Beschäftigung

Das weiße Gold von Félane

Im Senegal kostet Kühleis ein Vermögen. Clevere Frauen produzieren es in ihrem Dorf mit einer Solaranlage selbst.

Text
Katrin Gänsler
Fotos
Marta Moreiras

Ndéye Bineta Cissé ist pünktlich um acht Uhr morgens an ihrem Arbeitsplatz. Mit einer Kollegin öffnet sie zuerst alle Fenster und fegt dann durch die beiden Räume der Eisfabrik von Félane. Anschließend geht sie in die Hocke und wischt eine kleine Pfütze unter der großen Kühltruhe weg. Ein prüfender Blick fällt auf die acht großen, schwarzen Batterien. Die 28-Jährige nickt zufrieden. Überall ist es sauber. Jetzt fängt auch die Eismaschine an zu brummen. Die ersten Kunden können kommen.

Ndeye Bineta Cissé, Mitglied der Frauenkooperative von Felané, bei ihrer Arbeit in der Eisfabrik.
Ndeye Bineta Cissé, Mitglied der Frauenkooperative von Felané, bei ihrer Arbeit in der Eisfabrik.

Es dauert nicht lange, bis jemand mit seinem Handy vor der Tür steht. Der Mann möchte sein Telefon für umgerechnet15 Cent aufladen. Die Aufladestation ist nur einer von vielen Nebeneffekten der kleinen Fabrik, die von der Frauenkooperative Ndefleng betrieben wird. Übersetzt bedeutet der Name „eine Einheit bilden“. Und auf diese Weise haben die 127 Mitglieder schon viel erreicht.

Eisproduktion mit Solarenergie

Herzstück der Kooperative ist die Eismaschine. Seit 2015 ist sie in dem senegalesischen Dorf, gut 200 Kilometer südlich der Hauptstadt Dakar, in Betrieb. 24 Solarpaneele, die etwas mehr als sechs Kilowatt Strom erzeugen, machen eine tägliche Produktion von 200 Kilo Kühleis möglich. Zum System gehört auch eine Solarpumpe, die täglich 13 bis 14 Kubikmeter Wasser für das Eis pumpt. Der Überschuss wird zur Bewässerung des 2.500 Quadratmeter großen Gartens genutzt, der gleich neben dem Gebäude liegt. Mit dem Verkauf von Tomaten, Auberginen, Salat, Paprika und Okraschoten haben sich die Frauen eine weitere Einnahmequelle geschaffen.

Die Eismaschine wird mit Solarenergie betrieben. Youssoufa Diouf reinigt die Solarpaneele jeden Morgen vor Sonnenaufgang Die Aufladestation für Handys ist einer von vielen Nebeneffekten der kleinen Fabrik, die von der Frauenkooperative Ndefleng betrieben wird.In der Regenzeit baut die Kooperative Gemüse an.Das Geld aus dem Eisgeschäft investiert die Kooperative auch in kleine Solarsets und solarbetriebene Lampen, die sie weiterverkauft. Bildergalerie: Die Eismaschine wird mit Solarenergie betrieben. Youssoufa Diouf reinigt die Solarpaneele jeden Morgen vor Sonnenaufgang.

Senegals Regierung setzt auf erneuerbare Energien – besonders auf Solarstrom, denn das westafrikanische Land verfügt nur über wenige Rohstoffe. Energiemangel gehört zu den großen Entwicklungshemmnissen. Die GIZ unterstützt im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das senegalische Energieministerium dabei, erneuerbare Energien auszubauen. Gleichzeitig soll die Stromversorgung in ländlichen Regionen verbessert werden.

Früher gab es im Dorf keinen Strom

Der Strom ändert das Dorfleben völlig. Auch der Alltag von Ndéye Bineta Cissé hat sich gewandelt. „Früher habe ich den Haushalt gemacht und bin zum Einkaufen gegangen. Jetzt komme ich in die Eisfabrik, arbeite und verdiene mein eigenes Geld“, sagt die Mutter von drei Kindern. Einen Job zu finden – das war für sie in Félane lange Zeit schwierig. Der Ort hatte bisher so wenig zu bieten, dass viele Männer in andere Städte abwanderten und nur zu Festen wie dem Ende des Fastenmonats Ramadan oder dem muslimischen Opferfest zurückkehrten.

Ndeye Bineta Cissé in ihrer Küche
Ndeye Bineta Cissé in ihrer Küche

Elektrizität hatte es bis zur Anschaffung der Solaranlage nur im 13 Kilometer entfernten Djilor gegeben. Wenn es im Juli und August heftig regnet, ist Djilor nur mit Pferdegespann und Pirogge, einem langen, schmalen Holzboot, erreichbar. Es ist eine teure, aufwändige und vor allem lange Fahrt, um den Handyakku aufzuladen oder Kühleis zu kaufen.

Das Ende der langen Transportwege

Doch ohne Kühleis geht in Félane nichts. Seine rund 1.000 Einwohner leben von der Fischerei. Früher kauften sie das Eis in den Nachbarorten und transportierten es von dort aus nach Félane. Der Preis pro Liter beträgt 150 CFA-Franc (rund 23 Cent). Zusammen mit den hohen Transportkosten kamen schnell mehrere Tausend CFA zusammen, die den Gewinn aus dem Verkauf der Fische schrumpfen ließen.  

Eine Tüte Eis wird für umgerechnet etwa 20 Euro-Cent verkauft. Mit der Menge kann man eine Kühlbox füllen.
Eine Tüte Eis wird für umgerechnet etwa 20 Euro-Cent verkauft. Mit der Menge kann man eine Kühlbox füllen.

