Für eine faire und nachhaltige Migration setzt die GIZ mit ihren Partnern auf Anwerbung nach internationalen ethischen Standards. Beispielsweise auf das Zertifizierungssystem für private Vermittlungsagenturen von internationalen Arbeitskräften (IRIS, International Recruitment Integrity System) der Internationalen Organisation für Migration. Außerdem orientiert sich die GIZ an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach medizinische Fachkräfte nur dort rekrutiert werden, wo durch Abwanderung keine Engpässe auf dem lokalen Arbeitsmarkt entstehen.
Fachkräfte: von Kerala nach Wolfratshausen
Wie eine indische Pflegekraft und eine Kreisklinik im Alpenvorland zueinanderfinden. Triple Win konkret – Erfahrungen mit der Fachkräftevermittlung.
Inmitten der sterilen, chromglänzenden Atmosphäre des Operationssaals verbreitet sich freundliche Wärme, wenn Monika Schwenger mit ihrer Kollegin Chippy Bose Shaila Fachbegriffe übt. OP-Schwester Schwenger ist ruhig, geduldig und artikuliert genau, während sie auf dem kleinen Tisch unter dem großen Scheinwerfer chirurgische Utensilien zeigt: „Querklemme, Kofferklemme, scharfe Klemme.“
Die erfahrene Praxisanleiterin und ihre neue Kollegin haben sich zur Instrumentenkunde verabredet. „Querklemme, Kofferklemme, scharfe Klemme“, wiederholt Shaila in beeindruckendem Deutsch. Erst seit August 2023 lebt und arbeitet die Inderin im bayerischen Wolfratshausen. In ihrer Heimat, dem südindischen Bundesstaat Kerala, hat sie bereits im OP gearbeitet. Die Namen der Instrumente kennt sie auf Englisch, jetzt muss die 35-Jährige die deutschen Bezeichnungen büffeln. Das macht sie mit großem Elan.
Ausländische Pflegekräfte werden gebraucht
Nach Bayern kam Chippy Bose Shaila über Triple Win. Das Programm, das die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Auftrag deutscher Arbeitgeber umsetzen, fördert den Einsatz internationaler Pflegefachkräfte in Deutschland. Expert*innen rechnen bis 2025 mit einem zusätzlichen Bedarf von rund 150.000 Frauen und Männern in diesem Beruf.
Auch in der Kreisklinik Wolfratshausen, die jedes Jahr rund 20.000 Menschen aus dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen stationär und ambulant versorgt, ist man auf ausländische Pflegekräfte angewiesen. Nur so könne das gesamte medizinische Angebot des kommunalen Krankenhauses aufrechterhalten werden, sagt OP-Bereichsleiter Manuel Stock.
Seit Anfang 2021 setzt die Kreisklinik auf das Programm Triple Win. 27 Pflegefachkräfte von den Philippinen und aus Kerala sind seither nach Wolfratshausen vermittelt worden. „Fast alle sind geblieben“, sagt Stock, „nur drei haben die Klinik wieder verlassen.“ Die Verantwortlichen der Klinik loben die professionelle Auswahl und Begleitung durch das Programm.
Auswahl der Fachkräfte
Das Lob für Triple Win teilt auch Chippy Bose Shaila. Sie hatte Anfang 2023 in einer Zeitung aus Kerala einen Artikel über Triple Win gelesen, der durch die Partnerverwaltung NORKA Roots veröffentlicht worden war. „6.000 Frauen und Männer haben sich beworben, 300 wurden ausgewählt, ich war dabei“, erzählt sie. Das Triple-Win-Team hatte geeignete Fachkräfte ausgewählt und anschließend deren Lebensläufe in eine Datenbank hochgeladen. Die ZAV schlägt Arbeitgebern in Deutschland auf Grundlage ihres gewünschten Profils Kandidat*innen vor. Sie hat sowohl die Präferenzen der Arbeitgeber als auch der Kandidat*innen vorliegen und führt auf dieser Basis ihr „Matching“ durch. Die lokale Arbeitsverwaltung ist in den Prozess eingebunden.
Im Einklang mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation arbeitet das Programm nur mit Partnerländern oder -regionen zusammen, die deutlich mehr Pflegekräfte haben, als sie selbst benötigen. Etwa das indische Kerala: Dort suchen junge Menschen aus der Branche nach neuen beruflichen Perspektiven und einem guten Einkommen. Das hat auch Shaila motiviert. Für die Fachkräfte ist die Teilnahme am Programm kostenlos, die Arbeitgeber bezahlen je nach Umfang eine Gebühr.
