Interview

„Wir können nicht zur alten Realität zurück“

Andrea Meza Murillo ist Umweltministerin von Costa Rica, einem Land, das sich schon lange für Nachhaltigkeit starkmacht. Mit akzente spricht sie über die ehrgeizigen Ziele ihres Landes, warum eine grüne Wirtschafts­belebung nach der Pandemie so wichtig ist und welche Unterstützung sie dabei von der internationalen Gemeinschaft braucht.

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Header: Giancarlo Pucci/Pnud Costa Rica
Interview
Friederike Bauer

Andrea Meza Murillo
Andrea Meza Murillo, Expertin für nachhaltige Entwicklung, ist seit August 2020 costa-ricanische Umweltministerin. ©Priscilla Mora Flores/Colectivo Nómada/Para Pnud

Klimawandel, Verlust der Biodiversität und Pandemie: Einige Stimmen sagen, wir stehen vor einer komplizierten Dreifachkrise. Teilen Sie diese Einschätzung?
Absolut; die Wissenschaft sagt uns täglich, dass wir uns drastisch ändern müssen, um diese dreifache Krise zu meistern. Konkreter gesagt: Wir müssen unsere Art zu produzieren und zu konsumieren ändern. Sonst – und das hat uns die Pandemie gelehrt – können wir nicht gesund leben und keine gesunden Gesellschaften bilden.

Den Weg aus der Pandemie mit öffentlichen Förderprogrammen zugunsten eines umweltfreundlicheren Wirtschaftens zu verbinden, gilt als einmalige Gelegenheit. Was ist Ihre Ansicht dazu?
Es ist auf jeden Fall eine Gelegenheit, die wir nicht verstreichen lassen dürfen. Andererseits ist es keine ganz leichte Aufgabe, denn wir haben weltweit mit Rezessionen zu kämpfen, ganz besonders in unserer Region. Lateinamerika ist von Corona besonders hart getroffen worden, viele Menschen haben ihr Leben gelassen. Wir sehen gewaltige ökonomische Folgen, die sich direkt auf das Leben der Menschen auswirken. Aber wir müssen es trotzdem tun. Es ist entscheidend, öffentliche Investitionen in die richtigen Bahnen zu lenken und eine umweltfreundliche Wirtschaft zu schaffen. Wir können nicht zur alten Normalität zurück.

Wie wollen Sie diese Gelegenheit nutzen?
Ganz allgemein gesagt müssen wir diese Mittel einsetzen, um Arbeitsplätze zu schaffen und die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie abzumildern. Gleichzeitig müssen wir uns damit den Pariser Klimazielen annähern und die Umwelt schützen. Es ist genau diese Art von Investitionen, die wir jetzt brauchen. Die gute Nachricht ist: Wir verfügen über das Wissen und die Technologie dafür. Was uns fehlt, ist das Geld.

Andrea Meza  Murillo ist auf vielen Ebenen  für den Naturschutz aktiv:  vom Wald bis zu internatio- nalen Konferenzen.
Andrea Meza Murillo ist auf vielen Ebenen  für den Naturschutz aktiv: vom Wald bis zu internationalen Konferenzen. ©UNDP

Etwas konkreter: In welche grünen Projekte investieren Sie oder wollen Sie inves­tieren?
Wir haben 2018 einen ehrgeizigen Plan zur Kohlendioxidreduzierung gefasst, der eine nettoemissionsfreie Wirtschaft bis zum Jahr 2050 vorsieht. Unser größtes Problem ist dabei der Transport- und Verkehrssektor, weil er der größte Verursacher von Treib­hausgasen ist. Darum wollen wir bis 2035 mindestens 75 Prozent des Transportsektors elektrifiziert haben. Eines unserer ehrgeizigsten Projekte ist ein elektrischer Zug, der alle wichtigen Städte Costa Ricas miteinander verbindet. Und innerhalb der Städte wollen wir den öffentlichen Verkehr ausweiten. Außerdem haben wir vor, unsere Landwirtschaft umzustellen, die Emissionen in der Viehhaltung zu reduzieren und die Ökosystemleistungen unserer Wälder zu verbessern. Das hatten wir schon vor der Pandemie geplant, aber dann mussten große öffentliche Investitionen umgewidmet werden, weshalb der Plan schwierig umzusetzen ist. Daher hätten wir gern internationale Unterstützung im Rahmen der Green-Recovery-Finanzhilfen.

