhe“. Alle Teile, die er für den wohl ersten 3-D-Drucker „made in Ghana“ benötigte, hat der Elektrotechnik-Student in Agbogbloshie gekauft. 320 Cedi, umgerechnet gerade einmal 55 Euro, hat der Tüftler für die über 50 Teile ausgegeben. Neu hätten sie bis zu 1.700 Euro gekostet – unbezahlbar für den Studenten. Seinen aus Schrott zusammengeschraubten 3-D-Drucker hat er gemeinsam mit dem Impact Hub Accra entwickelt, der zu einem weltweiten Netzwerk gehört und mit der GIZ kooperiert. In mehr als 50 Ländern fungieren Impact Hubs als Katalysatoren, um lokale Unternehmen zu fördern, die einen gesellschaftlich-ökologischen Mehrwert leisten wollen.
„Wir Ghanaer waren bislang nur Käufer von importierten Geräten. Mein Traum ist es, dass wir selbst zu Hightech-Produzenten werden. Und dafür brauchen wir 3-D-Drucker. Sie können jede Idee sichtbar und begreifbar machen. Mit 3-D-Druckern sind der Fantasie und der Kreativität keine Grenzen mehr gesetzt“, sagt der 22-Jährige, der nach Abschluss seines Studiums in die Forschung gehen will. Nebenbei will er Schülerinnen und Schüler in Elektrotechnik unterrichten und Robotik-Wettbewerbe organisieren. Dabei bauen Teams Roboter zusammen, die bestimmte Aufgaben erfüllen. Alle Teile für die Roboter sollen dabei aus modernen Recycling-Betrieben in Agbogbloshie stammen: Das ist Agbottahs Zukunftsvision.
6,3 Prozent
Wirtschaftswachstum hat Ghana 2018 verzeichnet und belegt damit in Afrika einen der vorderen Plätze.
30 Millionen
Einwohner erleben große Einkommensunterschiede zwischen der starken Küstenregion und dem Norden des Landes.
Quelle: Weltbank 2018
IN WORTEN
„Bei diesem Pilotprojekt unterstützen wir einen Schrottplatz dabei, sich von innen heraus zu reformieren.“
Markus Spitzbart, Leiter des Projekts zu Elektroschrott in Ghana markus.spitzbart@giz.de
Vielleicht auch aus dem Shop von Rabbiu Dazali. Der Ladenbesitzer sieht bereits deutliche Veränderungen. „Hier werden schon weniger Kabel abgefackelt, es gibt weniger Verletzungen beim Zerlegen und es gelangen weniger Gifte in die Umwelt“, sagt der Mann, der wie die meisten Dismantler ganz in der Nähe im Old Fadama Slum lebt. Er hat in den vergangenen Jahren schon einige Journalisten aus aller Welt getroffen. Viele bezeichneten Agbogbloshie in ihren Berichten wegen der gefährlichen Arbeitsbedingungen und der verheerenden Umweltschäden als „Hölle auf Erden“. Dazali hofft, dass sie eines Tages zurückkehren werden, um sich ein neues Bild zu machen: „Die Reporter werden Agbogbloshie nicht wiedererkennen. Es stimmt: Hier war es schlimm, sehr schlimm sogar. Aber jetzt verändert sich vieles und wir können für die Welt zu einem echten Vorbild in Sachen Recycling werden.“
aus akzente 2/19
Leben im Wegwerfmodus
Essay Abfall
„Jetzt ist Zeit zu handeln“
Interview Abfall
So weit das Auge reicht
Infografik Abfall