„Im Februar 2023 hatte ich das Videointerview mit der Kreisklinik Wolfratshausen und damals habe ich schon Deutsch gelernt“, erinnert sich Shaila. Beide Seiten waren sich schnell einig, es dauerte aber noch sechs Monate bis zum Umzug nach Bayern. „Das war etwas lang“, findet die Inderin im Nachhinein. Sie hat das halbe Jahr genutzt: die B1-Deutschprüfung absolviert, mehr über das Leben und Arbeiten in Deutschland gelernt und schließlich Visum und Arbeitserlaubnis erhalten. Immer begleitet von Triple Win.
„Etwas Angst“, sagt die Inderin, hatte sie schon vor dem Umzug. Eine neue Sprache, eine neue Arbeitswelt, eine neue Kultur, viele neue Menschen – und alles ohne ihre Tochter und ihren Mann. „Aber für mich war es ein Traum, in einem europäischen Land zu arbeiten, und meine Familie war sehr stolz auf mich“, sagt die junge Frau, die schnell ihre erste Schüchternheit abgelegt hat und selbstbewusst Herausforderungen angeht.
Begleitung nach der Ankunft in Deutschland
Das erfahrene Integrationsteam der Klinik in Wolfratshausen hat es ihr so leicht wie möglich gemacht. „Sie haben für mich und drei andere Kolleginnen aus Kerala eine gemeinsame Wohnung organisiert und die Lebensmittel für die ersten Wochen besorgt“, erinnert sie sich. Auch bei Behördengängen wurde sie von engagierten Krankenhausmitarbeiter*innen begleitet. „Sogar eine Prepaid-Karte für das Handy habe ich zur Begrüßung bekommen.“ Damit sie gleich ihre Familie anrufen konnte. Besonders ihre neunjährige Tochter vermisst Chippy Bose Shaila sehr. „Ich telefoniere jeden Tag mit ihr, sie wird von meinem Mann und der Familie versorgt.“
Nach den Prüfungen die Familie nachholen
Im Sommer 2024 will die Inderin ihre B2-Sprachprüfung ablegen und die deutsche Anerkennung ihres Pflegeabschlusses schaffen. Dafür nimmt sie neben ihren Krankenhausdiensten an zwei Arbeitstagen pro Woche an Kursen im nahegelegenen München teil. Das sei anstrengend, aber alles in allem findet Shaila die Arbeitsbedingungen in Deutschland gut. Nach den Prüfungen plant sie ihren ersten Urlaub in Indien. „Und hoffentlich kann ich dann bald meine Familie nach Deutschland holen.“
Netzwerke des Miteinanders
Inzwischen hat sie sich ein Netzwerk aus anderen indischen Pflegekräften aufgebaut. „Wir haben aus den Kursen in Kerala eine WhatsApp-Gruppe gegründet, wir halten in Deutschland Kontakt und ich habe auch schon Kolleginnen im Allgäu und in Heidelberg besucht.“ Auch Triple Win fördert Aktivitäten von Diaspora-Gruppen in Deutschland als soziale Stütze in der neuen Umgebung. „Es gibt Partys und wir treffen uns“, sagt Chippy Bose Shaila. Demnächst plant die Klinik ein gemeinsames indisches Essen mit Kolleg*innen aus Kerala und Wolfratshausen.
„Wir stellen uns aufeinander ein“, sagt die leitende OP-Schwester Monika Schwenger. Sie redet die Herausforderungen bei der Integration von ausländischen Fachkräften nicht klein. „Das ist viel Arbeit, erfordert von allen Seiten viel Konzentration, Energie und Empathie.“ Und während sie vor dem Dienstplan im Flur steht und sich mit den anderen abstimmt, legt sie den Arm um ihre junge Kollegin aus Kerala. Und da ist sie wieder: die warme Stimmung inmitten des sterilen OP-Ambientes.
Triple Win
Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat die GIZ durch das Programm Triple Win seit 2013 mehr als 6.000 Pflegefachkräfte aus Partnerländern an Kliniken in Deutschland vermittelt. Laut einer Befragung fühlen sich mehr als 90 Prozent der vermittelten Mitarbeiter*innen bei ihren neuen Arbeitgebern wohl. Sie würden den Service weiterempfehlen. Aktuell vermittelt Triple Win Pflegefachkräfte aus Bosnien-Herzegowina, dem indischen Bundesstaat Kerala, Indonesien, Jordanien, von den Philippinen, aus Tunesien sowie Auszubildende aus Vietnam.
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