„Wir müssen unsere Art zu produzieren und zu konsumieren ändern. Sonst können wir nicht gesund leben und keine gesunden Gesellschaften bilden.“

Wie viel Geld würden Sie denn für all diese Vorhaben brauchen?
Wir schätzen, dass unser Plan zur Kohlendioxidreduktion bis 2050 etwa 37 Milliarden Dollar kosten würde. Gleichzeitig erwarten wir positive Auswirkungen von etwa 41 Milliarden Dollar netto bis 2050. Langfris­tig dürfte das alles für Costa Rica kein wirtschaftliches Opfer, sondern zum Nutzen aller sein. Zumal der Wandel zu den internationalen Klima- und Biodiversitätszielen beiträgt.

Aber dafür brauchen Sie zusätzliche Unterstützung der internationalen Gemeinschaft …
Richtig, wir müssen die notwendigen Mittel dafür bekommen. Die internationale Gemeinschaft sollte die Vergabe von Geldern an Bedingungen knüpfen.

Wie meinen Sie das – welche Bedingungen?
Wir haben internationale Abkommen wie das Übereinkommen von Paris oder die Biodiversitätskonvention. Meines Erachtens sollten die Staaten, die mehr dafür tun, diese Abkommen einzuhalten, auch mehr Geld bekommen als andere. Wer seine Aufgaben wirklich erledigt, wer sich engagiert und große Anstrengungen unternimmt, der sollte von der internationalen Gemeinschaft belohnt werden. Ich finde, das globale Finanzsystem sollte hier schlüssig und einheitlich sein und die Ziele unterstützen, auf die wir uns alle geeinigt haben.

Und das ist im Augenblick nicht der Fall?
Nein. Daher bin ich der Ansicht, das gesamte Finanzsystem sollte auf grüne Investitionen umschwenken und ganz auf diesen Wandel ausgerichtet sein.

Abgesehen von den finanziellen Aspekten: Fürchten Sie negative gesellschaftliche Auswirkungen, wenn Sie jetzt mitten in der Pandemie auf grüne Inves­titionen setzen?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen die Menschen mitnehmen. Darum steht der öffentliche Verkehr auch im Mittelpunkt unseres CO2-Reduktionsplans. Hier spüren die Menschen die Veränderung, sie profitieren direkt davon. Viele Costa Ricaner können sich kein Auto leisten, aber sie brauchen Transportmittel. Zur Arbeit pendeln, mit Zügen in die Städte gelangen, das macht diesen Wandel für sie greifbar. Meiner Ansicht nach ist das ein ganz entscheidender Aspekt und zugleich ein sehr demokratischer Ansatz. Der grüne Aufschwung wird nicht funktionieren, wenn wir nicht die Zustimmung und Mitwirkung der Menschen bekommen. Es muss gerecht zugehen.

„Wer seine Aufgaben wirklich erledigt, wer sich engagiert und große Anstrengungen unternimmt, der sollte von der internationalen Gemeinschaft belohnt werden.“

Ergreifen Sie noch weitere Maßnahmen, um Menschen zu unterstützen, die im Augenblick wirtschaftlich besonders unter Druck stehen?
Ja, das tun wir. Wir identifizieren Risikogruppen; sie erhalten Transferleistungen, wenn sie daran mitarbeiten, der Umwelt oberste Priorität zu geben: Sie pflanzen zum Beispiel Bäume oder retten Mangrovenwälder. Dann bekommen sie direkte Leistungen in Form von Geld. Das hilft ihnen durch die Krise – und nützt unserem Gesamtziel. Zudem schaffen wir durch den Ausbau unseres Verkehrssystems auch neue Arbeitsplätze.

Tourismus spielt in Costa Rica eine große Rolle, ist aber während der Pandemie fast auf null zurückgegangen. Was haben Sie getan, um die Verluste auszugleichen?
Wie ich schon sagte, wir haben den am stärksten betroffenen Gemeinden Transferleistungen zukommen lassen, auch damit sie sich weiter um die vielen Schutzgebiete kümmern können, mit denen wir hier die Umwelt bewahren. Das ist auch ein Grund, warum wir im Augenblick als Staat finanzielle Engpässe haben.

Sehen Sie Costa Rica in einer Vorreiterroller?
Ja und nein. Wir gehen voran und sind in diesem Prozess wahrscheinlich weiter als andere Länder. Aber mit mehr Unterstützung könnten wir noch besser und schneller sein.

aus akzente 3/2021

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