Essay

Grün und gerecht

Nach der Pandemie umsteuern, auf nachhaltiges und sozial ausgewogenes Wirtschaften setzen, lautet das Ziel der internationalen Gemeinschaft. Warum das wichtig ist und wo es schon geschieht, zeigt unser Essay.

Text
Ulrike Scheffer
Illustration
Florian Bayer

#ShowYourStripes Die Illustration des Essays ist angelehnt an die Klimastreifen des britischen Meteorologen Ed Hawkins. Die Strichcodes zeigen auf einen Blick, wie die Temperatur eines Ortes in den letzten hundert Jahren gestiegen ist. showyourstripes.info
#ShowYourStripes Die Illustration des Essays ist angelehnt an die Klimastreifen des britischen Meteorologen Ed Hawkins. Die Strichcodes zeigen auf einen Blick, wie die Temperatur eines Ortes in den letzten hundert Jahren gestiegen ist.

Mit seinem gelben Las­tenfahrrad fällt Edgar Fernández in Lima auf. Während zahllose Lieferwagen durch Perus Hauptstadt lavieren und einen regelrechten Abgasteppich verbreiten, transportiert der junge Kaffeeröster seinen Rohstoff, rund 70 Kilo Kaffeebohnen, völlig emissionsfrei auf dem Lastenrad. Den fertigen Kaffee bringt er ebenfalls per Rad zu seiner Kundschaft. In den schwersten Zeiten der Corona-Pandemie, die Peru extrem traf und immer noch plagt, zog der Absatz stark an. Denn die Geschäfte waren geschlossen, während Fernández weiter direkt Kaffee anliefern konnte. Künftig muss er sich wieder gegen die Konkurrenz behaupten. Doch sein Geschäftsmodell hat Zukunft. Die Bohnen stammen von kleinen einheimischen Farmen.

Sein Betrieb vereint damit vieles, auf das es künftig ankommt: nachhaltiges, ökologisches und faires Wirtschaften. Die Weltgemeinschaft wird ihr Ziel, die menschengemachte Erderwärmung auf ein vertretbares Maß zu begrenzen, nur erreichen, wenn sie lokale wie globale Ökonomien klimagerecht und sozial umgestaltet und dem Raubbau an der Natur ein Ende setzt. Ausgerechnet die tödliche Covid-19-Pandemie bietet dafür eine Chance: Green Recovery lautet der Begriff der Stunde. Der Wiederaufbau der pandemiegeschwächten Wirtschaftskreisläufe kann und muss genutzt werden, um die sozial-ökologische Transformation voranzubringen. Der Neustart, so sagt auch UN-Generalsekretär António Guterres, könne zu einer gesünderen und resilienteren Welt führen.

IN DIESEM BEITRAG

 

1. DAS ZIEL
Warum sich jetzt die Möglichkeit eröffnet, eine grünere und resilientere Welt zu gestalten.

 

2. DIE HÜRDEN
Wie und warum wir alle mitentscheiden, ob dieser Moment genutzt wird oder verstreicht.

 

3. DER WEG
Wie es auch in Entwicklungsländern gelingen kann, Wirtschaften grüner wiederaufzubauen.

Die Blaupause für den Wandel liegt vor: die Agenda 2030, in der die Staatengemeinschaft nachhaltige Entwicklungsziele für das Ende der laufenden Dekade formuliert hat. Entwicklung und Fortschritt für alle, aber nicht auf Kosten der Umwelt und des Klimas, lautet verkürzt die Botschaft der Agenda. Sie wurde bislang nicht ambitioniert genug verfolgt. Denn trotz globaler Vereinbarungen ist der klimaschädliche CO2-Ausstoß zwischen 1990 und 2017 um mehr als 60 Prozent gestiegen.

Um die CO2-Emissionen, wie im Pariser Klimaschutzabkommen völkerrechtlich vereinbart, bis 2050 netto auf Null zu senken, muss schnell und konsequent umgesteuert werden. Das Momentum nach der Corona-Pandemie wäre eine einmalige Gelegenheit für diese Wende. Nie wurde weltweit so viel Geld auf einmal eingesetzt. Laut OECD haben allerdings weniger als ein Drittel der bisher angekündigten Investitionen positive Umwelt- und Klimaeffekte. Das ist alarmierend. Die Konjunkturpakete und Programme zur wirtschaftlichen Erholung sollten den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien genauso fördern wie die Entwicklung ressourcenschonender Technologien in Industrie, Handwerk und Agrarwirtschaft sowie ökologisches Bauen und eine klimafreundliche Infrastruktur.