Das hat auch Fischer Ousman Diouf so manches Mal erlebt. Er steht im Garten vor seinem Haus und macht den Pferdewagen fertig, der von einem kleinen Schimmel gezogen wird. Er packt zwei große Kühlboxen auf die Ladefläche, in denen er den Fang lagern wird. Früher war die Vorbereitung für den Vater von fünf Kindern mit mehr Aufwand verbunden. Dabei ist es zum Fluss, wo seine Pirogge liegt, nicht weit. Die Fahrt dauert keine 30 Minuten, denn Félane liegt mitten im Nationalpark Delta du Saloum. Der Fischfang lohnt sich, und die Artenvielfalt ist groß. Nur Eis gab es nirgendwo zu kaufen. „Ab und zu bin ich in Djilor oder einem anderen Ort angekommen, der Strom hat. Die ganze Tour habe ich auf mich genommen, nur um festzustellen: Das Eis ist schon ausverkauft“, erinnert er sich und schüttelt den Kopf. Manchmal kam er mit einem guten Fang nach Hause und musste trotzdem einen Teil der Fische verschenken oder sogar wegwerfen. Es gab keine Lagermöglichkeiten.

Fischer kommen mit der Kühlbox zur Eisfabrik

Jetzt stoppt Ousman Diouf sein Pferd direkt vor der Tür der Eisfabrik, fünf Minuten von seinem Haus entfernt. Für ihn ist aber nicht nur die Nähe von Vorteil, sondern auch der Preis. Hier kostet der Liter Eis ein Drittel von dem, was er in Nachbarorten zahlt. Mit den Kühlboxen in der Hand geht er zu Ndéye Bineta Cissé. Sie begrüßt ihn und öffnet die Eismaschine, die an diesem Vormittag schon ordentlich produziert hat. Diouf kauft das Eis eimerweise für jeweils 500 CFA. Nachdem er bezahlt hat, wuchtet er das weiße Gold von Félane auf den Wagen, treibt sein Pferd mit einem Schnalzlaut an und fährt los zu seiner Pirogge.  

Ndéye Bineta Cissé und ihre Kinder
Ndéye Bineta Cissé und ihre Kinder

Ndéye Bineta Cissé hat ihre Arbeit erledigt und geht über Mittag nach Hause. Von der Eisfabrik blickt sie auf das Haus, in dem sie mit ihrer Schwiegermutter und den Kindern Sidi, Fatou und Réme lebt. Ihren Mann sieht sie nur zweimal im Jahr, weil er als Maurer in Dakar arbeitet. Die tägliche Verantwortung für die Familie liegt bei ihr, erzählt sie auf dem kurzen Heimweg. Als sie ankommt, flattern ein paar Hühner über den Hof, Wäsche hängt auf der Leine.

Der Solarstrom schafft neue Jobs im Dorf

Ihr Gehalt in der Eisfabrik hängt vom monatlichen Umsatz ab, der in drei Teile geteilt wird. Mit dem ersten werden die Löhne der drei Mitarbeiter sowie kleine Ersatzteile wie Glühbirnen und Filter bezahlt. Der zweite wird für Neuanschaffungen gespart, etwa wenn die Batterien nach vier bis fünf Jahren ausgetauscht werden müssen. Wirtschaftlichkeit und die Bereitschaft zu Eigenleistungen gehörten von Anfang an zu den Voraussetzungen für das Projekt. Auch deshalb fiel die Wahl auf Félane. Das Dorf hat die 5.000 Quadratmeter große Fläche zur Verfügung gestellt und die Gebäude selbst finanziert und gebaut.

Der dritte Teil der Einnahmen geht in die Kasse der Frauenkooperative. Sie entscheidet, wie sie das Geld reinvestiert und entwickelt ständig neue Ideen. Entstanden ist zum Beispiel ein Brunnen, der das Dorf mit Wasser versorgt. Sechs Jugendliche bieten außerdem Beratung und Verkauf von Solarlampen an Da die Solaranlage der Eisfabrik störungsfrei funktioniert, wollen immer mehr Menschen auch zu Hause in den Abendstunden Solarstrom haben. So können die Kinder auch später noch ihre Hausaufgaben machen. Der nächste Plan der Kooperative: Die Frauen möchten eine eigene Pirogge kaufen, um andere Dörfer mit Eis zu beliefern.

Mehr Geld und Autonomie für die Frauen

Das Beispiel von Félane zieht Kreise in der Region. Besucher wie die Fischhändlerinnen aus dem benachbarten Dakhonga sind begeistert und fahren weg mit dem Wunsch: „Wir wollen auch eine Eisfabrik.“

Die Frauen aus dem benachbarten Dakhonga hätten nun ebenfalls gern eine Eisfabrik.
Die Frauen aus dem benachbarten Dakhonga hätten nun ebenfalls gern eine Eisfabrik.

Die Menschen im Dorf sehen schon jetzt die Erfolge. Vor allem die Frauen sind begeistert, sagt Mama Diouf, die Präsidentin der Kooperative: „Wir sind stärker geworden. Wir haben die Möglichkeit, eigenes Geld zu verdienen. Das bringt uns wirtschaftlich mehr Macht und Autonomie. Bisher waren es meistens die Männer, die Geld hatten.“ Sie meint Frauen wie Ndéye Bineta Cissé – eine dieser cleveren, zupackenden Frauen von Félane, die mit der Eisfabrik und dem „weißen Gold“ ihrem Leben eine neue Richtung geben.

Ansprechpartner: Markus Hagenah, markus.hagenah@giz.de

Mai 2018

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