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Andrea Nahles Sonja Och
Interview

„Migration muss unbedingt fair sein!“

Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, im Interview: Sie spricht über Fachkräftezuwanderung, die ein Gewinn für alle sein kann.

Interview: Brigitte Spitz

Frau Nahles, was macht ein modernes Einwanderungsland aus und ist Deutschland das inzwischen?

Deutschland ist de facto schon lange ein Einwanderungsland: Über ein Viertel aller Menschen in Deutschland hat eine Einwanderungsgeschichte. Beim Thema Fachkräftezuwanderung haben wir aber noch keine echte Tradition. Die Anwerbung von Fach- und Arbeitskräften wurde lange Zeit als etwas Temporäres gesehen, wie zum Beispiel bei den „Gastarbeitern“ der 1960er Jahre – und es gab dafür keine nachhaltige Strategie. So kommen die meisten zugewanderten Beschäftigten bisher aus der EU oder sind ursprünglich aus humanitären Gründen nach Deutschland geflüchtet. Dabei brauchen wir den Vergleich mit modernen Einwanderungsländern wie etwa Kanada aber gar nicht mehr zu scheuen: Deutschland hat inzwischen in vielen Bereichen des Migrationsmanagements deutlich aufgeholt.

Wo zum Beispiel?

Etwa mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Deutschland für ausländische Arbeitskräfte interessanter macht. Man kümmert sich schon im Vorfeld um diejenigen, die man gerne anwerben will, und unterstützt sie bereits, bevor sie ins Land kommen. Diese positive Entwicklung ist der Einsicht geschuldet, dass es bei uns in Zukunft ohne Fachkräftezuwanderung keinen Wohlstand und damit auch keinen Sozialstaat geben kann. Deshalb gilt es, die Hürden für ausländische Arbeitskräfte weiter zu senken. Eine schnellere Anerkennung von Abschlüssen und die Digitalisierung und Entbürokratisierung von Verwaltungsprozessen sind dabei wichtige Stellschrauben. Und wo wir definitiv besser werden müssen, das ist die internationale Vermarktung Deutschlands als weltoffenes Einwanderungsland. Sie wird in Zukunft noch viel wichtiger werden, weil alle Industriestaaten mit wachsender Wirtschaft und tendenziell schrumpfender Bevölkerung qualifizierte Zuwanderer an sich binden wollen. Die Konkurrenz ist also groß! Für ein gutes Image brauchen wir aber zuallererst eine glaubwürdige Willkommenskultur, die leider nicht überall in Deutschland etabliert ist.

 

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Andrea Nahles picture alliance/dpa

Andrea Nahles ist seit August 2022 Vorsitzende des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit. Die ehemalige SPD-Politikerin war zuvor unter anderem Bundesministerin für Arbeit und Soziales.

„Die GIZ ist in unseren Kooperationsländern seit langem bestens vernetzt und anerkannt. Das ist ein großer Vorteil und hilft, Vertrauen aufzubauen.“

Andrea Nahles
Vorsitzende des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit

Was antworten Sie kritischen Stimmen, die durch die Fachkräftezuwanderung nach Deutschland einen Braindrain in den Herkunftsländern befürchten?

Ich kann diese Stimmen durchaus verstehen. Denn wenn qualifizierte Arbeitskräfte in großer Zahl abwandern, hat ein Land kaum eine Chance, sich positiv zu entwickeln und im internationalen Wettbewerb Anschluss zu finden. Das wiederum führt zur Destabilisierung ganzer Staaten, an der wir als Einwanderungsländer überhaupt kein Interesse haben. Migration muss also unbedingt fair sein! Sie entfaltet ihr volles positives Potenzial nur dann, wenn – neben dem Arbeitsmarktbedarf in den Einwanderungsländern – auch die Entwicklungschancen des Herkunftslandes berücksichtigt werden. Um das zu erreichen, sind zum Beispiel bilaterale Abkommen ein wichtiges Instrument. Partnerländer, bei denen wir Arbeits- und Fachkräfte anwerben, werden auf Grundlage transparenter und entwicklungsorientierter Kriterien ausgewählt. So wollen wir Braindrain von vornherein vermeiden.

Welche Rolle kann die GIZ für eine für alle Seiten gelungene Arbeitsmigration spielen?

Deutschland hat ein großes Interesse daran, dass bei der Fachkräftemigration alle Seiten gewinnen: die Menschen, die in Deutschland leben und arbeiten wollen, deutsche Arbeitgeber, aber auch das Partnerland, aus dem die Arbeitskräfte kommen. Hier kommt die GIZ ins Spiel. Sie ist in unseren Kooperationsländern seit langem bestens vernetzt und anerkannt. Zu den Mitarbeitenden gehören viele lokale Kräfte, die die Kultur und Lebenswirklichkeit vor Ort kennen. Das ist ein großer Vorteil und hilft, Vertrauen aufzubauen. Deshalb arbeiten die BA und die GIZ schon seit vielen Jahren in verschiedenen Programmen zusammen.

Wo zum Beispiel?

Um dringend benötigte Pflegekräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen, gibt es bereits seit 2013 das Programm „Triple Win“. Dabei werden Frauen und Männer auf ihrem Weg nach Deutschland begleitet. Die GIZ organisiert die Integrations- und Sprachkurse und koordiniert die Ausreise vor Ort. Wir von der BA beraten deutsche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder schließen Vermittlungsabsprachen mit den Arbeitsverwaltungen der Länder. Die Fachkräfte erleben so einen verlässlichen Migrationsprozess. Und die Partnerländer, oft mit einer sehr jungen Bevölkerung und hoher Arbeitslosigkeit, profitieren auch: Sie können ihren Bürgerinnen und Bürgern neue, sichere Berufsperspektiven im Ausland bieten. Bei der Wahl von Herkunftsländern orientieren wir uns im Gesundheitssektor an den Standards der Weltgesundheitsorganisation, damit die Versorgung vor Ort gewährleistet bleibt.

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