Gerade für Entwicklungsländer, in denen die Pandemie Fortschritte der vergangenen Jahre zunichte gemacht hat, könnte der grüne Neustart zum Jobmotor werden. Indien hat es vorgemacht: Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, konkret die 2002 in Betrieb genommene Delhi Metro, brachte fast 15.000 Menschen Arbeit. Da die Mehrzahl der Züge und andere technische Systeme der Bahn in Indien selbst hergestellt werden, sind zusätzlich Arbeitsplätze in der Produktion entstanden.

„Gelingen kann der Wandel nur, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher weltweit umdenken und nachhaltiger
konsumieren.“

Der Bürgermeister von Lima will internationale Mittel für städtische Klimaschutzmaßnahmen dazu nutzen, die Luftverschmutzung zu verringern. Grüne Inseln, zwei Millionen neue Stadtbäume und 46 Kilometer Fahrradwege sollen das Klima schützen helfen und die Lebensqualität aller Bürgerinnen und Bürger verbessern. Gleichzeitig könnten auch hier Jobs entstehen –beim Bau und der Pflege der grünen Stadträume oder durch klimafreundliche Lieferdienste nach dem Vorbild von Kaffeeröster Edgar Fernández. „Wenn sie der Klimakrise inklusiv begegnen, können Städte zur Starthilfe für die wirtschaftliche Erholung werden“, so Bürgermeister Jorge Muñoz Wells.

In Rios Stadtteil Copacabana werden schon heute Tag für Tag rund 11.000 Warensendungen mit Lastenfahrrädern transportiert. In Mumbai hatte ein großer Onlinehändler die Idee, das traditionelle Dabbawala-System, bei dem Büroangestellte ihre Mittagessen von Zusteller*innen erhalten, für die Paketzustellung zu nutzen. Beispiele wie diese zeigen, dass sich auch im Kleinen etwas bewegen lässt – und dass auch Geringverdienende vom Wandel profitieren können.

Landwirtschaft als Dreh- und Angelpunkt

Doch wesentlich ankommen wird es auf große Weichenstellungen, damit das Umsteuern gelingt: dass die führenden Volkswirtschaften den Ausstieg aus fossilen Ener­gieträgern konsequent vollziehen. Noch ist das nicht der Fall, obwohl erneuerbare Energien längst wettbewerbsfähig sind. Immerhin investiert etwa ein Land wie China inzwischen mehr in den Ausbau erneuerbarer Energien als in neue Kohlekraftwerke.

Einer der „Elefanten im Raum“, wie Peter Poschen von der Universität Freiburg sagt, ist die Landwirtschaft. Sie kommt gleich nach Energie und ist der zweitgrößte Produzent klimaschädlicher Gase. Außerdem beansprucht die Landwirtschaft rund 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs – und ist Treiber eines weiteren existenzbedrohenden Phänomens: des Artensterbens. Die Expansion landwirtschaftlicher Flächen trägt maßgeblich zur Abholzung von Wäldern und Zerstörung anderer Lebensräume von Flora und Fauna bei. Doch die Landwirtschaft ist auch der größte Arbeitgeber weltweit. Für Entwicklungsländer bleibt sie der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig. Für den Neustart im globalen Süden ist sie daher von zentraler Bedeutung, zumal sich die Anbaubedingungen in vielen Ländern durch die Klimakrise dramatisch verschlechtern.

Nachhaltiger Konsum als Schlüssel

Entscheidend ist, dass Entwicklungsländer Mittel erhalten, um eine Transformation hin zu einer ressourcenschonenden, klimaresistenten und sozial fairen (Land-)Wirtschaft auf den Weg zu bringen, die ihrer Bevölkerung existenzielle Sicherheit bietet. Ein rascher Schuldenerlass und gezielte Förderprogramme sind dafür wichtige Voraussetzungen. Vorbilder gibt es auch hier: Im Westen Ugandas sind Tausende Bäuerinnen und Bauern auf den Anbau von Bioprodukten umgestiegen. Sie produzieren nun umweltschonender und erzielen höhere Einkommen.

Gelingen kann der Wandel allerdings nur, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher weltweit umdenken und nachhaltiger konsumieren. Die Kundschaft von Edgar Fernández in Lima hat das offenbar verstanden.

aus akzente 3/2021

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